Deutschlands U17-Weltmeister: Hoffnung in der Fußball-Krise?
2. Dezember 2023"Ich bin so dankbar, diesen Jahrgang betreuen zu dürfen", freute sich Deutschlands U17-Nationaltrainer Christian Wück, nachdem sein Team es tatsächlich geschafft hatte. Mit 4:3 im Elfmeterschießen setzte sich der deutsche Fußball-Nachwuchs gegen Frankreich durch und feierte ein halbes Jahr nach dem Sieg bei der EM (auch damals im Elfmeterschießen gegen die Franzosen) den ersten WM-Titel einer deutschen U17. "Wir sind Europa und Weltmeister!", freute sich Wück. "Ich habe den Jungs gesagt, die machen sich unsterblich. Und es war heute unser letztes Spiel zusammen. Mir fehlen die Worte. Es ist einfach ein unglaubliches Glücksgefühl."
Mannschaft mit Charakter
Freude und Euphorie über die guten Leistungen der Spieler, die alle Jahrgang 2006 sind, bei der WM in Indonesien waren bereits zuvor groß. "Das sind genau die Geschichten, die der deutsche Fußball benötigt", hatte Hans-Joachim Watzke, Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), nach dem Sieg im WM-Halbfinale gegen Argentinien gesagt. "Mein großes Kompliment gilt der Mannschaft und dem Trainerstab. Was sie geleistet haben, ist einfach großartig."
Man habe es geschafft, "ganz unterschiedliche Charaktere" zu einem Team zu formen, "das durch dick und dünn geht", hatte Wück vor dem Endspiel gesagt und legte nach dem gewonnen Finale noch nach: "Wenn einer den Charakter der Mannschaft kennengelernt hat, dann heute in diesem Spiel", sagte er Minuten nach dem Abpfiff beim TV-Sender Sky. Im Finale hatte seine Mannschaft zwischenzeitlich mit 2:0 geführt, musste, nachdem die Franzosen spät den Ausgleich schafften, doch noch ins Elfmeterschießen. "Mit solchen Widerständen zu kämpfen, im Elfmeterschießen wieder hinten zu liegen, immer an sich zu glauben. Das ist unglaublich und von daher ist alles perfekt. Wir freuen uns total."
Lichtblick in der Krise
In Anbetracht der aktuellen Krise bei deutschen Auswahlmannschaften ist der WM-Erfolg der U17 eine willkommene Abwechslung. DFB-Team, Frauen-Nationalmannschaft und auch die U21 der Männer enttäuschten zuletzt auf ganzer Linie. Die Frauen schieden bei der WM in der Vorrunde aus, die U21 bei ihrer EM ebenfalls.
Bei der A-Mannschaft der Männer steht der gerade erst verpflichtete Bundestrainer Julian Nagelsmann nach den letzten Testspielniederlagen gegen die Türkei und Österreich bereits gehörig in der Kritik: kein Konzept, keine Handschrift, zu viele taktische Vorgaben, die die Spieler eher verwirren als ihnen Halt zu geben - so die lange Mängelliste. Sollte im Frühjahr bei den anstehenden Tests keine Verbesserung eintreten, wird sogar eine Ablösung Nagelsmann vor dem Turnier für möglich gehalten. Von einer erfolgreichen EM im eigenen Land gehen die wenigstens aus.
Helden wie Heide und Brunner
Nun rücken stattdessen die U17-Spieler in den Fokus - und tatsächlich gibt es einzelne Spieler, die sich für eine Art "Heldengeschichte" anbieten: So wurde Torhüter Konstantin Heide, nachdem er bereits im Halbfinale gegen die Argentinier zwei Elfmeter gehalten hatte, auch im Finale zum Matchwinner, als er erneut zwei Versuche der Franzosen abwehrte.
Auch Paris Brunner, der gegen die Franzosen per Foulelfmeter das 1:0 erzielte, und zuvor im Turnierverlauf mehrere wichtige Treffer erzielt hatte, steht im Rampenlicht - wegen seiner Tore, aber auch wegen der Turniervorgeschichte. Der 17-Jährige, der in diesem Jahr die Fritz-Walter-Medaille in Gold für herausragende sportliche Leistungen gewann, war bei seinem Verein Borussia Dortmund im Oktober "aus disziplinarischen Gründen" suspendiert worden. Offenbar nicht zum ersten Mal. Allerdings blieb unklar, für welche Verfehlungen genau. Klub und Spieler schwiegen dazu. Letztendlich wurde Brunner begnadigt und sorgte nun bei der WM wieder für sportliche Erfolge. Bevor die Mannschaft den Pokal überreicht bekam, wurde er als bester Spieler des Turniers geehrt.
