Kommissar zu sein ist ein Beruf mit Zukunft - zumindest gilt das für TV-Ermittler, die jung sind, bodenständig, sportlich oder aus Skandinavien kommen. Eine Betrachtung der deutschen Fernsehlandschaft.
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Sie sind überall und auf fast jedem deutschen Fernsehsender zu finden. Sie arbeiten in einer "SoKo" (Sonderkommission) oder alleine. Ihre Einsatzorte liegen überall zwischen der Ostseeküste und den Alpen. Dazu kommen noch ihre Kollegen aus dem Ausland, aus Schweden, den USA, aus London und der Provinz "Midsummer". Sie alle sind TV-Ermittler. Und die Fernsehsender lassen sich ihre Arbeit so einiges kosten - die Produktion einer Folge aus der "Tatort"-Reihe kostet laut Branchenmagazin "Funkkorrespondenz" durchschnittlich 1,27 Millionen Euro.
"Tatort" - dieser Titel steht im deutschen Fernsehen seit über 40 Jahren für den Krimi zur besten Sendezeit am Sonntagabend. "Das Wochenende ist schon fast vorbei, aber noch nicht ganz", erklärt Professor Stefan Scherer vom Karlsruher Institut für Technologie. Die Menschen seien dann entspannt und in bester Fernsehlaune. Tatort, ausgestrahlt im Ersten (dem gemeinsamen Programm der ARD-Anstalten), zeigt in loser Reihenfolge Kommissare in unterschiedlichen Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Im Durchschnitt erreiche jede der Folgen sechs bis zehn Millionen Zuschauer, so Scherer.
Der Tatort als Fernsehritual
Tatort schauen ist zum Ritual geworden: In Kneipen und in Kinos werden "Public Viewings", öffentliche Vorstellungen, gezeigt. Der neuste Trend ist das sogenannte "Social TV“" - die Zuschauer tauschen sich bei Facebook zu der aktuellen Folge aus. Fast jeden Sonntagabend zählt der Tatort zu den beliebtesten Gesprächsthemen bei Twitter in Deutschland.
50 Jahre Tatort: Die Kommissare der beliebtesten deutschen Krimiserie
Bei manchen Freunden sollte man Sonntagabend nach 20 Uhr besser nicht anrufen. Denn dann ist in vielen deutschen Haushalten Tatort-Zeit. Egal aus welcher Stadt er kommt, und egal wer gerade den Fall lösen muss.
Bild: picture-alliance/dpa
"In der Familie": Dortmund meets München
In einer Doppelfolge zum 50-jährigen Jubiläum begegnen sich die Ermittlerteams aus zwei Städten: die Münchner Kommissare Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, links im Bild) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) und die Dortmunder Crew um Jan Pawlak (Rick Okon), Martina Bönisch (Anna Schudt), Nora Dalay (Aylin Tezel, v.l.n.r.) und Peter Faber (Jörg Hartmann). Es geht um Drogen und die italienische Mafia.
Bild: Frank Dicks/WDR
Die erste Kommissarin
Anfangs ist der Job des Tatort-Ermittlers reine Männersache. Erst 1978 nimmt die erste Kommissarin in Mainz die Arbeit auf. Gespielt wird sie von Nicole Heesters, Tochter des Schauspielers Johannes Heesters. "Für mich ist Kommissarin ein Beruf wie jeder andere, der wohl eher mit Psychologie zu tun hat als mit wildem Herumschießen", sagte sie damals der Presse. Sie dreht insgesamt nur drei Folgen.
Bild: picture-alliance/dpa
Rüpel mit Herz
Ein Kommissar sorgt mit seinem ersten Fall in Duisburg (Ruhrgebiet) 1981 für großes Aufsehen - Götz George (†2016) als Horst Schimanski. Sein erster Satz in der Rolle ist legendär: "Du Idiot, hör auf mit der Scheiße!". Im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist er kein gediegener Büroheld, sondern ein raubeiniger Prolet.
Bild: picture-alliance/dpa
Polizeiruf DDR
Das DDR-Fernsehen zeigt als Gegenstück zum Tatort ab 1971 die Reihe "Polizeiruf 110". Die Folge "Im Alter von..." (1974) wird noch vor ihrer Ausstrahlung von den DDR-Behörden verboten. Der Film war nach einem echten Fall eines Kindermörders konzipiert. Das war dem Regime zu kritisch, denn Verbrechen dieser Art durfte es offiziell in der DDR nicht geben. Erst 2011 wurde der Krimi gezeigt.
