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Deutschlands "Notunterkünfte"

Greta Hamann2. Oktober 2014

Die Zahl der Flüchtlinge steigt stark an. Deutschland ist darauf nicht vorbereitet - Länder und Kommunen suchen händeringend nach Möglichkeiten für die Unterbringung. In Bonn wird nun ein Bürogebäude umgebaut.

Eine Notunterkunft für Flüchtlinge. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Raum, in dem die erste Informationsveranstaltung stattfindet, füllt sich. Die Menschen murmeln, immer mehr drängen in den stickigen Saal im Bonner Stadtteil Bad Godesberg. Es ist eng, viele finden keinen Sitzplatz mehr. Sie sind gekommen, um mehr zu erfahren über das Projekt der Bezirksregierung. Direkt in ihrer Nachbarschaft soll eine sogenannte "Notunterkunft" für Flüchtlinge entstehen. Diesen Begriff nutzen Kommunen und Länder in letzter Zeit immer häufiger, offiziell gibt es in Deutschland aber eigentlich keine Notunterkünfte für Flüchtlinge.

"Die Flüchtlingszahlen steigen, und wir wissen noch nicht, wie es in den nächsten Monaten aussehen wird. Aber eines ist sicher.Die Tendenz ist steigend." Thomas Sommer von der zuständigen Bezirksregierung in NRW hat zu der Veranstaltung eingeladen. Er steht vor rund 300 Anwohnern, sichtlich angespannt.

Der Mann steht unter Zeitdruck. Seit wenigen Tagen erst steht fest, dass das leer stehende Gebäude hier im Stadtteil Bad Godesberg als vorläufige Unterkunft für Flüchtlinge genutzt werden kann. Heute informiert er die Anwohner, fast zeitgleich wird das Gebäude aus- und umgebaut, Toiletten- und Duschcontainer werden in den nächsten Tagen angeliefert und in weniger als zwei Wochen sollen schon die ersten Menschen in den Büroräumen übernachten.

"Vor unseren Erstaufnahmestationen stehen jeden Tag 100 bis 200 Menschen. Über das kommende Wochenende werden wir es erst einmal noch schaffen." Doch spätestens dann brauche er mehr Schlafplätze, so Thomas Sommer weiter.

Deutschland ist schlecht vorbereitet auf Flüchtlinge

Noch nie in der Geschichte der UN habe es so viele Flüchtlinge gegeben wie jetzt, sagte erst kürzlich der UN-Generalsekretär Ban-Ki Moon. Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht.

Rund 300 Anwohner wollten sich über die neue "Notunterkunft" informierenBild: DW/G. Hamann

Doch Deutschland scheint darauf nicht vorbereitet zu sein. In Duisburg musste erst kürzlich eine Zeltstadt aufgebaut werden, in Köln sollen Flüchtlinge in einem ausgedienten Baumarkt untergebracht werden - ohne Zwischenwände - oder, wie im Fall Bonn, in einem Bürogebäude.

"Wir sind an einem Tiefpunkt in Sachen Unterbringung von Flüchtlingen angekommen - und es wird noch schlimmer werden“, sagt Claus-Ulrich Prölß vom gemeinnützigen Flüchtlingsrat in Köln. Deutschland sende erschreckende Zeichen in die Welt: Schlechte Unterbringung, wenig Betreuung, Missbrauch. Teilweise müssen Flüchtlinge mehrere Monate in den zunächst nur als Not- oder wie es im Fall Bonn beschrieben wurde "Überflussunterkünften" verbringen, da ihre Asylanträge nur langsam bearbeitet werden.

Doch die Probleme seien hausgemacht, meint Claus-Ulrich Prölß: "Die Bezirksregierung hat viel zu wenige Mitarbeiter. Sie können die Anträge nicht schneller bearbeiten." Man wolle den hilfesuchenden Menschen gar nicht erst entgegenkommen, so Prölß. "Wahrscheinlich setzen die Verantwortlichen darauf, dass sich die schlechten Umstände herumsprechen und somit weniger Menschen ins Land kommen." Eine These, die auch große Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl teilen. "Eine lebendige Willkommenskultur sieht anders aus", kritisiert Prölß diese Vorgehensweise.

Bonner wollen Flüchtlingen helfen

In Bad Godesberg sorgen zumindest die Anwohner dem ersten Eindruck nach für die oft beschworene Willkommenskultur. "Am wichtigsten ist uns, dass die Menschen hier ordentlich untergebracht werden", sagt ein Nachbar. Eine Frau, die ebenfalls in der Nähe wohnt, weist auf die kürzlich bekannt gewordenen Missbrauchsfälle hin und fordert, dass kein Privatunternehmen als Betreiber der Unterkunft engagiert wird: "Wir sind sehr erleichtert, dass sie mit dem Deutschen Roten Kreuz im Gespräch sind.“ Ein anderer Anwohner fragt: "Wie und wo können wir helfen?"

Mira (14) und Kaja (16) Zimmermann wollen den Flüchtlingen helfenBild: DW/G. Hamann

Auch die beiden Schwestern Mira und Kaja Zimmermann sind heute hergekommen, um zu erfahren, wie sie die Flüchtlinge unterstützen können: "Wir würden gerne Jugendlichen in unserem Alter Nachhilfe geben oder ihnen mehr über unsere Stadt erzählen." Am gleichen Abend wird bereits entschieden, dass man die zahlreich angebotene Hilfe über das Bezirksamt organisieren wolle.

Nach mehr als einer Stunde neigt sich die Veranstaltung dem Ende entgegen. Thomas Sommer ist die Erleichterung ins Gesicht geschrieben, sein Kopf ist zwar noch ein bisschen rot, doch mittlerweile kann er lächeln: "Dieser Abend war sehr angenehm, ich habe schon ganz Anderes erlebt", sagt der Bezirksregierungsvertreter und erinnert sich an Veranstaltungen, bei denen Rechtsradikale fremdenfeindliche Parolen verbreiteten. Doch auch an diesem Abend gab es die Skeptiker und die Menschen, die Ausländern gegenüber nicht unbedingt freundlich eingestellt sind. Thomas Sommer konnte sie über den Applaus, den die zahlreichen Hilfsangebote der Anwohner an die Flüchtlinge erhielten, am Kopf des Saales nur nicht hören.

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