Dialog mit der Kamera: Der Fotograf Martin Schoeller
1. März 2020
Er ist einer der gefragtesten Fotografen der Welt. Gebucht wird er für Portraits von Präsidenten, Politikern und Stars, seine Reportagen sind sozialkritische Nahaufnahmen. In Düsseldorf ist jetzt eine Werkschau zu sehen.
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Extreme Nahaufnahme: Fotoarbeiten von Martin Schoeller
Vor seiner Kamera sind sie alle gleich: Barack Obama, George Clooney, Drag Queens und Obdachlose. Martin Schoeller schaut jedem direkt in die Augen. In Düsseldorf sind seine außergewöhnlichen Fotoarbeiten zu sehen.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
"Drag Queens"
Ungerahmt, die Papierabzüge einfach auf die Wand des Museums getackert. Die großformatigen Fotoarbeiten von Martin Schoeller haben etwas zutiefst Menschliches. Mit seiner Kamera schaut er jedem seiner Protagonisten tief in die Augen. Für seine aktuelle Serie "Drag Queens" hat Martin Schoeller New Yorker Transvestiten fotografiert - Männer in Frauenkleidung, die sich als Performance inszenieren.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Zwillinge: Loraine Smedley & Loretta Tharp
Entscheidend für die Karriere von Martin Schoeller (Jg. 1968) war eine Auftragsarbeit für "National Geographic". Die renommierte internationale Zeitschrift rief den jungen Fotografen an und beauftragte ihn, für einen wissenschaftlichen Text eine Serie über Zwillinge zu fotografieren. Seit 1993 lebte der Deutsche in New York. Anfangs arbeitete er als Assistent von Starfotografin Annie Leibovitz.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Angela Merkel,2010 // Aje Unique Graham, 2015
Berühmt wurde Martin Schoeller, der in Frankfurt aufgewachsen ist, mit seinen seriellen "Close Ups". Egal ob Hollywoodstars wie Denzel Washington oder Meryl Streep oder prominente Politiker wie Barack Obama oder hier Angela Merkel: Für seine extrem nahen Portraits fotografiert er alle gleich, die Kamera auf Augenhöhe. Auch Obdachlose und Prostituierte setzt er so exponiert vor die Kamera.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
George Clooney, 2008
Statt Blitzlicht verwendet er weiches Neonlicht. Der Hintergrund ist immer schlicht, mal zart grau, mal weiß. Wer Spaß daran hat, darf sein Portrait mit inszenieren. Hollywood-Star George Clooney spielt mit der Maskierung des professionellen Schauspielers, der jederzeit ein Gesicht aufsetzen kann. Für Martin Schoeller zählt der kostbare "Augenblick einer kurzen Unbedachtheit", wie er das nennt.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Star-Portraits von Zidane (2006) und Cher (2010)
Porentief und hautnah: Bei den großformatigen Portraits seiner extremen Close Ups sieht man jede Hautunebenheit, jeden Pickel, jede Sommersprosse. Retuschiert wird hinterher nichts. "Nur bei Nasenhaaren sind wir gnädig", verrät Martin Schoeller im Gespräch mit der DW. Der französische Fussballstar Zinédine Zidan (li). setzte sich - stark lädiert vom letzten Spiel - vor die Kamera.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Serielle Portraits "Close Up"
Auch deutsche Fussball-Prominenz wie Bundestrainer Jogi Löw (2.v.li) saß bei Martin Schoeller vor der Kamera. Das Fotosetting, das auf nur wenigen Quadratmetern Platz findet, baut Schoeller mit seinem Team aus New York immer gleich auf. Die schwere Glasplatten-Kamera wird auf Augenhöhe des Gegenübers hochgeschraubt und millimetergenau positioniert. Die Gesichter wirken fast wie Landschaften.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Rapper Jay-Z, 2007
Der Erfolg veränderte die Arbeitsweise Martin Schoellers. Anfangs bekam der Fotograf 10 bis 15 Minuten Zeit für ein Shooting. Doch auf einmal standen ihm prominente Stars wie der Rapper Jay-Z (Foto) zwei bis drei Stunden zur Verfügung. "Da musste ich mich neu erfinden", erzählte Schoeller der DW. "Ich kann ja nicht jemand zwei Stunden im Close Up fotografieren." So entstanden situative Portraits.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Serie: "Female Bodybuilder"
Durch Zufall kam Martin Schoeller in Kontakt mit der US-amerikanischen Bodybuilder-Szene. Staunend registrierte er, wie hart und kräftezehrend vor allem die weiblichen Athleten vor den Wettbewerben trainieren mussten. "Ich war extrem fasziniert von diesen Frauen, die so ihre Muskeln aufbauen, dass sie nicht mehr unserem Schönheitsideal entsprechen." Bräunungsspray bringt die Muskeln zur Geltung.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Reportage: Kayapo-Frauen
Martin Schoeller reist viel durch die Welt, um abseits der Glamour- und Society-Welt Themen zu fotografieren. In Brasilien lernte er für eine Fotoreportage den indigenen Stamm der Kayapo kennen. Für Feiern zur Namensvergabe an die Kinder bemalen sich die Frauen das Gesicht. "Ich war war fasziniert von dem kunstvollen Einsatz von nur zwei Farben", sagt Schoeller.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Lars Eidinger, 2019
Der extrovertierte Schauspieler ist einer der angesagtesten Stars der Theater- und Filmszene in Deutschland. Martin Schoeller hat Lars Eidinger hier für eine Fotostrecke im Kundenmagazin der Deutschen Bundesbahn (DB Mobil) abgelichtet. Die Idee mit dem fiesen Glasauge stammt von Eidinger selbst, verrät Schoeller im Interview. Die Schlange gehört einem Berliner Reptilienfan – und ist lebendig.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Drag Queen Los Angeles
Die "Drag Queens" ist Schoellers aktuellste Serie und als Arbeit noch nicht abgeschlossen. Am letzten Berlinale-Wochenende fotografiert er dort noch eine der bekanntesten Berliner Drag Queens. Wer es ist, verrät er nicht. Da ist er diskret: "Heutzutage leben Fotos ja im Netz für immer weiter. Und die Menschen machen sich Sorgen um ihr Image und haben Angst, dass es da peinliche Fotos gibt."
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Werkschau "Martin Schoeller"
Die extrem nahen Portraits haben den Fotografen weltbekannt gemacht, international noch mehr als in seinem Heimatland Deutschland. 2020 ist Schoeller in Deutschland mit gleich zwei Ausstellungen vertreten. In Essen mit Portraits von 75 Holocaust-Überlebenden (bis 26.7.), in Düsseldorf im NRW-Forum (bis 15.7.2020) mit seiner Werkschau.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
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Sein Entschluss, 1993 nach New York zu ziehen, war folgenreich: Drei Jahre arbeitete Martin Schoeller als Assistent für Starfotografin Annie Leibovitz. Mit ihr und ihrem Team reiste er um die Welt und lernte viele Stars aus der Film- und Musikbranche kennen. Und er eignete sich alle Finessen der professionellen Fotografie an, die den künstlerischen Fotografen vom guten Handwerker unterscheiden. Das Fotografieren an sich hatte er beim Berliner Lette-Verein gelernt.
Steile Karriere in New York
Schon bald ging der junge Deutsche eigene Wege. Als freier Profi-Fotograf in den USA sucht er seinen persönlichen Stil, versuchte seine Ideen den Redaktionen anzubieten. "Am Anfang haben die Redakteure meine Close-Ups gar nicht verstanden", erzählt Schoeller im Interview. "In der Zeit habe ich vor allem Freunde fotografiert. Bis ein Fotoredakteur mir mal einen Termin, ein Shooting mit Vanessa Redgrave, gab."
Martin Schoeller hat für die Werkschau in Düsseldorf tief in seinem persönlichen Fotoarchiv gegraben – und auch Arbeiten vom Anfang seiner Karriere durchforstet. "1998 habe ich gerade mal drei Hochzeiten fotografiert und einen Stillleben-Job", erinnert er sich.
Das Shooting mit so einem berühmten Filmstar wie Vanessa Redgrave katapultierte ihn von einem Tag auf den anderen in eine andere Liga. "Das ging dann los, wie eine Lawine. Da hatte ich 1999 auf einmal 127 Jobs, das war schon überwältigend. Geschlafen habe in der Zeit im Durchschnitt 4 Stunden, weil es einfach so viel Arbeit war", erzählt Schoeller und staunt heute selbst noch darüber.