Bild: picture-alliance/dpa/rbb/MDR/DRA
Nach der Wende
Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 wurde die Produktion des Polizeirufs von den westdeutschen ARD-Anstalten übernommen. Aktuell ermitteln drei Teams in Brandenburg, München und Rostock. Dort sind Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau (Bild) im Einsatz.
Bild: picture-alliance/dpa
Musik im Blut
Paul Stoever (Manfred Krug, †2016) und Peter Brockmöller (Charles Brauer) lösten gemeinsam 38 Fälle in und um Hamburg. Stoever ist der Brummbär im Team, Brockmöller der Kumpel, den nichts aus der Ruhe bringt. Besonderheit: Die beiden haben in vielen Folgen Jazzgesangseinlagen gegeben. Davon gibt's sogar eine CD: "Tatort - die Songs".
Bild: Imago/KPA/United Archives
Klamaukende Kriminologen
Axel Prahl und Jan Josef Liefers spielen Kommissar Thiel und Professor Boerne. Sie lösen ihre Fälle auf unkonventionelle Art und kabbeln sich zwischendurch wie ein altes Ehepaar. Obwohl der Klamauk öfter über der Handlung steht, freut sich das Gros der Tatort-Fans, wenn Thiel & Boerne am Start sind.
Bild: imago/S. Simon
Skandinavische Inspiration
Auf der Suche nach spannenden Tatort-Geschichten lassen sich die Macher auch vom Erfolg der skandinavischen Krimi-Autoren inspirieren. 2010 und 2011 wurden zwei Folgen des Kieler Ermittlers Borowski, gespielt von Axel Milberg (Bild), nach einer Vorlage des schwedischen Autors Henning Mankell gedreht.
Bild: picture-alliance/dpa
Preisgekrönt
Die Tatort-Folgen sprechen auch immer wieder gesellschaftliche Probleme an. Die Folge "Nie wieder frei sein" der Münchener Kommissare Miroslav Nemec als Ivo Batic (l. im Bild) und Udo Wachtveitl als Franz Leitmayr wurde 2010 mit dem Grimme-Fernsehpreis ausgezeichnet. Die Folge handelt vom Freispruch eines mutmaßlichen Sexualmörders.
Bild: picture-alliance/dpa
Undercover-Ermittler
2008 gibt es zwei große Veränderungen in der Tatort-Reihe: Zum ersten Mal ist mit Cenk Batu, gespielt von Mehmet Kurtuluş, ein türkischstämmiger Hauptkommissar zu sehen. Und der Tatort weicht auch vom bisherigen Konzept ab: Batu ist ein verdeckter Ermittler.
Bild: picture-alliance/dpa
Neuer Typ: Actionheld
Til Schweiger tritt 2013 die Nachfolge von Mehmet Kurtuluş in Hamburg an. Sein Kommissar sitzt nicht am Schreibtisch, sondern kommt wie ein Held aus einem Actionfilm daher, der gleich in den ersten Minuten mit der Waffe schießt und in fahrende Autos springt. Die erste Folge hat über 12 Millionen Zuschauer - so viele wie seit 1993 nicht mehr.
Bild: picture-alliance/dpa
Seit 2013: Tatort aus Weimar
Die Kommissare Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen) ermitteln zusammen in Weimar. Gleich ihr erster Fall ("Fette Hoppe") hatte es in sich: Ein irrer Erpresser hat sich mit der schwangeren Kommissarin Kira Dorn im Rathaus verschanzt. Außerdem wird die Weimarer Wurstkönigin vermisst. Die "Fette Hoppe" ist die beste Rostbratwurst Thüringens.
Bild: MDR/MadeFor/Steffen Junghans
Die 1000. Folge kehrte ins Taxi zurück
Die Jubiläumsfolge nach 46 Jahren trug denselben Titel wie die allererste: In "Taxi nach Leipzig" werden Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Klaus Borowski (Axel Milberg) von einem ehemaligen Elitesoldaten (Florian Bartholomäi, vorne rechts) mit einem Taxi entführt. Der will sich an seiner Frau rächen, die nun mit einem Ex-Kameraden von ihm zusammen ist.
