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Politik

Deutschlands Kurden gehen auf die Straße

Chase Winter kk
12. Oktober 2019

Zehntausende Kurden haben in Deutschland gegen die türkische Militäroperation in Nordsyrien demonstriert. Sie bekundeten Solidarität mit den kurdischen Milizengruppen. Auch politische Forderungen hatten sie im Gepäck.

Deutschland Kurden protestieren in Köln gegen die türkische Militäroffensive in Syrien
Bild: DW/C. Winter

Die Kurden zeigten Präsenz. Zu vielen Tausenden marschierten sie am Samstag durch mehrere deutsche Städte, um gegen die türkische grenzüberschreitende Militäroperation im Nordosten Syriens zu protestieren.

Auch in Köln gingen sie in großer Zahl auf die Straße. Gut zehntausend Menschen schwenkten Flaggen mit den Symbolen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), der "Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien" sowie der Flagge der de facto autonomen Provinz Syrisch-Kurdistan im Norden des Landes.

Die Demonstranten forderten nicht nur ein Ende der türkischen Militäroperation, sondern auch die Einrichtung einer internationalen Flugverbotszone sowie die Einstellung der Waffenlieferungenin die Türkei. Ihre Forderungen hatten sich auch mehrere linken Gruppierungen und Organisationen aus Deutschland zu eigen gemacht.

Protest: Ein Schriftzug der in Deutschland verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in KölnBild: DW/C. Winter

"Zusammen sind wir vereint"

"Zusammen sind die Kurden vereint", sangen die Demonstranten in Köln. Doch auch laute Rufe waren zu hören, in denen der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan als "Terrorist" und "Kindermörder" beschimpft wurde.

Vor allem aber bekundeten die Demonstranten Entschlossenheit: "Lang lebe die YPG, lang lebe der Widerstand von Rojava", skandierten sie wieder und wieder. Die YPG ist die wichtigste Fraktion der von den USA unterstützten Syrischen Verteidigungskräfte (SDF), einem Bündnis kurdischer, arabischer und christlicher Kräfte, die wesentlich zur Bekämpfung der Dschihadistenorganisation "Islamischer Staat" (IS) beigetragen haben. Knapp 10.000 Milizen sind bei diesen Auseinandersetzungen gestorben.

Kampf gegen "Terroristen"?

Immer wieder wiesen die Demonstranten auch auf den Umstand hin, dass die Türkei ihre Operation gegen die Milizen ungeachtet der Proteste seitens der Vereinigten Staaten wie auch der Europäischen Union startete. Sie hält mittlerweile seit vier Tagen an.

Die Regierung in Ankara begründet ihre Operation mit dem Hinweis, sie gehe gegen "Terroristen" vor. Außerdem erklärt sie, im Nordosten Syriens eine so genannte "Schutzzone" für syrische Flüchtlinge einrichten zu wollen. Über drei Millionen durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden Krieg aus ihrer Heimat vertriebene Syrer leben derzeit auf dem Gebiet der Türkei. Die Regierung in Ankara betrachtet die YPG als den syrischen Zweig der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK). Diese hat einen fast vier Jahrzehnte dauernden Aufstand gegen den kurdischen Staat geführt. 

Bislang wurden durch die türkische Militäroperation im Norden Syriens über 200.000 Menschen vertrieben. Dutzende Zivilisten und SDF-Kämpfern wurden getötet.

Proteste auch in Frankfurt am MainBild: Reuters/R. Orlowski

Das Leid der Kurden

Die türkische Armee kämpft nicht allein. An ihrer Seite stehen mehrere Rebellengruppen, die eine islamistische Agenda verfolgen. Den Kurden gelten sie als "Söldner" und "Banden".

Viele dieser Rebellengruppen waren bereits im vergangenen Jahr an einer türkischen Offensive gegen die YPG in Afrin beteiligt. Bei dieser Operation wurde die Hälfte der überwiegend kurdischen Bevölkerung vertrieben. Menschenrechtsorganisationen dokumentierten ein ausgesprochen hartes Vorgehen gegen die Bevölkerung.

Sorge um die Zukunft

"Das gleiche Szenario wie in Afrin wird sich nun auch in Rojava abspielen", sagte Chiklou, ein syrischer Kurde aus Afrin, der vor fünf Jahren nach Deutschland floh.

Sipan, ein weiterer Demonstrant, zusammen mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Kindern in der Uniform der YPG-Milizen gekleidet, beteiligt sich an der Demonstration. Seine Familie lebe in Kamischli, der größten Stadt im Nordosten Syriens. Durch den türkischen Angriff sei sie verängstigt und habe Sorge, dass ihre Häuser beschlagnahmt werden könnten. Die türkisch unterstützten Rebellen "gehören dem IS und al-Qaida an, sie haben nur die Kleidung gewechselt", sagte er.

Kamischli nach dem Anschlag durch eine Autobombe im Oktober 2019Bild: Reuters/R. Said

Die Kurden fühlten sich von den Vereinigten Staaten "verraten", sagt Can. Wie Sipan stammt auch er aus Kamischli. US-Präsident Donald Trump habe durch den Rückzugsbefehl der US-Truppen aus der türkisch-syrischen Grenzregion den Türken den Weg für den Angriff geebnet, sagt er im Gespräch mit der DW. "Ich habe einen Bruder verloren, der mit dem YPG kämpfte. Ein weiterer Bruder beteiligt sich dieses Mal an den Kämpfen. Wir sehen uns von Feinden umzingelt, doch wir werden unser Land verteidigen."

Partner im Kampf gegen den IS

Die YPG - und mit ihr die PKK - hatten in den vergangenen Jahren viele Angehörige der religiösen Gemeinschaft der Jaziden vor dem Völkermord durch den IS im Irak bewahrt. Zudem besiegten die YPG-Milizen die Dschihadistengruppe 2014 in der Schlacht von Kobane. Anschließend beteiligten sie sich an einer von den USA unterstützten Offensive zur Zerschlagung des IS in Syrien.

Anschließend gründeten sie eine praktisch autonome Region im Nordosten Syriens. Damit erfüllt sich ein uralter Traum der ohne einen eigenen Staat lebenden Kurden. In Ankara löste das halbstaatliche Gebilde hingegen allergrößte Sorgen aus. Die türkische Regierung entschloss sich darauf hin, Militäroperationen im Norden Syriens durchzuführen.

Dagegen gingen die in Deutschland lebenden Kurden heute in Deutschland, der weltweit größten kurdischen Diaspora-Gemeinde, auf die Straße.