Deutschlands sanfter Druck auf Venezuela
23. September 2020Spanien war dabei, auch Großbritannien, Österreich, Frankreich, Dänemark und Schweden. Die USA sowieso und auch viele lateinamerikanische Länder. Was sprach also dagegen, sich außenpolitisch klar zu positionieren, ein Signal an die viel gescholtene Regierung zu senden und der aufblühenden Opposition einen Hauch mehr Legitimität zu verleihen?
Wenig bis gar nichts, dachte sich die Bundesregierung - am 4. Februar 2019 verkündete Angela Merkel, den venezolanischen Parlamentspräsidenten Juan Guaidó als Interimspräsidenten anzuerkennen. Zuvor hatte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro ein Ultimatum für Neuwahlen verstreichen lassen. Deutschland war sich wie 60 andere Staaten sehr sicher, dass der Machtwechsel in Venezuela unmittelbar bevorstand.
Deutschlands Diplomatie-Spagat
19 Monate später, mit einem beinahe zum Statisten degradierten Juan Guaidó, einem Nicolás Maduro, der fester im Sattel zu sitzen scheint als je zuvor und einem UN-Bericht, welcher der Maduro-Regierung außergerichtliche Exekutionen und den systematischen Einsatz von Folter seit 2014 vorwirft (Caracas antwortete, der Bericht sei gespickt mit Unwahrheiten), muss sich Deutschland weiter fühlen wie ein Leistungsturner, der immer und immer wieder zum gleichen, schmerzhaften Spagat ansetzt.
Oder wie es Günter Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik ausdrückt: "Deutschland als Inhaber der EU-Ratspräsidentschaft muss einerseits auf eine gemeinsame Position der politischen Opposition hinwirken, muss andererseits aber auch den Gesprächsfaden mit dem Maduro-Regime aufrechterhalten."
Die Mission, im Venezuela-Konflikt erfolgreich zu vermitteln, ist anderthalb Jahre später noch deutlich schwieriger geworden als Anfang 2019: Damals gingen Zehntausende in Caracas gegen Präsident Maduro auf die Straßen, der eloquente Guaidó war Hoffnungsträger und alleiniger Oppositionsführer zugleich, Maduro schien angeschlagen wie ein taumelnder Boxer, weil ihm auch einige Militärs den Rücken zukehrten. Heute wäre Deutschland wahrscheinlich froh, so eine Ausgangsposition für ein zu befriedendes Venezuela vorzufinden.
Guaidó hat Machtkampf gegen Maduro - bislang - verloren
Denn September 2020 gibt es keine Proteste mehr, weil die Venezolaner müde und mit dem täglichen Überlebenskampf genug beschäftigt sind, die Opposition ist gespalten zwischen Guaidó und dem früheren Präsidentschaftskandidaten Henrique Capriles, und Maduro kann mit einem Sieg bei den von ihm forcierten Parlamentswahlen im Dezember seine Macht weiter zementieren. Und dann ist da ja auch noch die Corona-Krise, unter der auch Venezuela ächzt und die Machtwechsel generell erschwert.
"Deutschland und Europa sollte darauf verzichten, sich nun zu einer der beiden bekanntesten Oppositionspersönlichkeiten Guaidó oder Capriles 'zu bekennen', sondern auf eine Allianz der zersplitterten politischen Kräfte mit den zivilgesellschaftlichen Gruppen und Organisationen setzen", sagt der Venezuela-Experte Günther Maihold, man müsse "die Reichweite des politischen Widerstandes gegen das Maduro-Regime auf eine breitere Basis jenseits der alten politischen Eliten stellen."
