Die Ära Westerwelle ist zu Ende
13. Mai 2011Selbstkritik gehörte in der Vergangenheit nicht gerade zu den hervorstechenden Eigenschaften Guido Westerwelles. In der Stunde des Abschieds aber räumte der auf dem bis Sonntag (15.05.2011) dauernden Parteitag in Rostock nach zehn Jahren nicht mehr für den FDP-Vorsitz kandidierende Außenminister ein, Fehler gemacht zu haben. Und niemand werfe sich die Fehler mehr vor, als er sich selbst. Doch Westerwelle hielt sich nicht lange mit der Vergangenheit auf. Gewohnt kämpferisch warb er für die liberale Sache im Allgemeinen und für die eigene Person im Besonderen. Die letzten zehn Jahre seien "durchaus positiv unter dem Strich".
Die letzten zehn Jahre waren jene seit 2001, in denen Westerwelle die FDP nach seinen Vorstellungen formte. Und das tat der 49-Jährige in der Tat sehr erfolgreich. Unter seiner Führung gelang es, die Liberalen vorübergehend in 15 von 16 Landtage zu bringen. Sein größter Triumph war die Bundestagswahl 2009, als die FDP ihr mit Abstand bestes Ergebnis (14,6 Prozent) erzielte. Die FDP kehrte nach elf Jahren in der Opposition an die Macht zurück, Westerwelle wurde Außenminister. Und das will er bleiben, obwohl es auch in den eigenen Reihen Kritiker gibt, die seinen kompletten Rückzug für die bessere Lösung hielten.
Weltweites Engagement für Menschenrechte
Diesen Gefallen tat ihnen der nunmehr ehemalige FDP-Vorsitzende nicht. Rund 20 Minuten seiner einstündigen Rede widmete Westerwelle der Außenpolitik und verknüpfte sie dabei immer wieder mit seiner eigenen Rolle. Eindringlich schilderte er seinen Besuch in Kairo, wo er wenige Tage nach der erfolgreichen Revolution in Ägypten die begeisterten Menschen auf dem Tahir-Platz erlebte: "Es lebe Ägypten, es lebe Deutschland!", hätten sie skandiert. Das sei Ausdruck für das Ansehen Deutschlands dort gewesen, sagte der Außenminister.
Deutschland als Vorbild, wo sich die Menschen 1989 in der kommunistischen DDR wie in ganz Osteuropa auch die Freiheit erkämpft haben. Auf diese Analogie kam es Westerwelle an. Er sprach vom "Vormarsch in die freie Welt", für die sich Hunderttausende in Ägypten und anderen Ländern Nordafrikas entschieden hätten. Westerwelle sieht die Freiheits-Mission und seine Rolle dabei noch längst nicht als beendet an. "Wo Freiheitsrechte unterdrückt werden, stehen wir als Liberale, stehe ich auch als deutscher Außenminister auf", betonte Westerwelle seine Entschlossenheit.
Westerwelle rechtfertigt Libyen-Entscheidung
Dieses Engagement gelte für die Freiheitsbewegungen Nordafrikas, aber auch für die Freiheit der Kunst in China, wenn es darum gehe, sich mit dem drangsalierten Künstler Ai Weiwei zu solidarisieren. "Ich tue das, weil es eine Pflicht gibt zur Einmischung in die innere Angelegenheit der Menschenrechte", rief Westerwelle seinen Partei-Freunden in Rostock zu.
Der Außenminister rechtfertigte auch nochmals die Entscheidung, sich bei der Abstimmung im Weltsicherheitsrat über einen Militär-Einsatz gegen Libyen enthalten zu haben, auch wenn man das politische Ziel teile, den Diktator Muammar al Gaddafi zu bekämpfen. Er respektiere jeden, der mit ehrenwerten Motiven der Überzeugung sei, der militärische Eingriff sei notwendig. Deutschland aber setze auf einen politischen Prozess.
Warnung vor Renationalisierung in Europa
Einen anderen politischen Prozess, den in der Europäischen Union (EU), sieht der deutsche Außenminister in einer bedrohlichen Lage. Die Milliarden-Hilfen, die mehrere überschuldete EU-Länder auch und vor allem von der führenden Wirtschaftsmacht Deutschland bekommen, halten manche Liberale für falsch. Westerwelle warnt indes davor, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Noch kritischer beurteilt er Tendenzen in der EU, sich abzuschotten. Ohne Dänemark namentlich zu erwähnen, meinte Westerwelle die Wiedereinführung von Grenz-Kontrollen in dem nördlichen Nachbarland. "Ich sorge mich, wenn ich sehe, in wie vielen Ländern Europas es wieder Kräfte gibt, die eine Renationalisierung der Politik wollen."
Westerwelles letzte Rede als FDP-Vorsitzenden war bei aller Leidenschaft für die Idee der Freiheit auch ein Appell an seine Partei, ihn nicht als Außenminister infrage zu stellen. Sein Wunsch ging in Erfüllung. Nachdem sich zuvor bereits der Fraktionschef im Bundestag, Rainer Brüderle, für ihn stark gemacht hatte, durfte Westerwelle für seine Rede sieben Minuten frenetischen Applaus genießen. Viel Beifall erntete auch der mit 95 Prozent zum neuen Partei-Vorsitzenden gewählte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler. Der 38-Jährige in Vietnam geborene Mediziner will der schwer angeschlagenen FDP neuen Optimismus einhauchen. "Ich verspreche Ihnen, ab jetzt, ab heute geht der Wiederaufstieg der Freien Demokraten endlich los", sagte er.
Rösler: "Respekt vor Deinen Leistungen"
Seinem Amtsvorgänger Guido Westerwelle schenkte Philipp Rösler im Namen der Partei eine kleine Figur, die Europa symbolisieren soll. Das eigentliche Geschenk, das die Partei ihrem langjährigen Vorsitzenden schulde, fügte der neue FDP-Chef hinzu, "ist der Respekt vor Deinen Leistungen, vor Deiner Person und vor Deinem Amt als Bundesaußenminister".
Auf den ersten Blick geht Guido Westerwelle gestärkt aus dem Parteitag hervor. Wie lange die Unterstützung halten wird, dürfte jedoch nicht allein in seinen Händen liegen. Den nächsten Rückschlag müssen die Liberalen vielleicht schon am 22. Mai verkraften, wenn im kleinsten deutschen Bundesland, dem Stadtstaat Bremen, eine neue Bürgerschaft gewählt wird. Jüngsten Umfragen zufolge liegt die FDP unter der Fünf-Prozent-Marke, die für den Einzug ins Parlament mindestens erreicht werden muss. Es wäre die vierte Schlappe bei der fünften Landtagswahl 2011.
Neuer Stellvertreter der Kanzlerin
Der Druck auf die Liberalen, weitere neue Gesichter zu präsentieren, würde noch stärker werden. Das gilt auch für die FDP-Gesichter im Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Seinen Posten als stellvertretender Regierungschef musste Westerwelle bereits abtreten - an seinen Nachfolger als FDP-Chef Philipp Rösler.
Zu Röslers Stellvertreterin wurde beim Parteitag die bisherige Fraktionschefin Birgit Homburger gewählt - allerdings mit einem Denkzettel. Sie erhielt lediglich rund 66 Prozent der Stimmen. Zu weiteren Stellvertretern wurden am Freitagabend noch Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Sachsens FDP-Chef Holger Zastrow gewählt.
Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Ursula Kissel