Bild: picture-alliance/dpa/NDR/Meyerbroeker
Neu in der Tatort-Familie: Team Saarbrücken
Die Hauptkommissare Adam Schürk (Daniel Sträßer, links) und Leo Hölzer (Vladimir Burlakov) ermitteln im Saarland. Ihr erster Fall "Das fleißige Lieschen" (April 2000) führte sie in die Untiefen einer verfeindeten Industriellenfamilie, in der jeder jeden hasst. Die Kritiken für das neue Ermittlerduo waren überwiegend positiv.
Bild: SR/Manuela Meyer
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Die Macher der Reihe setzen zunehmend auf Komik, und das kommt beim Publikum gut an. Der jüngste Tatort aus Münster, mit Axel Prahl als dem bodenständigen Kommissar Thiel und Jan Josef Liefers in der Rolle des hochnäsigen Rechtsprofessor Boerne, hatte fast 13 Millionen Zuschauer. Ihre komischen Wortgefechte kommen gut an - so dass jetzt auch der Saarländische Rundfunk (SR) auf das Konzept Humor setzt und David Striesow als komischen Kauz, den Kommissar Stellbrink, inszeniert.
Zuletzt wagten sich auch die Tatort-Macher des Norddeutschen Rundfunks (NDR) an ein neues Konzept. Ihr neuer Kommissar bringt Action-Elemente ins Format: Schon in den ersten Minuten erschießt Schauspieler Til Schweiger einen Verdächtigen, springt in fahrende Autos. Nebenbei gesagt: Til Schweiger ist einer der bekanntesten Schauspieler Deutschlands.
Nur wenig Erfolg im Ausland
So erfolgreich die Reihe in Deutschland ist, so schwierig ist ihr Verkauf ins Ausland. Während die ZDF-Krimireihe "Derrick", die zwischen 1973 und 1997 gedreht wurde, in etwa 100 Länder exportiert wurde, ist Tatort dem ausländischen Publikum oft zu regional. Wer nicht aus Deutschland komme, interessiere sich nicht für Niedersachsen oder das Saarland, meint Professor Scherer.
Im Gegensatz dazu gibt es Regionen, von denen die deutschen Zuschauer nicht genug bekommen können: Alle Krimis, die in Skandinavien spielen und oft sehr viel Brutalität zeigen, sind potentielle Publikumserfolge. Im Februar 2013 wurde im ZDF die dritte Staffel der Reihe "Kommissarin Lund - das Verbrechen" ausgestrahlt, ein Import aus Dänemark. "Das Besondere ist, dass sich die Handlung über fünf Folgen erstreckt", erklärt Scherer. "Die Spannung muss aufrecht erhalten werden." Das trauen sich deutsche Drehbuchautoren Scherers Einschätzung nach bislang nicht. Bei "Lund" oder auch dem Mehrteiler "Die Brücke" sei zudem auch die Politik unmittelbar involviert, so Scherer. Das sei bei deutschen Produktionen nicht denkbar.
Die Ordnung der Dinge wieder herstellen
Ebenso wenig denkbar ist die Art von manchen britischen Kommissaren, die jetzt auch im deutschen Fernsehen zu sehen sind, wie etwa "Scott und Bailey", deren Ermittlungen im "British Crime Monday" des Digitalsenders ZDFneo laufen. Die beiden Polizistinnen aus Manchester sind alles andere als Sauberfrauen und erzählen auch ihren Liebhabern von vertraulichen Ermittlungen. "Luther" setzt da noch eins drauf: Der Inspektor arbeitet selbst mit einer Mörderin zusammen, wenn es ihm hilft, den Fall zu lösen. Die Grenze zwischen Gut und Böse ist hier fließend.
Wieso geht es nicht ohne Krimi im Fernsehen? "Der Krimi ist ein Sinnbild der bürgerlichen Gesellschaft", erklärt Scherer. Das Verbrechen und die Suche nach dem Täter befriedige den Voyeurismus der Zuschauer und zeige das Monströse. "Die Ordnung der Dinge muss wieder hergestellt und Abweichungen müssen bestraft werden."