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"Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen"

Klaus Ulrich
1. Mai 2019

Es könne nicht sein, "dass gerade junge Menschen in ihrer Lebensplanung deutlich beschränkt werden, weil sie einen befristeten Arbeitsvertrag haben", meint der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann im DW-Gespräch.

Reiner Hoffmann DGB-Vorsitzender
DGB-Vorsitzender Reiner HoffmannBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Deutsche Welle: Welche Bedeutung hat der "Tag der Arbeit" für Sie?

Reiner Hoffmann: Das ist für uns immer noch ein Tag, an dem wir uns für bessere, gesunde Arbeitsbedingungen, anständige Löhne und vor allen Dingen für mehr Gerechtigkeit einsetzen.

Wir leben ja in Zeiten der Transformation und des Strukturwandels. Die Stichworte dazu sind Digitalisierung, Automatisierung und Industrie 4.0. Wie gut sind die Arbeitnehmer in Deutschland bei diesen Umbrüchen geschützt?

Wir erleben einen rasanten Strukturwandel. Hier kommt es darauf an, dass die Menschen auch in Zukunft gute Perspektiven und ordentliche Jobs haben. Wir müssen deutlich mehr in Bildung und Qualifizierung investieren, damit die Beschäftigten geschützt sind und auf dem Wege der Transformation für die neuen Kompetenzen und Qualifikationen vorbereitet werden.

Darüber hinaus müssen wir unsere sozialen Sicherungssysteme reformieren. Es kann nicht sein, dass Menschen, die 30 oder 35 Jahre gearbeitet haben, im Alter eine Rente erhalten, von der sie nicht in Würde leben können. Wir brauchen eine Ausweitung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes insbesondere für die Menschen, die jahrelang erwerbstätig waren. Es kann nicht sein, dass sie nach zwölf Monaten Arbeitslosigkeit in Hartz IV abrutschen. Das verunsichert Menschen - gerade in einer Zeit des rasanten Strukturwandels. Da haben wir deutlichen Korrekturbedarf.

Während in Deutschland mehr als 18 Prozent der Jobs einem hohen Automatisierung Risiko unterliegen sind es nach einer aktuellen Studie im OECD-Durchschnitt nur 14 Prozent. Ein Grund für diese höhere Quote in Deutschland ist der vergleichsweise hohe Industrie-Anteil an der Wertschöpfung hierzulande. Was soll mit den Menschen geschehen, deren Jobs sich stark verändern oder gar wegfallen?

Das hängt wesentlich davon ab, in welchen Bereichen neue Arbeitsplätze entstehen werden. Ob 18 oder 14 Prozent davon betroffen sind, ist dabei ein Stück weit Spekulation. Was wir aber sehen, ist, dass sich Arbeit rasant verändern wird. Doch insbesondere die Industriearbeit wird auch in Zukunft eine ganz zentrale Rolle spielen. Wir haben doch nach der internationalen Finanzmarktkrise 2008 erlebt, dass Deutschland unter anderem deshalb die Krise halbwegs gut überstehen konnte, weil wir immer noch einen relativ hohen Anteil an industrieller Wertschöpfung haben.

Vor dem Hintergrund der Digitalisierung und Globalisierung wird es darauf ankommen, unsere Industrien für die Zukunft wettbewerbsfähig zu machen. Das geht nur mit gut qualifizierten, hoch motivierten Beschäftigten.

Umstrittene Beschäftigungsverhältnisse beim US-Fahrdienstleister Uber empören nicht nur GewerkschaftenBild: picture-alliance/AP Images/G. J. Puskar

Was sollen Arbeitnehmer machen, die beispielsweise nicht mit Computertechnik und Datenverarbeitung zurechtkommen? Die können wir doch nicht alle in Rente schicken?

Nein, das ist überhaupt keine Perspektive. Wir müssen heute anspruchsvoll in Bildung investieren. Bildung ist eine Grundvoraussetzung und darf nicht erst dann erfolgen, wenn man im Erwerbsleben steht.

