1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Wie weiter in Belarus?

Roman Goncharenko
24. August 2020

Zehntausende protestieren friedlich, doch der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko zeigt sich mit einer Kalaschnikow. Schrumpft der Spielraum für eine gewaltfreie Lösung in Belarus?

Lukaschenko bedankt sich bei Sicherheitskräften, 23. August 2020
Lukaschenko bedankt sich bei SicherheitskräftenBild: AFP/BELTA

"Wir kümmern uns um die." Was der Präsident von Belarus (Weißrussland) am Sonntag mit diesem Satz über die Opposition gemeint hatte, wurde schnell klar. Mindestens zwei Mitglieder des von der Opposition gegründeten Koordinierungsrates wurden am Montag festgenommen, ebenfalls zwei Anführer von Streiks an staatlichen Fabriken. Außerdem sprach sich Alexander Lukaschenko dafür aus, Lehrer zu entlassen, die die Opposition unterstützen. Zuvor ordnete er an, streikende Betriebe zu schließen.

Lukaschenko: bewaffnet und kompromisslos

Während Lukaschenkos Gegner am Wochenende erneut mehr als 100.000 Menschen mobilisieren konnten, an den Protesten auf den Straßen der Hauptstadt Minsk teilzunehmen, ließ sich der Präsident in einer schusssicheren Weste und mit einer Kalaschnikow in der Hand filmen. Ein Video zeigte, wie er im Hubschrauber ankommt und sich bei den Spezialkräften bedankt, die seine Residenz mit Metallgittern, Stacheldraht und Sonderfahrzeugen wie eine belagerte Festung schützen.

Oppositionelle Demonstranten in MinskBild: imago images/ITAR-TASS/V. Sharifulin

Anders als in den vergangenen Wochen, als die Polizei mit Wasserwerfern, Gummigeschossen und Blendgranaten Demonstranten zu vertreiben versucht hatte, blieben die Proteste friedlich. Auslöser für die Demonstrationen war der Vorwurf der Wahlfälschung bei der Präsidentenwahl am 9. August, bei der Lukaschenko mit rund 80 Prozent zum Gewinner erklärt wurde. Die Opposition um Swetlana Tichanowskaja reklamiert den Wahlsieg für sich. Auch die Europäische Union erkennt das amtliche Wahlergebnis nicht an.

Mit der "Inszenierung als Rambo" habe Lukaschenko Stärke zeigen wollen, sagte Jakob Wöllstein, Leiter des Auslandsbüros Belarus bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) im DW-Gespräch. Doch wirke es "für viele wie ein Zeichen, dass er sich noch stärker in die Enge getrieben fühlt".

Der seit 26 Jahren regierende Lukaschenko, in westlichen Medien "Europas letzter Diktator" genannt, zeigt keine Kompromissbereitschaft. Neuwahlen werde es nur über seine Leiche geben, sagte der Präsident neulich beim Besuch eines Traktorenwerks in Minsk, bei dem er ausgebuht wurde. Sein Auftritt mit einer Kalaschnikow lasse "befürchten, dass er diesen Satz ernst gemeint hatte", sagte Astrid Sahm, Gastwissenschaftlerin an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Belarus-Kennerin der DW. Dialog sei das einzige, was "diese Krise lösen könnte", doch der Präsident zeige keine Bereitschaft dazu. "Es ist klar, dass er darauf setzt, die Eskalation zumindest in Bildern und rhetorisch herbeizuführen", sagte Wöllstein. Doch Lukaschenkos Ansatz habe bisheriger nicht geklappt: "Die Leute sind friedlich gewesen und wissen, dass ihre Legitimität davon abhängt."

Wie es in Belarus weitergehen könnte 

Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja Bild: picture alliance/AP Photo

Der Machtkampf in der früheren Sowjetrepublik geht in die dritte Woche. Die Opposition setzt auf Straßenproteste und Streiks. Der Protest wirkte zunächst führerlos, nachdem die 37-jährige Kandidatin Tichanowskaja, die sich zur Siegerin erklärt hatte, nach der Wahl ins benachbarte Litauen ausreisen musste. Von dort aus versucht sie, mit Videobotschaften den Druck auf Lukaschenko aufrechtzuerhalten. Die Opposition fordert Neuwahlen sowie die Freilassung der politischen Gefangenen, zu denen auch der Ehemann von Tichanowskaja, Sergej Tichanowskij, gehört. 

Wie es weiter gehen könnte, darüber lässt sich nur spekulieren. Experten glauben jedenfalls nicht daran, dass der Spieleraum für eine gewaltfreie Lösung am Wochenende kleiner wurde. "Trotz massiver Präsenz der Polizei und der Armee ist es zu keiner Gewalt gekommen", sagt Astrid Sahm von der SWP. Jakob Wöllstein von der KAS nennt die Streiks "das schmerzhafteste Mittel" des Protests und glaubt, die weitere Entwicklung dürfte davon abhängen, wie hart sie Lukaschenko und die ohnehin geschwächte belarussische Wirtschaft treffen würden. 

Lukaschenko telefoniert mit Putin

Vieles dürfte auch vom Verhalten des großen Nachbarn Russlands abhängen. Bisher stützt Moskau zwar Lukaschenko, versucht jedoch den Eindruck einer offenen Einmischung zu vermeiden. Russlands Außenminister Sergej Lawrow kritisierte dagegen am Wochenende die angebliche Einmischung des Westens. Gemeint war wohl unter anderem das Treffen des stellvertretenden US-Außenministers mit der Oppositionsführern Tichanowskaja am Montag in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Lukaschenko dagegen telefonierte erneut mit Putin. Der belarussische Präsident habe über "Normalisierungsmaßnahmen" im Land informiert, hieß es danach aus dem Kreml.

Eine Rückkehr zu bisherigen Verhältnissen erscheint den Experten jedenfalls unwahrscheinlich. Lukaschenko sei nicht bereit mit der Opposition zu verhandeln, weil er im Falle einer neuen und freien Wahl verlieren würde, glaubt Wöllstein. "Die Frage ist, ob er zu einem Zeitpunkt bereit sein wird, einfach zu gehen", so der KAS-Experte. Noch sei das nicht in Sicht.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen