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Özdemir nimmt Kampf gegen Billig-Fleisch auf

Ben Knight
29. Dezember 2021

Mehr Biolebensmittel, weniger Fertiggerichte: Das wünscht sich Landwirtschaftsminister Cem Özdemir auf deutschen Tischen. Essen, fordert der Grüne, sollte nicht verramscht werden. Das könnte zu Lasten der Ärmeren gehen.

 Regal eines Supermarktes. In dieser Auslage wird abgepackter, überwiegend sehr günstiger Aufschnitt und Wurst angeboten.
Billig-Fleisch schadet den Verbrauchern, der Umwelt, den Bauern, sagt Landwirtschaftsminister ÖzdemirBild: Daniel Kubirski/dpa/picture alliance

Deutschlands neuer Landwirtschaftsminister Cem Özdemir ist ein Politprofi; er weiß genau, wie man griffige Zitate formuliert. Zum Beispiel letztes Wochenende gegenüber dem auflagenstarken Boulevardblatt "Bild am Sonntag: "Manchmal habe ich das Gefühl, ein gutes Motoröl ist uns wichtiger als ein gutes Salatöl", sagte da der Grünen-Politiker - und stieß eine Debatte um gute Ernährung an.

Özdemir zufolge ernährt sich der durchschnittliche Deutsche zu ungesund. Über 50 Prozent der Erwachsenen seien übergewichtig. "Der Grund dafür sind zu viel Zucker, Fett und Salz, vor allem in Fertigprodukten", sagte der Landwirtschaftsminister. "Die Politik hat zu lange versucht, die Industrie mit freiwilligen Selbstverpflichtungen zur Reduktion dieser Inhaltsstoffe zu bewegen. Damit ist jetzt Schluss. Mit mir wird es verbindliche Reduktionsziele geben", kündigte Özdemir an.

Seit kurzem für die Landwirtschaft zuständig: Der Grünen-Minister Cem ÖzdemirBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Der Grünen-Politiker beklagte eine insgesamt zu niedrige Qualität bei Lebensmitteln in Deutschland – und zu niedrige Preise: "Es darf keine Ramschpreise für Lebensmittel mehr geben, sie treiben Bauernhöfe in den Ruin, verhindern mehr Tierwohl, befördern das Artensterben und belasten das Klima. Das will ich ändern", sagte der Landwirtschaftsminister. Der Preis von Lebensmitteln, fordert Özdemir, müsse die "die ökologische Wahrheit stärker ausdrücken."

Eine andere Landwirtschaft fordert bereits der Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung. Darin wird das Ziel formuliert, den Anteil ökologisch bewirtschafteter Flächen in Deutschland von derzeit rund 10 Prozent bis zum Jahr 2030 auf 30 Prozent zu erhöhen.

Kritik an Özdemirs Vorstoß

Özdemirs Äußerungen zogen umgehend heftige Kritik der Konservativen auf sich, die jetzt in der Opposition sind. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder von der CSU schimpfte am Mittwoch in der "Bild", die Bundesregierung sei "nicht dazu da, den Menschen vorzuschreiben, was oder wie viel sie essen" sollen. Der Landwirtschaftsminister setze auf weniger Tierhaltung und mehr Cannabisanbau, kritisierte Söder, in dessen Bundesland die Landwirtschaft eine große Rolle spielt und die Bauernverbände eine starke Stimme haben. Der CSU-Politiker bezweifelte, dass dies die richtige "Vision" für die Landwirtschaft in Deutschland sei.

Die Idylle trügt: Auch in Bayern stehen die meisten Kühe im Stall Bild: Countrypixel/picture alliance

Für Christoph Minhoff dagegen sind Özdemirs Forderungen nichts Neues. Er ist Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands Deutschland, eines Dachverbands der deutschen Lebensmittelindustrie, der für sich in Anspruch nimmt, Unternehmen der gesamten Lebensmittelkette "vom Acker bis zum Teller" zu repräsentieren. Özdemir renne "mit Wucht Türen ein, die alle offen stehen", sagt Minhoff der DW. Und ergänzt: "Aber es hilft auch nichts, wenn Sie als Unternehmen ein Angebot machen und das Zeug liegt wie Blei im Regal. Sie brauchen Produkte, die vom Verbraucher am Ende auch gekauft werden."

Der Preis des Fleisches

Minhoff betont, die Lebensmittelindustrie würde mindestens so große Anstrengungen wie jede andere Industrie unternehmen, um ihre Produkte nachhaltiger und Klima-freundlicher zu machen.

"Niemand will mehr Fleisch von gequälten Tieren", so Minhoff. "Alle diese Ziele wurden schon festgeschrieben - das Problem ist nur, es kostet sehr viel Geld. Und die entscheidende Frage ist: Wer zahlt das?"

Das Kostenargument hat es in sich. Das bestätigt der im Juli 2021 vorgelegte Abschlussbericht der "Zukunftskommission Landwirtschaft". Die 31 Kommissionsmitglieder aus den Bereichen Landwirtschaft, Wirtschaft und Verbraucher, Umwelt, Tierschutz und Wissenschaft haben nicht nur die generelle Linie von Özdemirs Plänen vorweggenommen: Fleischverbrauch verringern, Klima stärker schützen. Die Kommission kam auch zu dem Schluss, dass die Verbraucher für ein Kilo Rindfleisch fünf- bis sechsmal so viel Geld auf den Ladentisch legen sollten wie heute: über 80 € pro Kilo; derzeitig kostet das Kilo rund 13 €.

So stark müssten die Preise steigen, um die Kosten durch Umweltverschmutzung und den Verlust der Artenvielfalt auszugleichen; Milchprodukte müssten zwei- bis viermal so viel kosten wie heute, so die Kommission.

Umgekehrt allerdings bezifferte die Kommission die externen Kosten für die von der industriellen Landwirtschaft verursachten Umweltschäden auf rund 90 Milliarden Euro pro Jahr! Die im Abschlussbericht empfohlenen Investitionen von jährlich 7 bis 11 Milliarden Euro für die Umstellung auf eine ökologische Landwirtschaft wären insofern gut angelegtes Geld.

In jedem Fall, so ein Fazit des Berichts, führe kein Weg daran vorbei, den Gesamtbestand an Tieren in deutschen Ställen zu verringern. 

Auf unterschiedlichen Wegen zum gleichen Ziel

Der Zukunftsbericht Landwirtschaft war einstimmig verabschiedet worden. Ein Zeichen, dass Bauern und Umweltschützer in ihren Positionen oft gar nicht so weit auseinanderliegen. Die Bauern jedenfalls wünschen sich definitiv mehr Wertschätzung für ihre Lebensmittel.

Reinhard Jung etwa begrüßt die Richtung, in die Özdemir die Landwirtschaft steuern will. Der Vorsitzende der unabhängigen Bauervereinigung "Freie Bauern" bewirtschaftet selbst im Nebenerwerb einen Hof und hofft gegenüber der DW: "Wenn sich Verbraucher stärker mit Lebensmitteln auseinandersetzen und bewusst nach regionalen Lebensmitteln fragen, oder nach Lebensmitteln, die nachhaltig produziert wurden, steigt ja nicht nur die Wertschätzung sondern die Wertschöpfung – also das Geld was Bauern verdienen können."

Fleischersatzprodukte boomen

05:14

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Mit Blick auf Industrie und Handel vertritt Jung die Meinung, für eine faire Bezahlung der Bauern müssten die Preise nicht notwendigerweise steigen: "Zwischen Erzeuger und Verbraucher wird sehr, sehr viel Geld verdient, so "Freie Bauern"-Chef Jung. "Und wenn wir es schaffen, den großen Supermarktketten, den großen Schlachthöfen und den großen Molkereien einen Teil von diesem Geld abzujagen, dann müsste der Verbraucher nicht viel mehr bezahlen."

