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Gesellschaft

Deutsche Träume

Zhang Danhong
1. Februar 2019

Nach zwei Ferienjobs, bei denen Zhang Danhong ihre Sprachkenntnisse erfolgreich einsetzen konnte, wollte sie weiterhin intensiv Deutsch sprechen. Allein Liebesbriefe aus Deutschland konnten diesen Hunger nicht stillen.

Zhang Danhong Portrait
Bild: vvg-koeln

Es war ein tränenreicher Abschied, als ich an einem Sommermorgen des Jahres 1987 vor einem Hotel in Kanton stand und der deutschen Reisegruppe im Bus zuwinkte. Vor allem der junge Mann, dem ich unter Einsatz meiner weiblichen Waffen das Ausreisepapier besorgt hatte, drückte seine Nase an die Glasscheibe des Busses und ließ seinen Emotionen freien Lauf. Er war sichtlich verliebt und enttäuscht darüber, dass ich am Vorabend seiner Bitte, mit ihm in die Disko zu gehen, nicht Folge geleistet hatte. Um ehrlich zu sein, hatte ich an diesem Tag einfach genug von ihm. Doch nun berührten mich seine Tränen doch irgendwie. Und der Abschied von diesen wunderbaren Langnasen, die im tiefsten Innern nicht anders waren als Chinesen, fiel mir schwer.

Vor allem mehr Wolkenkratzer als damals: Kanton (Guangzhou) 2018Bild: picture-alliance/Prisma

Denken und Träumen in einer Fremdsprache

Ich stellte fest, dass ich nach drei Wochen pausenlosen Sprechens auf Deutsch den Übersetzungsprozess im Kopf überwunden hatte. Das heißt, dass ich meine Gedanken nicht mehr vom Chinesischen ins Deutsche übertragen musste, bevor ich den Mund aufmachte. Ich sprach nicht mehr wie jemand, der ständig auf der Suche nach einem passenden Wort war, sondern eher wie jemand, bei dem die Wörter in Reih und Glied stehen und sich je nach Bedarf von alleine formieren. Ich war den Muttersprachlern einen gewaltigen Schritt nähergekommen. 

In meinem Elternhaus in Peking angekommen, verfiel ich auf der Couch in einen Tiefschlaf. Irgendwann am frühen Abend rüttelte mich meine Mutter: "Alles okay mit Dir? Du hast gerade in einer komischen Sprache gemurmelt." Ich musste schmunzeln: Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich auf Deutsch geträumt!

Diesen neuen Schwung für die deutsche Sprache wollte ich in das Aspirantenstudium (das gab es auch in der ehemaligen DDR und entspricht dem Masterstudium) mitnehmen. Den Elfenbeinturm wollte ich nach reichlichen Überlegungen doch nicht so schnell verlassen, schließlich lagen mir Goethe und Heine doch eher am Herzen als Werkzeugmaschinen.

Heine-Symposium - eine echte Herausforderung

Das erste Halbjahr wurde auch prompt zu einem Heine-Semester. Zu dessen 190. Geburtstag veranstaltete mein Professor Zhang Yushu, ein weltweit anerkannter Heine-Experte, ein internationales Symposium. Seiner Einladung folgten Germanisten aus aller Welt, die ich vom Flughafen in Peking abholen und auf diversen Ausflügen begleiten durfte. Ansonsten erwartete Zhang Yushu von mir, ihm als Gastgeber und Veranstalter immer auf die Bühne zu folgen, und alles, was er je nach Publikum auf Deutsch oder Chinesisch sagte, in die andere Sprache zu übersetzen.

Wenn ich abends völlig erschöpft ins Bett fiel, dachte ich manchmal: Hätte er mit dem Symposium nicht zehn Jahre warten können, bis zum 200. Geburtstag von Heinrich Heine? Bis dahin würde mein Deutsch vielleicht annähernd so elegant und geschliffen sein wie seines. Sein Deutsch hat er nach eigener Angabe in einem Kuhstall, in dem er während der Kulturrevolution schuftete, auf ein hohes Niveau getrimmt. Der mit den Kühen spricht.

Heinrich Heine: Sein 190. Geburtstag war Anlass eines Symposiums in Peking, das Zhang Danhong mit organisiert hatBild: picture-alliance/dpa/akg-images

Auf der anderen Seite war es eine einmalige Übung für mich, die mir jede Menge Adrenalinschübe verpasste. Einmal klopfte mir ein Urgestein unter den chinesischen Germanisten auf die Schulter: "Eines Tages wirst Du zu den besten Germanisten in China zählen."

Frust und Ungeduld

Dass es dazu nicht kommen würde, konnte ich damals noch nicht ahnen. Nach dem Heine-Abenteuer kehrte der Uni-Alltag zurück. Das bedeutete Frontalunterricht und kaum Sprechmöglichkeiten. Nachdem ich nun Dutzende real existierender Deutscher kennengelernt hatte, verspürte ich keine Lust mehr, wieder gegen die Wand zu reden. Von dem jungen Mann aus der Reisegruppe erhielt ich seitenlange Liebesbriefe. Aber auch das mühsame Entziffern seiner Handschrift ersetzte das Sprechen nicht.

Mein einziger Gesprächspartner auf Deutsch war Klaus Reh von der Firma Otto Wolff, der mir auf der Messe für Werkzeugmaschinen einen Crash-Kurs über Industrieanlagen gegeben hatte. Ab und zu besuchte ich ihn und seine Kollegen in der Pekinger Dependance der Kölner Firma. Mit ihm sprach ich über den Frust des Studiums, dass ich das Gefühl hatte, auf der Stelle zu treten. Und dass ich mir wie eine Läuferin vorkam, die im Endspurt gestoppt wurde. "Geh doch nach Deutschland", sagte er, als ob das das Selbstverständlichste auf der Welt wäre.

Im Studentenwohnheim dachte ich über diesen Satz nach. Nein, das kommt nicht in Frage. Denn das würde bedeuten, dass ich freiwillig auf den Status der Lieblingsstudentin eines weltbekannten Germanisten und auf den durch harte Prüfungen ergatterten Studienplatz an einer Elite-Universität Chinas verzichte. Alle würden mich für verrückt erklären. Die Loreley-Verse als Aufkleber an meiner Zimmertür - eine Erinnerung an das Heine-Symposium - sprangen mir ins Auge: "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin." Traurig war ich nicht, aber unruhig und ungeduldig.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit 30 Jahren in Deutschland. In der Serie "Deutschsein ist kein Zuckerschlecken" schreibt sie einmal wöchentlich über ihre ersten Kontakte mit der deutschen Sprache und ihre Integration in Deutschland.

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