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Das Ende der Raumgleiter

8. Juli 2011

Nach dem Ende der Shuttle-Ära in den USA verlieren tausend Beschäftigte ihren Job. Ihre Zukunft ist genauso ungewiss wie die des US-Raumfahrtprogramms.

Das Space Shuttle Discovery nach der Landung im Kennedy Space Center in Cape Canaveral (Foto: AP/dapd)
Das Ende des Shuttle-Programmes verändert die Gemeinde TitusvilleBild: dapd

Vor dem inzwischen geglückten Start der Atlantis an diesem Freitag (08.07.2011) - der Countdown läuft noch: Es ist ungewöhnlich still im Vehicle Assembly Building (VAB) der NASA. Dort, wo sonst die Space Shuttles für ihren Flug vorbereitet werden, gibt es jetzt nichts mehr zu tun. Die Atlantis steht auf der Startrampe, um ihre Reise zur Internationalen Raumstation (ISS) anzutreten.

Das VAB wird eingemottet, bis feststeht, mit welcher Rakete die USA wieder ins All fliegenBild: DW

Das VAB ist das größte Gebäude der Welt. Mit einer Fläche von drei Hektar und einer Höhe von 160 Metern überragt es das Gelände der US-Raumfahrtbehörde NASA in Florida. Hier wurden schon die Saturn V Raketen des Apollo-Progamms gebaut. "Jetzt wird das Gebäude eingemottet", erklärt Bobby Williams.

Der 50-Jährige Vorarbeiter hat bisher dafür gesorgt, dass die riesigen Tanks an den Raumgleiter montiert wurden und die Frachtluke beladen wurde. Er ist seit 24 Jahren bei der NASA und hat mit mehr als 60 Kollegen im VAB die Space Shuttles auf ihre Flüge vorbereitet

Entlassungswelle beginnt Ende Juli

Williams schaut in eine ungewisse ZukunftBild: DW

Aber jetzt gibt es hier für Williams nicht mehr viel zu tun. Das nächste Projekt? Er macht eine Pause. "Wir wissen es nicht", sagt er schließlich. Dennoch darf er erst einmal im VAB weiter arbeiten, denn wie so vieles auf dem Kennedy-Space Center wird auch dieses Gebäude in Bereitschaft gehalten. Den Beschäftigten wurde erklärt, dass diese Phase zwischen neun Monaten und zwei Jahren dauern kann. Bis man weiß, wie es weiter geht.

Williams ist, wie die meisten Mitarbeiter, bei der USA angestellt, der United Space Alliance. Die USA ist der größte Subunternehmer, mit dem die NASA für die Shuttle-Missionen zusammengearbeitet hat. Nur wenige Wochen nach dem letzten Start wird es bei der USA die erste von drei Entlassungswellen geben - nicht nur in Florida, sondern auch in Houston, Texas, wo die Astronauten trainiert werden, und in Huntsville, Alabama, wo Software und Hardware zusammengebaut werden. "Es betrifft Angestellte in allen unseren Betrieben - Ingenieure, Techniker, Verwaltungsangestellte, Manager, in allen Bereichen der Firma", erklärt Tracy Yates, Pressesprecherin der USA.

Auch die Umgebung ist betroffen

Shuttle-Veteran Tulley nahm seine Abfindung und wurde BürgermeisterBild: DW

Zu Spitzenzeiten arbeiteten 10.000 Beschäftigte bei der USA, aber das ist lange her. Seit 2009 sind kontinuierlich Leute entlassen oder in den Ruhestand geschickt worden. Von den derzeit 5600 Angestellten müssen bis Ende August die Hälfte gehen, 1900 davon allein in Florida. Wer lange dabei ist, bekommt eine großzügige Abfindung. Wie zum Beispiel Jim Tulley, der Bürgermeister von Titusville. Von dem 45.000-Einwohner-Ort blickt man über eine kleine Bucht direkt auf das NASA-Gelände. Tulley war Softwareentwickler bei der USA und hat sich 2009 verabschiedet. Er war damals über 60 und mehr als 25 Jahre in der Raumfahrt tätig.

Den anstehenden Verlust der Arbeitsplätze durch das Ende des Shuttle-Programms, rechnet er vor, werde Titusville verkraften. Denn einerseits seien die meisten Angestellten schon entlassen worden, andererseits dauere es wegen der Abfindungen einige Zeit, bis die Menschen hier wegziehen. Außerdem seien "viele im Pensionsalter, die wollen hier gar nicht weg, weil man hier gut leben kann".

