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Deutschlands Regierung streitet über den Wehrdienst

13. August 2025

Die ersten 100 Tage der von Kanzler Friedrich Merz geführten Regierung liefen nicht immer rund. Auch in der Sicherheitspolitik gibt es Differenzen: Reicht ein freiwilliger Dienst bei der Bundeswehr aus?

Soldaten in der grauen Uniformjacken und mit grünen Baretten präsentieren ihre Gewehre
Mit rund 183.000 Soldaten ist die Bundeswehr zu klein, um ihre Aufgaben in der NATO zu erfüllen Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Die Bundeswehr braucht zügig mehr Personal - darüber sind sich die Regierungsparteien, die Sozialdemokraten und die konservativen Unionsparteien CDU und CSU, einig. CDU-Kanzler Friedrich Merz will aus der Bundeswehr die konventionell stärkste Armee Europas machen, wozu es eine bessere Ausrüstung und mehr als die derzeit gut 183.000 Soldatinnen und Soldaten braucht. Nach den Vorgaben der NATO müsste die Bundeswehr um 60.000 Soldaten aufgestockt werden.

Die Bundeswehr muss also wachsen, aber wie? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Für die SPD liegt die Lösung in einer Reform des freiwilligen Wehrdienstes. Doch der Gesetzentwurf aus dem SPD-geführten Verteidigungsministerium, den das Kabinett Ende August beschließen will, stößt in der Union auf Unmut. Bei einem der wichtigsten sicherheitspolitischen Themen, der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands, hängt der Haussegen in der Regierungskoalition derzeit schief. 

SPD-Verteidigungsminister Pistorius setzt auf Freiwilligkeit

Worum geht es? Laut dem Gesetzentwurf soll der Wehrdienst ab 2026 attraktiver werden, aber er bleibt freiwillig. Die Wehrpflicht, die es bis 2011 in Deutschland gab, wird nicht wieder eingeführt. So steht es auch im Koalitionsvertrag: "Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert."

Verteidigungsminister Boris Pistorius will dafür sorgen, dass der Wehrdienst "eine richtig gute und sinnstiftende Zeit" für junge Menschen wirdBild: Bundeswehr/Foto: Johannes Heyn

Die Freiwilligkeit ist den Sozialdemokraten immens wichtig. Eine Wehrpflicht lehnen sie ab, das sei ein zu massiver Eingriff in das Leben junger Menschen. SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius ist überzeugt: Ein freiwilliger Wehrdienst, der interessanter und besser bezahlt ist als der jetzige, wird genügend junge Leute anziehen. Und zwar "im Schnitt 25.000 bis 30.000 jedes Jahr", wie er kürzlich prophezeite, und das "ohne große Mühe".

Der Sold soll deutlich steigen, die Ausbildung wird modernisiert und ergänzt, etwa um den Umgang mit Drohnen. Sprachkurse oder die Möglichkeit, den Führerschein zu machen, gehören auch zum Angebot. Sechs Monate soll der Dienst mindestens dauern. 

Stehen die Bewerber künftig Schlange bei der Bundeswehr?

Den Optimismus des Verteidigungsministers teilen beim Koalitionspartner CDU und CSU nicht alle. Darauf zu bauen, dass sich genügend Freiwillige finden, reiche in der sicherheitspolitisch angespannten Lage nicht aus. Ein gravierender Mangel des Wehrdienst-Gesetzes sei, "dass die NATO-Ziele, zu denen wir uns verpflichtet haben, komplett fehlen", kritisierte Fraktionsvize Norbert Röttgen in der Tageszeitung "Die Welt".

Der CDU-Politiker Norbert Röttgen wünscht sich konkrete Zielmarken für die PersonalgewinnungBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Es gebe keine konkreten Zahlen und Zeitvorgaben, bis wann Deutschland welche Ziele beim Aufwuchs der Streitkräfte erreicht haben müsse. "Damit fehlt jeder Maßstab, ob wir auf Kurs sind - oder nachsteuern müssen", argumentiert der CDU-Außenpolitiker Röttgen. "Wir haben keine Zeit für Fehler, die wir mit offenen Augen sehen."

Ein Fragebogen zwingt zur Beschäftigung mit der Bundeswehr

Obwohl der Wehrdienst selbst freiwillig bleibt, sieht das Gesetz auch verpflichtende Elemente vor. Nach den Plänen des Verteidigungsministers erhalten ab dem kommenden Jahr alle 18-jährigen Männer und Frauen Post von der Bundeswehr. Ein QR-Code auf dem Schreiben führt zu einem Fragebogen im Internet. Darin wird nach der Bereitschaft gefragt, in der Bundeswehr zu dienen. Männer müssen ihn ausfüllen, für Frauen ist das freiwillig.

Der Sinn des Fragebogens: Junge Menschen sollen sich aktiv damit auseinandersetzen, ob sie sich den Dienst in den Streitkräften vorstellen können. Dadurch, so hofft der Verteidigungsminister, werde die Zahl der Bewerbungen weiter steigen. Bereits jetzt leisten mehr junge Leute als zuvor freiwillig Wehrdienst. Ihre Zahl lag Ende Juli bei insgesamt gut 11.000, was ein Anstieg von rund 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr war. 

Ab 2027 werden alle jungen Männer gemustert

Das neue Gesetz sieht noch einen weiteren Zwang vor: Künftig werden alle jungen Männer gemustert, also zu einer ärztlichen Untersuchung gebeten, auch wenn sie kein Interesse am Wehrdienst bekundet haben. Nach den Plänen des Verteidigungsministers sollte die Musterung ab Anfang 2028 für alle 18-jährigen Männer verpflichtend werden. 

Nachdem die Union ein schnelleres Tempo angemahnt hatte, wird der Beginn auf Juli 2027 vorgezogen. Dem CDU-Politiker Norbert Röttgen ist das immer noch zu langsam. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das noch einmal zwei Jahre dauere. Er halte dieses Schneckentempo für sicherheitspolitisch unverantwortlich.

Befragung zur Armee wie in Schweden, aber ohne Dienstpflicht

Mit der Einführung des Fragebogens folgt die Bundesregierung dem Vorbild Schwedens. Allerdings nur zum Teil. Denn in Schweden werden junge Leute zum Dienst in der Armee verpflichtet, wenn der Bedarf der Armee höher ist als die Zahl der freiwilligen Bewerber. Das ist regelmäßig der Fall, wobei die ausgefüllten Fragebögen als Grundlage für die Auswahl dienen. In Deutschland ist ein solcher Mechanismus nicht vorgesehen.

Nachdem immer weniger junge Männer eingezogen wurden, wurde die Wehrpflicht 2011 ausgesetztBild: Thomas Trutschel/photothek/dpa/picture alliance

Was aber ist, wenn der neue freiwillige Wehrdienst nicht so zündet, wie der Verteidigungsminister sich das vorstellt? Oder wenn die Sicherheitslage sich dramatisch verschlechtert? In diesem Fall kann das Kabinett mit Zustimmung des Bundestags beschließen, zur Wehrpflicht zurückzukehren. So sieht es das neue Gesetz vor. Es beinhaltet aber ausdrücklich keinen Automatismus, der in bestimmten Fällen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht vorschreibt.

CDU und CSU zweifeln am Erfolg des freiwilligen Wehrdienstes

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch betont sogar, dass es in dieser Legislaturperiode, also bis 2029, keine Verhandlungen über eine Rückkehr zur Wehrpflicht geben werde. Im Gegensatz dazu sähen es viele in den Unionsparteien CDU und CSU lieber, wenn eine Wiedereinführung der Wehrpflicht direkt mit eingeplant würde. Sie hegen Zweifel am Erfolg des neuen freiwilligen Wehrdiensts und verweisen auf die wachsende Bedrohung durch Russland. 

"Wir haben nicht die Zeit, bis zum Sankt Nimmerleinstag zu warten, sondern wir brauchen schon eine klare Verabredung, bis wann wir unsere Strategie verändern müssen", betonte Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Die Zielmarke von 60.000 zusätzlichen Soldaten stehe. Sollte sie nicht mit Freiwilligen erreicht werden, dann "mit anderen Mitteln", so Frei - also mit der Wehrpflicht.

Die Wehrpflicht steht weiter im Grundgesetz

Die Wehrpflicht für junge Männer hatte 2011 nicht etwa ein Sozialdemokrat, sondern ein CSU-Politiker beendet: der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Das sei ein Fehler gewesen, urteilt Bundeskanzler Friedrich Merz heute.

Da die Wehrpflicht nur per Gesetz außer Kraft gesetzt wurde, aber weiterhin in der Verfassung steht, könnte sie mit einfacher Parlamentsmehrheit reaktiviert werden. Im Krisenfall, darauf weist Verteidigungsminister Pistorius hin, wäre es also möglich, zügig zur Wehrpflicht zurückzukehren.