Konstantin Kuhle will den Internationalen Strafgerichtshof ermitteln lassen
Denken die deutschen Politiker genauso? Wer das wissen will, muss bei der sogenannten Parlamentariergruppe der Andenstaaten nachfragen. Konstantin Kuhle ist stellvertretender Vorsitzender und sagt angesichts des UN-Berichtes: "Das Regime von Nicolás Maduro schreckt nicht vor schweren Verletzungen der Menschenrechte zurück, um eine sozialistische Diktatur aufrecht zu erhalten. Als nächster Schritt muss der Internationale Strafgerichtshof tätig werden."
Auch die Vereinten Nationen waren dafür eingetreten, dass sich Den Haag im Interesse der Opfer zeitnah mit den Vorwürfen befassen solle. Doch der Vorstoß zur gerichtlichen Untersuchung der mutmaßlichen Verbrechen, bereits 2018 von Kolumbien, Argentinien, Peru, Chile, Paraguay und Kanada ins Spiel gebracht, blieb bislang aus.
Bundesregierung und Europäische Union sollten das Ergebnis der Parlamentswahl, die von Teilen der Opposition boykottiert wird, auf alle Fälle nicht anerkennen, fordert FDP-Politiker Kuhle. Und die frühe Anerkennung von Juan Guaidó als Interims-Präsident? ”War ein richtiger Schritt, um die Legitimität des Parlaments zu unterstreichen.”
Simone Barrientos kritisiert Unterstützung für Guaidó
Das sieht Simone Barrientos ganz anders. "Ich halte die damalige Unterstützung für Juan Guaidó nach wie vor für falsch", sagt die Linken-Politikerin, die wie Kuhle zur Parlamentariergruppe der Andenstaaten gehört. Schon 2019 habe sie befürchtet, dass die eigenmächtige Ernennung Guaidós zum Interimspräsidenten Venezuela destabilisieren würde, statt einen politischen Dialog zu fördern: "Und das hat sich meiner Meinung nach bestätigt."
Nicolás Maduro wirft Guaidó immer wieder vor, nur eine Marionette Washingtons zu sein. Tatsächlich hatte US-Präsident Donald Trump im Februar Guaidó sogar im Weißen Haus empfangen und ihm seine Unterstützung zugesichert. Der Oppositionsführer wollte damit den außenpolitischen Druck auf Maduro erhöhen.
Doch der drehte einfach den Spieß um und kritisierte Guaidó für seinen Kuschelkurs mit den USA - ausgerechnet mit dem Land also, das Venezuela seit Jahren mit Wirtschaftssanktionen überzieht. "Das Chaos im Land hält an, viele Menschen sind erschöpft vom Machtkampf, der weiterhin tobt", erklärt Barrientos, "und Guaidó hat die Unterstützung der Demonstranten, die damals auf die Straße gingen, zum Großteil verloren."
Für Helge Lindh hat Nicolás Maduro jegliche Legitimation verspielt
Falsch, sagt Helge Lindh, SPD-Politiker und gleichfalls Mitglied in der Parlamentariergruppe der Andenstaaten, die Unterstützung von Guaidó bleibe richtig. Dies allein schon wegen des Berichtes der UN-Kommission. "Die Menschenrechtsverletzungen zeigen einmal mehr, dass Maduro seine Legitimation verspielt hat."
Auch Lindh fordert die Aufklärung der Verbrechen vor unabhängigen, womöglich auch internationalen Gerichten. Und freie, faire und demokratische Wahlen, unterstützt von der Europäischen Union. Doch wie realistisch ist das angesichts eines Präsidenten, der sich seit sieben Jahren mit allen Mitteln an der Macht hält und der Europäischen Union jüngst Intoleranz und Rassismus vorwarf?
Helge Lindh will die Hoffnung nicht aufgeben: "Wir erwarten deutlichere Signale: Faire Wahlen, Aufarbeitung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Dialogbereitschaft." Auch wenn Nicolás Maduro nicht einlenken sollte, auf eines könne sich Venezuela trotzdem auch in Zukunft verlassen: "Deutschland hat und wird weiterhin den Menschen Venezuelas mit humanitärer Hilfe zur Verfügung stehen."