NASA setzt auf Kommerzialisierung der Raumfahrt

Bürgermeister Tulley ist derzeit damit beschäftigt, seine Stadt zu verschönern. Eine neue Brücke über die Bucht zur NASA haben sie gebaut, die Hauptstraße hübsch gemacht. Doch aller Optimismus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Titusville viele Häuser leer stehen und verkommen und dass in der Hauptstraße auch an einem Freitagabend nicht viel los ist. Einen Arbeitgeber, der mehrere tausend Menschen beschäftigt, wird es wohl nicht mehr geben.

Der letzte Flug geht ins Smithsonian Museum nahe Washington, DCBild: NASA Carla Thomas

Außerdem ist noch nicht klar, mit welcher Rakete die Amerikaner demnächst zur ISS starten werden. Die NASA unterstützt die Entwicklung bei mehreren kommerziellen Unternehmen und will dann die Plätze in den Raketen kaufen. "Die Firmen werden herausfinden, wie man die Starts schneller, besser und billiger macht", gibt sich Bürgermeister Tulley optimistisch. Und sicher müssten sie auch sein, sonst würden die Menschen ja nicht fliegen wollen, fügt er hinzu.

Vorbereitung für die letzte Reise

Auch Stephanie Stilson ist eine der Angestellten, die ihren Job noch eine Weile behalten. Stilson ist Chefin der Fertigung des Space Shuttles Discovery. Bei den vergangenen elf Flügen des Raumgleiters war sie dafür verantwortlich, ihn wieder für den nächsten Start vorzubereiten. Reifen auswechseln, Motoren checken, Hitzekacheln überprüfen. Jetzt steht die Discovery noch einmal in der Halle, Nase und Frachtluke geöffnet, an unendlich vielen Stellen verkabelt. Stephanie Stilson bereitet die Discovery auf ihren letzten Flug vor – in ein Museum in der Nähe der Hauptstadt Washington. "Wir müssen die ganzen gefährlichen Stoffe entfernen", erklärt sie, "damit die Menschen sie ohne Sorge besichtigen können". Neun Monate dauert die Prozedur. Im nächsten April wird die Discovery auf dem Rücken einer Boeing 747 nach Washington transportiert.

Chefingenieurin Stilson kümmert sich jetzt um die Entsorgung von SchadstoffenBild: DW

Stephanie Stilson ist seit 1989 bei der NASA, 2000 kam die jetzt 41-Jährige zum Team der Discovery. Was macht sie, wenn der letzte Orbiter fertig fürs Museum ist? Die blonde Ingenieurin lacht. Erst einmal gilt es, diesen Job mit der gleichen Präzision zu beenden wie die vorherigen. "Ich stecke vielleicht meinen Kopf ein bisschen in den Sand und verdränge, dass das das Ende ist", gibt sie zu und fährt fort: "Ich treibe einfach die Arbeit voran, die wir jetzt haben, zum Glück kann ich das gleiche mit Atlantis und Endeavour tun." Alle drei Space Shuttles werden in Museen aufgestellt. Die Trauer kommt, fürchtet Stilson, wenn diese Arbeit erledigt ist.

Präsident Obama stoppte das neue Programm

Eigentlich war es beschlossene Sache, dass die NASA mit dem Constellation–Programm zunächst wieder den Mond, dann den Mars und schließlich unerschlossene Weiten erreichen sollte. Doch vor gut einem Jahr kippte US-Präsident Barack Obama das Programm – aus Kostengründen. Dabei war die erste entsprechende Rakete, die Ares, schon gebaut. Doch sie startete nur ein einziges Mal.

Robin Fisher, der Beauftragte der Gemeinde Brevard County, ist deswegen auch enttäuscht vom Präsidenten. "Als Präsident Obama ins Amt kam," sagt er, "hat er angedeutet, dass er den Arbeitsplatzverlust minimieren wird". Tatsache sei aber, "dass es noch keine neue Mission gibt, noch keine neue Rakete für schwere Lasten, dass Constellation eingestellt wurde". Jetzt sorgt er sich, dass die talentierten Arbeitskräfte abwandern.

Zum Start der Atlantis macht Bobby Williams etwas, was er noch nie gemacht hat: sich den Start vom Dach des VAB ansehen. Von dort hat man einen grandiosen Ausblick. Es ist ein bittersüßer Moment, weil er auch an die Kollegen und Freunde denkt, die ihren Job bereits verloren haben. "Ich habe sehr großes Glück gehabt, dass ich meinen Arbeitsplatz behalten darf", sagt Williams leise.

Autorin: Christina Bergmann
Redaktion: Fabian Schmidt