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Deutschlands Stromautobahnen wachsen - schnell genug?

Dirk Kaufmann
16. Juli 2025

Ein entscheidender Faktor der Energiewende in Deutschland ist der Stromtransfer vom Norden des Landes in den Süden. Dazu braucht es gewaltige Investitionen in Stromtrassen. Wie weit ist das Land dabei bereits?

Drei Windräder und eine Überland-Stromleitung in der Nähe von Düren vor strahlend blauem Himmel
Grüner Strom - schön und gut. Doch wie soll er transportiert werden?Bild: Goldmann/dpa/picture alliance

Deutschlands Stromautobahnen wachsen - aber in welchem Tempo? Die Frage lässt sich so einfach nicht beantworten. Doch ein Blick auf die Details zeigt, wo es vorangeht und woran es noch hapert.

Für den Bau neuer Stromtrassen sind vier Übertragungsnetzbetreiber verantwortlich: 50Hertz Transmission für den Osten Deutschlands, Amprion für den Westen, TransnetBW für Baden-Württemberg im Südwesten und Tennet TSO für einen zentralen Korridor von Schleswig Holstein im Norden nach Bayern im Süden.

Für diese Unternehmen hat die Bundesnetzagentur fünf Schritte festgeschrieben, die bis zum Baubeginn abzuarbeiten sind.

Das beginnt mit dem Erstellen eines "Szenariorahmens", in dem die vier Netzbetreiber die wahrscheinliche Entwicklung von Energieangebot und -nachfrage darstellen sollen. Danach müssen sie einen "Netzentwicklungsplan" erstellen und einen "Umweltbericht" vorlegen. Im dritten Schritt wird ein "Bundesbedarfsplan" erstellt bevor, vierter Schritt, ein "Raumordnungsverfahren" durchgeführt wird. Der letzte Schritt ist dann die behördliche "Planfeststellung".

Nun könnte mit dem Bau begonnen werde, doch an dieser Stelle führt die Bundesnetzagentur oder auch eine zuständige Landesbehörde noch eine abschließende "Umweltverträglichkeitsprüfung" durch.

Der aktuelle Stand

Die Vorgaben des Bundes, die in den Gesetzen zum Ausbau von Energie­leitungen (EnLAG) und zum Bundesbedarfsplan (BBPIG) festgeschrieben sind, umfassen laut Bundesnetzagentur etwa 128 Bauvorhaben mit einer Gesamtlänge von 16.832 km Stromleitungen Ende 2024. Davon seien bereits 34 Vorhaben "vollständig fertiggestellt", so die Behörde.                                 

Das klingt nach viel und nach hohem Tempo. Allerdings rechnet auch die Bundesnetzagentur, dass die Bauarbeiten sich noch weitere acht bis 20 Jahre hinziehen werden. Wenn nicht weitere Vorhaben hinzukommen.

Ablenkungen

Hinzu kommen aber immer auch Irritationen. So sagte der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, im Mai 2025 dem Handelsblatt: "Wir müssen das System reformieren, nach dem Netzentgelte erhoben werden."

Bei vielen Stromkunden machen die Netzentgelte (eine Gebühr, die für die Nutzung des Stromnetzes fällig wird) mittlerweile ein Viertel der Stromkosten aus. Diese Entgelte sind regional unterschiedlich. Bislang zahlen nur die Stromverbraucher für die Netznutzung. Künftig könnten auch die Einspeiser von Strom zur Kasse gebeten werden, also etwa Betreiber von Kraftwerken oder Photovoltaik-Anlagen.

Wer privat mehr Strom produziert, als er verbraucht, speist ihn ins öffentliche Netz ein - bislang kostenlosBild: imago stock&people

Beim Netzausbau ist die Akzeptanz der Bürger und Steuerzahler extrem wichtig. Und bislang regt sich kaum genereller Widerspruch. Das könnte sich aber ändern, wenn es für den Stromkunden noch teurer wird. Denn ein zorniger Bürger kann für gewaltige Verzögerungen sorgen.

Es könnte auch schneller gehen

Das Ende der Ausbauprojekte zu terminieren, ist generell nicht möglich. "Der Netzausbau ist keine Aufgabe, die zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen sein wird", so Tennet-Sprecherin Maria Köhler. Es handele sich "um einen fortlaufenden Prozess" hin zu einem "Klimaneutralitätsnetz". Der umfasse eben den "Zielhorizont 2037 und einen erweiterten Blick bis 2045."

Im Einzelfall kann (oder besser gesagt: soll) es schneller gehen. 50Hertz hat, so Sprecherin Katrin Dietl, ehrgeizige Ziele: "In unserem Netzgebiet (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie Berlin und Hamburg) wollen wir bis zum Jahr 2032 übers Jahr gerechnet 100 Prozent Erneuerbare Energien sicher in Netz und System integrieren."

Was den Ausbau hemmt

Dass es aber nicht immer so schnell geht, weiß auch sie. "Hemmnisse beim Stromnetzausbau" seien unter anderem "Fachkräftemangel, Lieferengpässe oder langwierige Genehmigungsprozesse."

Tennet sieht die gleichen Probleme: Bei diesem "technisch und organisatorisch komplexen Vorhaben" spielten viele Faktoren wie "Genehmigungen und Abstimmungen mit Behörden über den Zugang zu Grundstücken bis hin zu Materialverfügbarkeit, Transportlogistik und Fachkräftekapazitäten" eine Rolle.

