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Gesellschaft

Andere Länder, anders studieren

Zhang Danhong
29. März 2019

Wie Zhang Danhong das deutsche Studentenleben kennenlernt und sich sehr schnell wie ein Fisch im Wasser fühlt. Und wie eine spontane Entscheidung beim Mittagessen vermutlich ihr ganzes weiteres Leben beeinflusst hat.

Zhang Danhong Portrait
Bild: vvg-koeln

Als ich das erste Mal mit meinen deutschen Kommilitonen die Mensa betrat, sagte mir einer: "Da ist der Chinesentisch. Willst Du Dich nicht zu ihnen setzen?" Ich sah einen langen Tisch, der aus zweien zusammengesetzt war, und rund 20 Landsleute dort speisen. Klar fühlte ich mich zu ihnen hingezogen - allein wegen der vertrauten Sprache, die ich tagelang nicht mehr vernommen hatte. Doch dann entschied ich mich anders: "Nein, ich bleibe bei Euch." Denn ich war nicht nach Deutschland gekommen, nur um wieder unter Chinesen zu sein. Dann hätte ich ja auch in China bleiben können.

Ein Kardinalfehler? Die Autorin ist bei ihrem ersten Mensabesuch unter deutschen Studenten geblieben.Bild: DW

Die Tragweite dieser spontanen Entscheidung habe ich erst später erfasst. Sie hat mir nämlich die potenzielle Chance auf einen attraktiven chinesischen Ehemann verdorben. Ich hatte in dem Moment noch nicht durchschaut, dass an diesem Tisch die intelligentesten und altersmäßig für mich am ehesten in Frage kommenden chinesischen Männer aus ganz Köln versammelt waren.

Aber wenn ich ganz ehrlich bin, hatte ich es mir auch nie zum Ziel gesetzt, eines Tages auf jeden Fall einen Chinesen zu heiraten. Das war vielmehr der Wunsch meiner Mutter. Ihr Argument: Die Chinesen seien moralischer als die Europäer. Das hatte ich schon damals für ein Gerücht gehalten. Und wer sagte überhaupt, dass man unbedingt heiraten muss? Also spielten in dieser Sekunde ehestrategische Überlegungen bei mir ganz gewiss keine Rolle. Ich hatte das Ziel, mich in das Leben der Deutschen zu integrieren. Deswegen mischte ich mich einfach unter das hier heimische Studentenvolk. Sprachliche Barrieren hatte ich ja zum Glück keine.

Gleichberechtigung beim Bezahlen

Gravierende Unterschiede im Sozialverhalten zwischen Deutschen und Chinesen konnte ich nicht feststellen. Bis auf einen: In Deutschland zahlt beim Essen und Trinken jeder für sich, während ein Mädchen in China immer eingeladen wird. Eine Frau zahlen lassen? Das würde die männliche Ehre verletzen. Hierzulande ist aber den Männern der Feminismus vielleicht so sehr auf den Senkel gegangen, dass sie denken: wenn schon überall Gleichberechtigung, dann bitte auch beim Begleichen der Rechnung. Das ist zumindest meine Interpretation.

Zusammen oder getrennt bezahlen? Das ist eine Frage der Landeskultur.Bild: picture alliance/Rainer Hackenberg

Also stellte dieser kleine Halbsatz "Getrennt bitte" einen kleinen Kulturschock für mich dar. Aber wirklich nur einen klitzekleinen. Schnell erkannte ich den Vorteil: Vor allem in einer Gruppe besteht für die Männer kein Konkurrenzdruck, wer denn der Großzügigere sei. Übrigens findet das deutsche Bezahlverhalten inzwischen auch im Reich der Mitte immer mehr Nachahmer. Dort wird es das AA-Muster genannt.

Irgendwann habe ich mich dann auch auf den Besuch in einer Disko eingelassen. Auch an der Peking-Universität fand jeden zweiten Tag eine Party statt. Der Unterschied bestand aber darin, dass in China getanzt und hierzulande gegrölt wird. Wenn ein Lied allseits bekannt ist, singen es alle laut mit. Nach fünf Kölsch geht das Singen automatisch in Grölen über. Einmal war ich mit einer chinesischen Freundin in einer unter Studenten sehr angesagten Diskothek. Doch die Mischung aus Musik und Grölen wurde bald schmerzhaft für unsere Ohren. Eine von uns beiden hat irgendwann angefangen, laut auf Chinesisch zu fluchen. Wir hauten alle unanständigen Wörter raus, die ich noch nie im Leben über die Lippen gebracht hatte. Es war ein solch befreiendes Gefühl! In diesem Moment habe ich den Sinn des Grölens verstanden. Es ging darum, den ganzen Frust des Studiums und des Lebens hinauszuschreien. Ein junger Deutscher neben uns schaute uns nur fragend an und wir schenkten einander ein komplizenhaftes Lächeln.

Feiern, bis der Arzt kommt

Feiern ist ein wichtiger Bestandteil des deutschen wie des chinesischen Studentenlebens. Die Partys unterscheiden sich nur in der Häufigkeit und der Ausdauer der Teilnehmer. In der Regel können es meine Landsleute nicht mit den deutschen Studenten aufnehmen. In China wird dem eigentlichen Zweck des Studiums, dem Lernen, eine größere Wichtigkeit anberaumt. Eine andere Wahl hatten und haben die Chinesen auch bis heute nicht. Denn das Studium ist in China stark verschult. Klassenbindung ist eher die Regel als Ausnahme. Auch die Dauer des Studiums ist vorgegeben. Das hat zur Folge, dass ein allzu relaxtes Studentenleben zu Sitzenbleiben und womöglich zur Exmatrikulation führen kann.

Meine erste Klausur (Linguistik)Bild: DW/Zhang Danhong

Diese Sorge kennen die deutschen Studenten nicht. Als ich Ende der 1980er-Jahre mein Germanistik-Studium in Köln fortsetzte, waren die deutschen Universitäten eine Art Schlaraffenland: Das Studium kostete nichts, das Studentenleben wurde in vielerlei Hinsicht subventioniert, Studienort und Fachrichtung durften beliebig geändert und die Studienzeit konnte fast ins Unendliche ausgedehnt werden.

Mit so vielen Freiheiten und Privilegien ausgestattet, war es für die Studierenden fast zu viel verlangt, sich ernsthaft dem Studium zu widmen. So habe ich mich mit der Zeit an den Anblick strickender Studentinnen gewöhnt. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich mich über dieses neue Leben mit weitaus weniger Stress als in China furchtbar aufgeregt hätte. Nach 15 Jahren Büffeln und Pauken war ich für diese Atempause dankbar. Immer wieder begab ich mich am Wochenende (oder auch länger) auf Entdeckungstouren durch Deutschland. Es reichte vollkommen aus, ein paar Tage vor den Klausuren in den Lernmodus zurückzukehren. Mit meinem chinesischen Streber-Gen schaffte ich die erste Klausur mit Bravour (126 von 130 Punkten).

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit 30 Jahren in Deutschland. In der Serie "Deutschsein ist kein Zuckerschlecken" schreibt sie einmal wöchentlich über ihre ersten Kontakte mit der deutschen Sprache und ihre Integration in Deutschland.

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