DFB-Team: Nadiem Amiri - endlich (wieder) am richtigen Ort
20. März 2025
"Es war so lange mein Traum, noch einmal für die Nationalmannschaft auflaufen zu dürfen. Ich habe hart daran gearbeitet, mich jeden Tag versucht zu verbessern", sagt Nadiem Amiri. Der offensive Mittelfeldspieler des FSV Mainz 05 war vor über vier Jahren zum bislang letzten Mal in den Kader der deutschen Fußball-Nationalmannschaft berufen worden.
Allerdings war er es, der vor seiner Rückkehr den Bundestrainer anrufen musste, denn als Julian Nagelsmann sich meldete, war Amiri gerade auf dem Trainingsplatz. "In der Kabine habe ich dann seinen Namen auf dem Handy gesehen", erzählt der Mainzer gegenüber der "Sport Bild". "Da habe ich natürlich schon geahnt, weshalb er sich meldet und direkt zurückgerufen." Bei dem folgenden, kurzen Gespräch, habe er Tränen in den Augen gehabt, gab Amiri zu.
Vorzeitiges Ende nach fünf Länderspielen
Tatsächlich ist Amiris Rückkehr nach so langer Zeit ungewöhnlich. Im November 2020, als er letztmals beim DFB-Team dabei war, neigte sich die Amtszeit von Joachim Löw langsam dem Ende zu. Das Ansehen des Weltmeister-Trainers hatte nach dem schwachen Abschneiden bei der WM 2018 in Russland bereits ein paar Risse bekommen, nicht selten gab es Kritik.
So auch nach der letzten Partie, die Amiri als Ersatzspieler 90 Minuten von der Bank verfolgte - ein 0:6 in der Nations League in Spanien. Danach - in der entscheidenden Vorbereitung auf die EURO im Sommer 2021 - wurde der damalige Profi von Bayer Leverkusen nicht mehr nominiert. Es blieb vorerst bei fünf Länderspielen, von denen Amiri übrigens keines verloren hat.
Nicht nur Notstopfen, sondern verdiente Nominierung
Zwar fehlen im DFB-Team beim Viertelfinale der Nations League gegen Italien einige Stammspieler, dennoch ist Amiri nicht nur ein Notstopfen, sondern hat sich seine Rückkehr ins Nationalteam aufgrund guter Leistungen ehrlich verdient. Zu seiner Entwicklung hat dabei auch der Vereinswechsel von Leverkusen nach Mainz beigetragen. Ein vermeintlicher Rückschritt, der Amiri wieder nach vorne brachte. Bis zur Winterpause der Saison 2023/2024 war Amiri noch Teil der Werkself, die unter Trainer Xabi Alonso am Ende ungeschlagen deutscher Meister wurde und den Sieg im DFB-Pokal holte.
Zwar darf sich Amiri auch Double-Sieger nennen, allerdings stand er fast nie auf dem Platz. Meistens wurde er nur am Ende für ein paar Minuten eingewechselt. Auch deshalb entschied er sich kurz vor Ende der Winter-Transferperiode bewusst für einen Wechsel nach Mainz, damals auf Rang 17 der Bundesliga-Tabelle liegend ein klarer Abstiegskandidat.
"Meine Einstellung im Fußball ist, dass es um einen selbst geht. Wenn ich nicht meinen Teil dazu beitragen kann, dann kann ich eine mögliche Meisterschaft auch nicht so feiern wie die Spieler, die oft spielen", begründete er seinen Wechsel damals. "Daher war für mich klar, wenn etwas Gutes kommt, wo ich spüre, dass das der richtige Schritt ist, werde ich es machen."
Neuer Schwung und Führungskraft in Mainz
In Mainz blühte Amiri auf, wurde unter dem kurz nach ihm verpflichteten neuen Trainer Bo Henriksen schnell zur Stammkraft und ist heute Kapitän des FSV und einer der effektivsten offensiven Mittelfeldspieler der Liga. "Er ist ein Spieler, der gerne Verantwortung übernimmt - das wollte er schon in jungen Jahren", sagte Amiris Ex-Trainer Markus Gisdol in einem Interview mit dem TV-Sender Sport1.
Unter Gisdol spielte Amiri 2014 bis 2015 bei der TSG Hoffenheim. "Nadiem war schon immer selbstbewusst. Und jetzt trägt er auch noch die Kapitänsbinde. Das hat ihm noch einmal ein paar Extra-Prozent an Motivation und Einfluss gegeben, was ihm guttut. Er wächst immer mehr in eine Führungsrolle hinein."
