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Deutschlands Lehren aus Afghanistan: Bundestag zieht Bilanz

29. Januar 2025

Das Parlament wollte wissen, warum der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan von 2001 bis 2021 gescheitert ist - und was man daraus für andere Auslandseinsätze lernen kann. Offenbar sehr viel.

Ein Bundeswehrsoldat blickt aus seinem gepanzerten Fahrzeug auf eine Gruppe von afghanischen Männern und Kindern, die auf einer unbefestigten Straße stehen. Es ist nicht zu erkennen, ob sie neugierig oder ängstlich in Richtung des Militärfahrzeugs gucken.
Freund oder Feind? Die Bundeswehr wurde von den Menschen in Afghanistan zunehmend skeptischer betrachtet (Archivbild aus dem Jahr 2008)Bild: Anja Niedringhaus/AP/picture alliance

"So, wie wir in Afghanistan gescheitert sind, dürfen wir nie wieder scheitern", sagt Schahina Gambir. Die 23-jährige Bundestagsabgeordnete der Grünen gehörte zur Enquête-Kommission, die zweieinhalb Jahre lang den letztlich größtenteils erfolglosen internationalen Afghanistan-Einsatz von 2001 bis 2021 unter die Lupe genommen hat. Nun liegt der Abschlussbericht vor und das Parlament wird über die politischen Schlussfolgerungen debattieren.      

Die in der afghanischen Hauptstadt Kabul geborene und in Deutschland aufgewachsene Gambir zieht ein bitteres Fazit: "Der 20-jährige Einsatz in Afghanistan war der größte, der teuerste und der opferreichste Einsatz der Geschichte." 59 Soldaten der Bundeswehr sind bei der Militär-Mission ums Leben gekommen. Auslöser waren die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA. Am Ende eroberten die radikalislamischen Taliban Afghanistan zurück. Seitdem hat sich besonders die Lage der Frauen und Mädchen dramatisch verschlechtert. 

Plädoyer für mehr Diplomatie

"Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands" – so lautete der Arbeitsauftrag für die Enquête-Kommission. Deren Vorsitzender Michael Müller (SPD) nennt klare Bedingungen für künftige Auslandseinsätze: Neben militärischen Aspekten müsse die humanitäre Hilfe ebenso im Blick behalten werden wie ein stärkeres diplomatisches Engagement.

"Wir müssen eine selbstkritische Bestandsaufnahme vornehmen", fordert der Sozialdemokrat. Er verweist auf die aktuelle Weltlage und hält eine bessere internationale Koordinierung für unverzichtbar: "Wir sehen Krisen und Kriege. Und wir erfahren immer deutlicher, dass Deutschland auch in Zukunft gefordert sein wird, in diesen Krisen eine aktive Rolle zu spielen."

Für den Afghanistan-Einsatz gab es keine klare Strategie 

Unter dem Eindruck des gescheiterten Afghanistan-Einsatzes finden sich im Abschlussbericht mehr als 70 Empfehlungen an die Politik: "Zukünftige Engagements bedürfen einer ausformulierten Strategie, die klare, überprüfbare und realistische Ziele benennt und beabsichtigte Wirkungen definiert." Fast alles hat nach Einschätzung der Enquête-Kommission und der von ihnen befragten Sachverständigen in Afghanistan gefehlt.   

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Für künftige Auslandseinsätze wird allen daran Beteiligten empfohlen, ein gemeinsames Lagebild zu entwerfen und die einheimische Bevölkerung besser einzubinden: "Im Einsatzland selbst sollte unter Berücksichtigung des kulturellen und religiösen Kontextes zielgruppengerecht kommuniziert werden." Ein konkreter Vorschlag: Informationen von rückkehrenden Fachleuten aus dem Einsatzgebiet gleichermaßen in die Analyse einfließen zu lassen, wie die von Verbündeten und Partnern aus der Zivilgesellschaft. 

In der Bundesregierung wurde zu wenig über Afghanistan kommuniziert

Während des deutschen Engagements in Afghanistan gab es nach Erkenntnissen der Enquête-Kommission und seines Vorsitzenden Michael Müller zu wenig Erfahrungsaustausch. Innerhalb der Bundesregierung habe praktisch keine Abstimmung zwischen den Ministerien stattgefunden. "Jedes Ressort hat für sich mit großem Engagement aus der eigenen Perspektive heraus etwas vorangetrieben", lobt und tadelt Müller die Vorgehensweise. 

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Trotz allen Eifers habe anscheinend der Blick für das große Ganze gefehlt. Das Verteidigungs- und Entwicklungsministerium hätten sich ebenso wenig ausgetauscht wie das Außen- und Innenministerium. Und auch im Bundeskanzleramt hat es offenbar an der notwendigen Koordination gefehlt. So sieht es mehrheitlich auch der Afghanistan-Untersuchungsausschuss, der parallel zur Enquête-Kommission getagt hat.

Prominenteste Zeugin im Untersuchungsausschuss: Angela Merkel   

Im Fokus seiner Arbeit stand der überstürzte Abzug der Bundeswehr und die chaotische Evakuierung von Deutschen und afghanischen Ortskräften, als die Taliban im August 2021 in Kabul einmarschierten. Als letzte Zeugin im Untersuchungsausschuss war im Dezember 2024 die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel befragt worden. Dabei räumte die Christdemokratin (CDU) schwerwiegende Versäumnisse in der Afghanistan-Mission ein: "Die kulturellen Unterschiede wogen schwerer, als ich es mir vorstellen konnte."

Zugleich plädierte Merkel dafür, das humanitäre Engagement auch nach der Machtübernahme der Taliban fortzusetzen. Das ist ganz im Sinne Michael Müllers. Die Lage in Afghanistan sei katastrophal. Deutschland müsse in dem Land keine Botschaft eröffnen, aber solle mit eigenem Personal sichtbar sein. Ein schwieriger Spagat, das ist Müller klar: "Man wird nicht darum herumkommen, mit den Taliban zu reden. Aber natürlich wollen wir uns mit diesem Regime nicht gemein machen."

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland