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Deutschlands Rolle im Jugoslawien-Konflikt

Verica Spasovska19. Juli 2010

Die damalige Europäische Gemeinschaft hat auf den Zerfall Jugoslawiens konfus reagiert. Deutschland war Vorreiter bei der Anerkennung, hat sich aber inzwischen sogar in Serbien Respekt und Sympathien erworben.

2010_06_29Jugoslawien_flagge_Zerfall_art.jpg, DW-Grafik: Olof Pock/Simone Hüls
Symbolbild Jugoslawien ZerfallBild: DW

Als im Sommer 1991 die Kampfhandlungen zwischen serbischen Milizen und kroatischen Truppen immer heftiger wurden, wurde klar, dass im ehemaligen Jugoslawien nicht nur Menschenrechte verletzt wurden, sondern auch der Friede und die Stabilität in ganz Europa auf dem Spiel standen.

Allerdings konnten sich die Mitglieder der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) nicht auf eine gemeinsame Handlungslinie einigen. Ein schlüssiges Gesamtkonzept für alle jugoslawischen Nachfolgestaaten ging in fruchtlosen Positionskämpfen unter.

Deutschlands Vorreiterrolle bei der Anerkennung

Vor allem die Frage der Anerkennung der auseinanderstrebenden Republiken - insbesondere Sloweniens und Kroatiens - als unabhängige Staaten spaltete die EG-Mitglieder. Während Staaten wie Frankreich, Großbritannien und Spanien, die selbst mit regionalistischen Bewegungen konfrontiert waren, den Status quo erhalten wollten, setzte sich Deutschland vehement für die Anerkennung ein.

Hans-Dietrich Genscher (links) mit Kanzler Helmut Kohl 1991 in MaastrichtBild: AP

Der damalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher betrachtete die Anerkennung als einziges politisches Druckmittel gegen die Politik des serbischen Regierungsführers Slobodan Milosevic, nachdem Wirtschaftssanktionen gegen Serbien am Widerstand anderer EG-Mitglieder gescheitert waren. Sein Ziel war es, die Kampfhandlungen auf kroatischem Territorium zu beenden, wozu der Rückzug der jugoslawischen Armee (JNA) Voraussetzung war. In einem souveränen Kroatien hatte die JNA keine Legitimation mehr.

Viel Kritik an Deutschland

Dass Deutschland die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens vehement vorantrieb, brachte der deutschen Außenpolitik den Vorwurf ein, im Alleingang und voreilig die Loslösung der Staaten befördert zu haben. Kritiker behaupteten, dass dadurch der Zerfall Jugoslawiens beschleunigt wurde. Doch die Auflösung des Vielvölkerstaates wurde vor allem von den regionalen Akteuren selbst betrieben. Kritisch zu bewerten ist allerdings die Tatsache, dass die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens durch Deutschland erfolgte, noch bevor die Ergebnisse der von der EG einberufenen unabhängigen Experten-Kommission unter dem französischen Verfassungsrichter Badinter vorlagen. Das erschütterte die Glaubwürdigkeit der EG.

Das Vorgehen der deutschen Außenpolitik brachte Deutschland in Kroatien große Sympathien ein, in serbischen Medien wurde es hingegen als Affront gegen Serbien gegeißelt. Innerhalb der EG nährte die deutsche Anerkennungspolitik den Argwohn, das wiedervereinigte Deutschland wolle mit Hilfe der Jugoslawien-Politik wieder eine Führungsrolle unter den europäischen Mächten übernehmen.

Wie wenig sensibel die Vorgänge im ehemaligen Jugoslawien innerhalb der EG betrachtet wurden, zeigt die Auswahl des Datums für die Anerkennung Bosnien-Herzegowinas: der 6. April - ausgerechnet der Jahrestag des deutschen Bombardements Belgrads im Zweiten Weltkrieg, das die Zerschlagung des ersten jugoslawischen Staates einleitete.

Erstmals nach dem 2. Weltkrieg deutsche Beteiligung an Kriegshandlungen

Auf diesem Friedhof in Sarajevo liegen viele Opfer des Krieges in Bosnien-HerzegowinaBild: AP

Als wenige Tage später, im Mai 1992, in Bosnien-Herzegowina der Krieg ausbrach, war eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik noch immer nicht in Sicht. Humanitäre Hilfe wurde zum Ersatz für politisches oder militärisches Handeln. Die UNO war vollkommen überfordert. Erst das diplomatische und militärische Eingreifen der USA beendete den Konflikt nach dreieinhalb Jahren.

Doch damit war der Konflikt in der mehrheitlich albanisch besiedelten serbischen Provinz Kosovo, die ebenfalls nach Unabhängigkeit strebte, noch nicht geschlichtet. Die serbische Regierung unter Slobodan Milosevic versuchte, diese Bestrebungen mit aller Macht zu unterdrücken und reagierte mit massiven Vertreibungen der Albaner.

1999 entschied sich die Nato, militärisch in diesen Konflikt einzugreifen. Deutschlands Beteiligung an diesem Einsatz war die größte Zäsur deutscher Außenpolitik seit Bestehen der Bundesrepublik. Denn erstmals seit 1949 beteiligte sich die Bundesrepublik Deutschland an einem Kriegseinsatz, und zwar unter der Mitte-Links-Regierung von Gerhard Schröder.

Ein deutscher Bundeswehrsoldat 2001 im südlichen KosovoBild: AP

Der verfassungsrechtliche Rahmen für den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Nato-Bündnisgebietes war bereits 1994 vom Bundesverfassungsgericht durch die sogenannte Awacs-Entscheidung gegeben. Vorraussetzung war, dass der Bundestag zustimmt. Der Einsatz der Nato gegen Serbien war völkerrechtlich allerdings nicht unproblematisch: Denn völkerrechtlich gab es keine Legitimation für ein humanitär begründetes militärisches Eingreifen in das Herrschaftsgebiet eines souveränen Staates.

Entsprechend hoch schlugen die Wellen in der deutschen Öffentlichkeit über diesen Einsatz. Befürworter sahen darin eine logische Folge des größeren politischen Gewichts, das Deutschland nach der Wiedervereinigung in Europa erlangt hatte. In Serbien wurde die deutsche Beteiligung am Nato-Einsatz hingegen in die Tradition angeblicher antiserbischer Ressentiments eingeordnet.

Wertschätzung für Deutschland als Motor europäischer Integration

Deutschland hat in der Öffentlichkeit derjenigen Nationen, die sich in ihrer Loslösungspolitik unterstützt sahen, bis heute große Sympathien. Deutschlands Rolle als starke wirtschaftliche Kraft innerhalb der EU und als Motor der europäischen Integration wird von den jugoslawischen Nachfolgestaaten respektiert und anerkannt. Selbst in Serbien werden die antideutschen Töne in den Medien schwächer. Mit Blick auf das Ziel, möglichst bald selbst Mitglied der EU zu werden, schätzt man heute allenthalben das Engagement Deutschlands, für alle jugoslawischen Nachfolgestaaten die EU-Perspektive aufrechtzuerhalten.

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