Klare Haltung, keine Starallüren
Heute kann der inzwischen international berühmte Fotograf alles gelassener angehen. Ein zuverlässiges Team von Mitarbeitern und Assistenten arbeitet ihm zu und bereitet die Fotoshootings vor. Aber wenn die zahlreichen Lampen- und Kamerakoffer verladen werden, packt Schoeller auch selbst mit an. Starallüren kennt der 52-jährige Deutsche nicht. Humor gehört für ihn dazu, um die Präzision für die Profiarbeit aufzubringen.
Geboren wurde Martin Schoeller 1968 in München, aufgewachsen ist er in Frankfurt am Main. Sein Vater war der bekannte TV-Journalist und Literaturkritiker Wilfried F. Schoeller (1941-2020). Seine Schwester Bettina ist Regisseurin. Kunst und Literatur gehörten zum Familienleben.
Martin interessierte sich für Fotografie. Was er an der Berliner Lette-Schule gelernt hat, ist bis heute sein Fundament. Die seriellen Arbeiten von August Sander und Bernd und Hilla Becher prägten nachhaltig sein Denken und seine Sichtweise auf die Fotografie als Kunstform.
Reporter für den "New Yorker"
Der Termin für ein Fotoshooting mit Tony Hawk, mehrfacher Skateboard-Weltmeister und YouTube-Star – übrigens gleicher Jahrgang wie Schoeller, bescherte dem jungen Fotografen aus Deutschland einen festen Vertrag beim Magazin "The New Yorker". "Da war ich dann 13 Jahre als Fotograf angestellt", erinnert er sich im Interview zurück.
Inzwischen sind seine supernahen Close-Ups und die inszenierten Portraits mit Prominenten auf den Titelseiten der internationalen Magazine zu finden: Von "Time" bis "Vanity Fair", von der renommierten "New York Times" über den "Stern" bis zum Musikmagazin "Rolling Stone". 2000 wurde er als "Best Talent" vom "Life"-Magazin ausgezeichnet.
Martin Schoeller wird viel gebucht, reist ständig rund um den Globus, um seine Shootings und auch eigene Projekte zu realisieren. Und regelmäßig arbeite er auch als Fotoreporter für die populärwissenschaftliche Zeitschrift „National Geographic“, die ihm seine Projektarbeit "Identical" ermöglichte.
Internationales Renommee
Seit 15 Jahren sind seine Arbeiten in Ausstellungen zu sehen, die erste 2005 in der Galerie Camerawork in Berlin, später kamen Museen und Galerien in New York, Boston und Beverly Hills dazu. Seit 20 Jahren managt Anke Degenhardt, Agentin, Kuratorin und Spezialistin für zeitgenössische Fotografie, seine Fotoausstellungen. Oft findet sie mit Gespür genau den passenden Ort für seine großformatigen Arbeiten.
2020 ist Martin Schoeller in Deutschland mit gleich zwei großen Ausstellungen vertreten: Auf der Zeche Zollverein in Essen mit "Survivors", für die er in enger Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Yad Vashem 75 Holocaust-Überlebende in Israel fotografiert hat. Das NRW-Forum in Düsseldorf wiederum zeigt seine Werkschau. Beide Ausstellungen machen ihn stolz, auch weil er in Düsseldorf mehr als seine bekannten Close-Ups zeigen kann.
Die 170 Arbeiten der Werkschau spiegeln auch Martin Schoeller wieder. Sein wichtigstes Projekt sind Portraits von Todeskandidaten, die viele Jahre unschuldig in US-Gefängnissen saßen und im letzten Moment freigesprochen wurden. Es dauerte lange, bis er dafür Vertrauen aufbauen konnte.
Und sehr am Herzen liegen ihm die Fotos von jungen Transgender-Frauen, die in West-Hollywood unter sozial krassen Bedingungen leben und anschaffen müssen. Den Erlös vom Verkauf dieser Bilder spendet Schoeller zu 100 Prozent an eine karitative Organisation, die sich um diese Menschen kümmern. Das zu wissen, mache ihn froh, sagt er.