Netzbetreiber TransnetBW hebt einen Punkt besonders hervor: "Die größten Hemmnisse der Vergangenheit waren die langen und aufwändigen Genehmigungsverfahren", so Sprecherin Claudia Halici. Beim Projekt SuedLink habe "allein die Planung und Genehmigung ca. sieben Jahre in Anspruch genommen."

Auch die Bundesnetzagentur sieht dieses Problem. Marta Mituta nennt aber noch andere Stolpersteine, etwa "die kurzfristige Umplanung von Provisorien, artenschutzrechtliche Maßnahmen oder aktualisierte Ergebnisse von  Alternativenprüfungen."

Gründe für den Ausbau

Die Produktion "grünen" Stroms in Form von Windenergie findet hauptsächlich in den nördlichen Bundesländern statt. Dazu kommt Strom, der aus Skandinavien (Dänemark und Norwegen) bis an die Küsten von Nord- und Ostsee geleitet wird. Dieser muss in den Süden transportiert werden - und dafür muss das deutsche Fernstromnetz ausgebaut werden.

Beim Ausbau spielen zwei Aspekte eine Rolle. Zum einen geht es um die angestrebte Klimaneutralität. So soll bis 2045 der gesamte Strombedarf der Bundesrepublik aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. Zum anderen sind sicherheitspolitische Erwägungen in den vergangenen Jahren hinzugekommen. Nach der vom damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz so genannten Zeitenwende, dem Überfall Russlands auf die Ukraine, ist die Energieversorgung Deutschlands schwieriger geworden.

Welches Stromnetz braucht die Energiewende?

05:50

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Zwar ist es in erstaunlich kurzer Zeit gelungen, weitgehend von russischen Gas- und Öllieferungen unabhängig zu werden, doch energiepolitische Autarkie wird für Deutschland immer wichtiger.

Gleichstrom oder Wechselstrom

Beim Bau von Stromleitungen muss erst die Grundsatzfrage geklärt werden, in welcher Form die Energie transportiert werden soll: Als Gleichstrom oder als Wechselstrom? Hierbei erweist sich Gleichstrom, wenn es um längere Distanzen geht, als eindeutig wirtschaftlicher. Dabei treten die geringsten Spannungsverluste auf.

Teurer, aber sicherer: ein Erdkabel - hier die Stromtrasse "NordLink" in der Nähe von Büsum in NordfrieslandBild: Carsten Rehder/dpa/picture alliance

Aber um den Gleichstrom in Wechselstrom, wie er hierzulande aus den Steckdosen kommt, umzuwandeln, braucht es Konverterstationen. Die sind im Bau sehr teuer - rechnen sich aber, je länger die Strecke ist, über die der Strom transportiert wird.

Freileitung oder Erdkabel?

Eine andere Grundsatzfrage lautet: oberirdisch oder unterirdisch? Sturm und Schneefall ausgesetzte sowie militärisch besonders gefährdete Hochspannungsleitungen - oder Erdkabel? Die stören das Landschaftsbild nicht und sind besser geschützt gegen terroristische oder militärische Angriffe, sind aber viel teurer.

Die Netzbetreiber haben eine eindeutige Präferenz: "TransnetBW spricht sich schon lange dafür aus, den generellen Erdkabelvorrang bei neuen Höchstspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) abzuschaffen. Bei den Projekten OstWestLink, NordWestLink und SuedWestLink rechnen wir mit Einsparungen von 20 bis 23 Milliarden Euro im Vergleich zur Erdverkabelung", so Claudia Halici. Das entspräche etwa einer Halbierung der Kosten.

Die zwar anfällige, aber billigere Lösung für ein Stromnetz: die ÜberlandleitungBild: Andreas Franke/dpa/picture alliance

Katrin Dietl rechnet dabei auch mit Einsparungen von 20 Milliarden Euro: "Deshalb setzt sich 50Hertz bei den neuen Projekten für einen Wechsel auf Freileitungen ein." Aber unterwegs die Pferde zu wechseln sei keine gute Idee, sagt sie: "Ein Wechsel bei bereits gesetzlich bestätigten Maßnahmen würde potentiell zu erheblichen Verzögerungen führen."

Angst vor der Dunkelflaute

Der große Schwachpunkt erneuerbarer Energien ist ihre eingeschränkte Verfügbarkeit - nachts scheint die Sonne nicht und am und auf dem Meer gibt es nicht immer genug Wind. Das ist das Schreckgespenst für jeden Erzeuger Erneuerbarer Energien: die Dunkelflaute.

Umspanntrafo auf dem Gelände eines neuen Batteriegroßspeichers - ein Puffer gegen die "Dunkelflaute"Bild: Frank Molter/dpa/picture alliance

Dagegen kann man aber etwas tun. Mit Hilfe großer Speicher kann man Strom sozusagen "aufbewahren" und bei Bedarf wieder ins Netz geben. Das können Wasserspeicherwerke leisten, die es in Gebirgen oft gibt. Doch sie brauchen viel Platz und sind keine Schmuckstücke in der Landschaft. Und in der norddeutschen Tiefebene kann man sie mangels Bergen und Tälern überhaupt nicht installieren.

Stattdessen arbeiten Wissenschaftler daran, große unterirdische Batterien zu installieren. Die versprechen einen übersichtlich geringen Stromverlust bei gleichzeitig ständiger Verfügbarkeit der Energie. Die meisten Modelle sind jedoch noch nicht marktreif. Wenn sie es werden, könnten sie zu einer sinnvollen Ergänzung eines smarten Stromnetzes für das ganze Land werden.

Grüne Wende mit Hindernissen

26:06

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