Die "Bildungskette" fängt bei der frühkindlichen Erziehung an, wo viel mehr getan werden muss. Das geht weiter über die schulische Grundausbildung, über die berufliche Ausbildung, sei es im System der dualen Berufsausbildung oder an den Hochschulen. Und wir müssen endlich ernst damit machen, dass Leben begleitendes Lernen nicht nur ein Schlagwort ist, sondern eine reale Chance für die Menschen darstellt.

Wir brauchen auch so etwas wie einen Kulturwandel in der Bildung selber. Bildung muss wieder Spaß machen dürfen. Bildung muss dem Menschen berufliche Perspektiven eröffnen. Bildung muss aber auch dazu beitragen, dass die Beteiligung der Menschen am gesellschaftlichen Leben gestärkt wird. Das ist am Ende ein Beitrag zur Stabilisierung unserer Demokratie.

Schauen wir mal auf neuere Beschäftigungsformen, wie es sie etwa in der sogenannten Plattformökonomie gibt. Dort wird kaum soziale Absicherung geboten. Wie kann man diese Soloselbstständigen, die da in erster Linie arbeiten, vor Ausbeutung und daraus resultierender Altersarmut schützen?

Da kommt es in allererster Linie darauf an, dass die sogenannten Plattform-Anbieter endlich anerkennen, dass sie Arbeitgeber sind. Es kann doch nicht sein, dass Firmen wie beispielsweise Uber es ablehnen, ihre Verantwortung wahrzunehmen und schlicht und ergreifend behaupten, ihre Fahrer wären alle Selbstständige. Der Tatbestand der Selbstständigkeit ist dort überhaupt nicht gegeben.

Wenn beispielsweise Fahrer, die Menschen von A nach B transportieren, nicht den Fahrpreis bestimmen können, wenn sie obendrein noch 25 bis 30 Prozent des Fahrpreises direkt als Lizenz an Uber abführen müssen - dann zeigt das doch ganz deutlich, wer hier Arbeitgeber ist und wer hier Arbeitnehmer ist und kein Selbstständiger oder Soloselbstständiger.

Wir brauchen einen erweiterten Arbeitgeberbegriff und einen neuen Arbeitnehmerbegriff. Vor allen Dingen müssen wir sicherstellen, dass auch Menschen in der Plattformökonomie in die Systeme der sozialen Sicherung integriert werden, sowohl bei der Krankenversicherung als auch bei der Arbeitslosenversicherung und natürlich auch bei der Rentenversicherung. Hier brauchen wir eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen und am Ende auch ein ordentliches Auskommen im Alter haben.

Wie stehen Ihrer Meinung nach in Zukunft die Chancen für junge Menschen auf feste unbefristete und sichere Jobs?

Wir müssen dringend mit dem Unfug aufhören, dass gerade junge Menschen einen befristeten Arbeitsvertrag nach dem anderen bekommen. Die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen gehört abgeschafft, so steht es ja auch im Koalitionsvertrag. Es kann nicht sein, dass junge Menschen keinen Mietvertrag bekommen, weil sie kein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis nachweisen können. Es kann nicht sein, dass Menschen - obwohl sie gut qualifiziert sind - in ihrer Lebensplanung deutlich beschränkt werden, weil sie einen befristeten Arbeitsvertrag haben. Ich fordere die große Koalition auf, hier schnell zu handeln.

Das Gespräch führte Klaus Ulrich

Reiner Hoffmann begann seine berufliche Laufbahn als Auszubildender bei den Farbwerken Hoechst. Nach einem Studium an der Bergischen Universität-Gesamthochschule Wuppertal arbeitete er für die Europäische Gemeinschaft in Brüssel, später für die Hans-Böckler-Stiftung. Am 1. Februar 2014 wechselte Hoffmann in den Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand, seit 12. Mai 2014 ist er Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes mit rund sechs Millionen Mitgliedern.

 

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