Die Ausstellung "Martin Schoeller" im NRW-Kunstforum ist noch bis zum 15.9. 2020 in Düsseldorf zu sehen. "Survivors" auf Zeche Zollverein in Essen noch bis zum 26.7.2020
"Survivors": Gesichter wie Seelenlandschaften
Die Falten der Erinnerung sind tief eingegraben, das Erlittene hat seine Spuren hinterlassen. 75 Überlebende des Holocaust, die alle in Israel leben, haben sich vor die Kamera von Starfotograf Martin Schoeller gewagt.
Bild: Martin Schoeller, NY/Foto: DW/H. Mund
Hannah Goslar-Pick, Jg. 1928
Hannah wurde 1928 in Berlin geboren. Nachdem die Anfeindungen gegen Juden und die öffentlichen Repressalien in Nazi-Deutschland unerträglich wurden, zog ihre Familie in die Niederlande, nach Amsterdam. Aber auch dort konnten sie der Judenverfolgung nicht entkommen. Sie wurde verhaftet und ins Durchgangslager Westerbork abtransportiert. Von dort deportierte sie die SS ins KZ Bergen-Belsen.
Bild: Martin Schoeller, NY/Foto: DW/H. Mund
Baruch Shu, Jg. 1924
Baruch Shu stammt aus Vilnius. Vor dem Zweiten Weltkrieg gehörte die Stadt zu Polen, heute ist sie Teil von Litauen. Das Ghetto von Vilna überlebte Shu, weil er in die polnische Untergrundbewegung ging und mit den Partisanen gegen die Nazis kämpfte. Er fühlt sich verpflichtet, der heutigen Generation immer wieder vom Holocaust zu erzählen - damit die Erinnerung für die Zukunft erhalten bleibt.
Bild: Martin Schoeller, NY/Foto: DW/H. Mund
Lily Gombash, Jg. 1930
Lily wurde in in Zagreb in Jugoslawien geboren. Heute gehört die Stadt zu Kroatien. Sie hat viel durchgemacht und überlebte als weiblicher KZ-Häftling mit knapper Not die Torturen im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Heute beklagt sie, dass es soviel Hass in der Welt gäbe. Sie wünscht sich und allen Menschen ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit.
Bild: Martin Schoeller, NY/Foto: DW/H. Mund
Ester Hurwitz, Jg. 1919
Die alte Dame mit den feuerroten Haaren stammt aus Deutschland und lebt heute in Israel - wie alle Holocaust-Überlebenden, die Martin Schoeller für das Projekt "Survivors" fotografiert hat. 1919 wurde sie in Düsseldorf geboren. Später zog die Familie nach Polen. Von dort wurde ihre Mutter zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verschleppt. Ester wurde von deutschen Christen versteckt.
Batsheva (links) wurde in Lodz in Polen geboren. Sie überlebte das Ghetto von Warschau und arbeitete unter falschem Namen bei einer Nazi-Familie in Schweina. Aber sie wurde entdeckt und ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Moshe Trossmann wurde ebenfalls in Polen geboren, in Rokitna. Er konnte kurz vor der Liquidierung des Ghettos fliehen und schloss sich einer Partisanengruppe an.
Bild: Martin Schoeller, NY/Foto: DW/H. Mund
Aus allen Ländern Europas
Alle Holocaust-Überlebenden, deren großformatige Portraitfotografien zur Zeit in der Ausstellung "Survivors" in der Zeche Zollverein in Essen hängen, leben heute in Israel. Dort fühlen sie sich sicher, haben eine neue Heimat gefunden. Damals kamen sie aus allen Ländern Europas: aus Griechenland, Italien, Jugoslawien und Russland, aus Bulgarien, Rumänien, Polen und auch aus Deutschland.
Bild: Martin Schoeller, NY/Foto: DW/H. Mund
Martin Schoeller, Jg. 1968 Fotograf mit Tiefgang
Die intensive Portraitarbeit mit den zum Teil hochbetagten Holocaust-Überlebenden sei für ihn das emotional bewegendste Projekt, das er je fotografiert habe, erzählt Martin Schoeller. Für ihn als Deutschen, der in New York lebt, war sein Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem eine wichtige Einstimmung auf das "Survivors"-Projekt. Das Fotoshooting fand in Yad Vashem statt.