Auf der Wunschliste der "Freien Bauern" für Landwirtschaftsminister Özdemir stehen drei Ideen ganz oben. Erstens soll eine deutlich sichtbare Herkunftsbezeichnung den Konsumenten helfen, lokale Produkte einfacher zu identifizieren. Zweitens wünschen sie sich fairere Lieferbeziehungen. Die Bauern wollen im Voraus wissen, welche Preise sie erzielen. Unter den derzeitigen Bedingungen bezahlen die großen Lebensmittelproduzenten die Bauern erst im Nachhinein, abhängig von den Marktverhältnissen zum Zeitpunkt des Verkaufs.

"Ausbeuterisches System"

Speziell im Milchbereich sei dieses System extrem ausbeuterisch, kritisiert Jung. "Erst rund einen Monat nach dem Verkauf erfährt der Bauer, wieviel er tatsächlich für einen Liter Milch bekommt. Nämlich das, was übrig bleibt, nachdem alle anderen Zwischenhändler ihren Schnitt gemacht haben."

Schließlich fordert Jung ein "Entflechtungsgesetz". Das soll die Monopole der großen Industrieunternehmen aufbrechen. Ein solches Gesetz könne den Wettbewerb stärken und so sogar zu niedrigeren Preisen für die Verbraucher führen, erwartet Jung. Und es eröffne "den Landwirten die Möglichkeit, sich selbst aktiv am Wettbewerb zu beteiligen."

Die Herkunftsbezeichnung ist im neuen Koalitionsvertrag bereits verankert. Entflechtungsgesetz und faire Lieferbedingungen sind zumindest angesprochen: Die neue Regierung plant die Entwicklung eines "durch Marktteilnehmer getragenen finanziellen Systems, mit dessen Einnahmen zweckgebunden die laufenden Kosten landwirtschaftlicher Betriebe ausgeglichen und Investitionen gefördert werden."

Ein sehr viel größerer Lobbyverband als die "Freien Bauern" ist der Deutsche Bauernverband. Der hält ein "Entflechtungsgesetz" zum Aufbrechen der Monopole weder politisch noch juristisch für wahrscheinlich. "Die Landwirte stehen unter sehr hohem Druck, weil die Händler sehr scharf verhandeln", weiß Uwe Hemmerling, stellvertretender Generalsekretär des Bauernverbandes. Im DW-Interview gibt Hemmerling zu bedenken: "Es gibt nur wenig internationale Beispiele, wo es den Wettbewerbsbehörden wirklich gelungen ist, zu konzentrierte Unternehmen zu entflechten."

Hemmerling vertritt eher bescheidene Forderungen, zum Beispiel eine staatliche Prämie für Landwirte, die besseren Tier- oder Umweltschutz bieten. Eine solche staatliche Förderung scheint angesichts der Ambitionen Özdemirs unvermeidlich. Und könnte doch schwer durchzusetzen sein. Denn auf Drängen der Freien Demokraten (FDP) hat die Koalition bereits Steuererhöhungen und eine zusätzliche Kreditaufnahme ausgeschlossen.

Ökologisch und sozial

Dazu kommt der soziale Aspekt. Gerade eine Mitte-Links-Regierung unter einem sozialdemokratischen Kanzler kann nicht ignorieren: Höhere Lebensmittelpreise wären speziell für die Geringverdiener in Deutschland problematisch.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben 2019 gut sieben Millionen Menschen in Deutschland "Leistungen der sozialen Grundsicherung" erhalten. Mithin ist fast jeder zehnte auf staatliche Hilfe angewiesen. Für die weniger Wohlhabenden, so fordert es der Paritätische Wohlfahrtsverband, müsse es einen Ausgleich für steigende Lebensmittelpreise geben.

"Eine gute offensive Sozialpolitik muss mit einer guten Klima- und Umweltpolitik Hand in Hand gehen", fordert Verbandsgeschäftsführer Ulrich Schneider. "Die Menschen müssen das Gefühl haben mitgenommen zu werden."

Insofern findet Schneider es "bedauerlich", dass Özdemir vor allem von steigenden Lebensmittelpreisen spreche. Besser wäre es gewesen, Fragen von Ökologie und nachhaltigen Unternehmen in den Mittelpunkt zu stellen.

 

Matthias von Hein hat diesen Text aus dem Englischen übersetzt.

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