Wück: "Kein Nachwuchsproblem"
Spieler wie Brunner und Heide stehen für Wück stellvertretend dafür, dass der DFB - anders als oft behauptet - kein Nachwuchsproblem hat. Talentierte Spieler seien vorhanden. Woran es diesen mangele, sei die Gelegenheit, ihr Können schon früh auch im Seniorenbereich zu zeigen. "Wir müssen lernen, den deutschen Talenten wieder mehr Vertrauen zu geben", sagte Wück, der aus eigener Erfahrung spricht. Als er selbst 1990 für den 1. FC Nürnberg seinen ersten Bundesliga-Einsatz absolvierte, war er mit 17 Jahren und 133 Tagen der damals drittjüngste Bundesligaspieler der Ligahistorie.
Wücks U17-Spieler, alle Jahrgang 2006, sind heute im gleichen Alter, wie er damals. Der Trainer hofft darauf, dass seine Schützlinge ihre Entwicklung fortsetzen und ihre Chance erhalten. Möglicherweise helfen auch die Eindrücke der U17-WM oder sogar ein WM-Titel auf dem Weg nach oben.
Erfolg in der Jugend nicht (immer) übertragbar
Allerdings: Gute und erfolgreiche Jugendmannschaften hat es in der Geschichte des DFB schon einige gegeben. Jedoch haben nur die wenigsten Spieler, die mit einem deutschen Nachwuchsteam einen internationalen Titel gewinnen konnten, anschließend auch eine große Karriere in der A-Nationalmannschaft hingelegt, geschweige denn mit dem DFB-Team ebenfalls Titel gewonnen. Die rühmliche Ausnahme bildete das Jahr 2009, als zunächst die U17 den EM-Titel gewann und anschließend auch die U21 Europameister wurde.
In der U17 spielten neben Torhüter Marc-André ter Stegen mit Shkodran Mustafi und Mario Götze zwei spätere Weltmeister. In der U21 waren mit Manuel Neuer, Benedikt Höwedes, Mats Hummels, Sami Khedira und Mesut Özil sogar fünf Spieler dabei, die gemeinsam mit Mustafi und Götze 2014 in Brasilien den WM-Titel gewannen. Allerdings gab es unter den U17- und U21-Europameistern von 2009 auch viele Spieler, die anschließend kein einziges Mal ins DFB-Team berufen wurden.
Zudem ist die U21 von 2009 nicht wirklich mit der aktuellen U17 zu vergleichen. Als U21-Nationalspieler spielt man normalerweise bereits in der A-Elf eines Bundesliga- oder Zweitligavereins. So war Manuel Neuer 2009 bereits seit einigen Jahren Nummer eins beim FC Schalke 04, auch die anderen späteren Weltmeister waren Bundesliga-Stammspieler, als sie den U21-EM-Titel gewannen.
Für die neuen U17-Weltmeister ist der Weg in die Bundesliga und die A-Nationalmannschaft dagegen noch sehr weit, auch wenn alle in den Jugendmannschaften von Klubs der 1. oder 2. Bundesliga spielen. Einzige Ausnahmen sind Torhüter Heide von der SpVgg. Unterhaching (3. Liga) und Kapitän Noah Darvich, der im August aus dem Nachwuchsleistungszentrum des SC Freiburg in die Talentschmiede des FC Barcelona wechselte.
Offene Zukunft
Mit Sicherheit werden sich einige von ihnen zu guten Bundesliga-Profis entwickeln. Vielleicht schafft es der eine oder andere sogar ins DFB-Team. Möglicherweise ergeht es ihnen aber auch wie dem Großteil ihrer Vorgänger aus dem Jahr 1985. Damals, vor 38 Jahren, stand letztmals eine deutsche U17 in einem WM-Finale. Die Mannschaft verlor das Endspiel mit 0:2 gegen Nigeria.
Von den insgesamt 13 Spielern, die im Finale zum Einsatz kamen, hinterließen mit Marcel Witeczek (410 Bundesliga-Spiele) Martin Schneider (379) und Detlev Dammeier (248) anschließend nur drei einen bleibenden Eindruck in Deutschlands höchster Spielklasse. Ein A-Länderspiel bestritt jedoch keiner von ihnen.
Der Text wurde nach dem Finale der U17-Weltmeisterschaft am 2. Dezember aktualisiert.