Wurzeln in Afghanistan
Vielleicht hat sein Leistungshoch auch damit zu tun, dass Amiri mit seiner Familie jetzt wieder näher an der Heimat wohnt. Amiris Eltern flohen in den 1980er Jahren aus dem kriegsgebeutelten Afghanistan und ließen sich in Ludwigshafen im Bundesland Rheinland-Pfalz nieder. Die Stadt, die für den Chemiekonzern BASF bekannt ist, liegt im Südwesten Deutschlands.
Amiris Vater hatte ein Fuhrunternehmen, seine Mutter arbeitete 20 Jahre lang in einem Altenheim, während die beiden sich bemühten, Sicherheit und Chancen für ihre Kinder zu schaffen. Amiri wurde 1996 geboren und spielte mit seinem älteren Bruder auf den Straßen der Stadt Fußball. Um ihrem Sohn den Traum einer Profikarriere zu ermöglichen, fuhren sie ihn später zum Training ins 60 Kilometer entfernte Kaiserslautern, wo seine Fußballreise begann.
Später, bei der TSG Hoffenheim, etablierte sich Amiri unter keinem anderen als Julian Nagelsmann, der dort Jugendtrainer war. Mit der U19-Mannschaft gewann Amiri unter Nagelsmann die deutsche Meisterschaft und debütierte einige Monate später in der Bundesliga. Ab der U18 spielte er durchgehend für alle deutschen Jugend-Nationalmannschaften und war 2017 das jüngste Mitglied der deutschen U21-Europameister.
2019 folgte der nächste Karriereschritt: der Wechsel zu Bayer Leverkusen und drei Monate später das erste A-Länderspiel für Deutschland. Damals waren auch die Reaktion der Fußballfans in Afghanistan überwiegend positiv. "So viele Familienmitglieder, aber auch viele Fremde, haben meine Eltern angerufen und ihnen gratuliert. Das ist sehr bewegend", sagte Amiri damals.
Die Verbindung zu seinen Wurzeln in Afghanistan hat der Profi nie verloren. Sein Cousin Zubayr, der selbst ein Bundesligaspieler hätte sein können, spielte später für Afghanistan und hält Amiri auf dem Laufenden, wie sich der Fußball im Land entwickelt.
Mit 14 war Amiri selbst in der Heimat seiner Eltern. Mutter und Vater nahmen ihn mit nach Afghanistan, um ihm Kabul und ihre Elternhäuser zu zeigen. Das hinterließ bleibenden Eiundruck, denn Jahre später engagierte sich Amiri in verschiedenen Flüchtlingsprojekten, unter anderem beim Roten Kreuz, um diejenigen zu unterstützen, die vor denselben Herausforderungen standen wie seine Eltern vor über 40 Jahren.
"Als Deutscher mit afghanischen Wurzeln verfolge ich die jüngsten Entwicklungen in Afghanistan sehr genau", sagte Amiri 2021 beim Besuch eines Flüchtlingsheims in Stuttgart. "Für mich war klar, dass ich diesen Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind - wie meiner eigenen Familie - so gut wie möglich helfen möchte."
In Mainz angekommen - auch im DFB-Team?
Hilfe annehmen, das musste auch Amiri selbst zuletzt. Als Vater zweier kleiner Kinder, die im November 2023 und im Oktober 2024 zur Welt kamen, bekam er nicht genügend Schlaf. "Lass dir helfen zu Hause", riet ihm daraufhin sein Trainer Bo Henriksen. Amiri nahm den Rat an. Vor Spielen geht er nun einen Tag früher ins Hotel, um genug Ruhe zu bekommen und zu Hause bei Ehefrau Nele hilft Amiris Mutter mit den Enkeln öfter aus.
Das alles - der Wechsel zum passenden Verein, die richtigen Trainer und das gute private Umfeld - haben dazu beigetragen, dass Amiri nun wieder im Nationalteam steht. Er ist damit ein gutes Beispiel dafür, dass Karrieren - insbesondere im Spitzensport - nicht immer linear verlaufen. Es geht darum, das Richtige zu finden, einen Ort, an den man gehört und an dem man sich wohl und gebraucht fühlt.
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft könnte ein weiterer solcher Ort für Nadiem Amiri werden.
Dieser Artikel wurde aus dem englischen Original "Nadiem Amiri's surprise return to Germany football team" adaptiert.