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Dritte Liga: auch schön

Martin Roddewig16. September 2012

Einige Touristen kommen nur nach Berlin, um Fußballspiele anzuschauen. Es gibt sogar ein englischsprachiges Magazin, das sich der Berliner Fußballszene widmet. Unser Autor Martin Roddewig war im Stadion dabei.

Im Karl-Liebknecht-Stadion während des Spiels SV Babelsberg 03 gegen den VfL Osnabrück Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Karl-Liebknecht-Stadion Das Karl-Liebknecht-Stadion (kurz: KarLi) ist ein Fußballstadion im Potsdamer Stadtteil Babelsberg. Es dient als Heimspielstätte des SV Babelsberg 03 sowie des 1. FFC Turbine Potsdam. *** Bilder von Martin Roddewig, DW 1. September 2012
Karl-Liebknecht-Stadion in Potsdam-BabelsbergBild: DW

"See you at Kasse 4", hat Stephen Glennon gesagt. Gute Idee, dachte ich, an Kasse 4 treffen. Nur: Wo bitte geht's zum Stadion? Ein Heimspiel des SV Babelsberg 03 habe ich noch nie gesehen. Also trabe ich einfach den Fans hinterher, die mit mir an der S-Bahnstation Babelsberg ausgestiegen sind: Jugendliche mit kleinen Fähnchen und Schals um Hals und Arme. Rentner mit Fan-Käppis. Und ganze Familien - von den Eltern bis zum Jüngsten eingepackt in den Farben ihres Vereins: weiße Schrift auf dunklem Blau. Alle scheinen vereint in dem erhebenden Gefühl, gleich einen persönlichen Beitrag zum Erfolg ihrer Mannschaft leisten zu können.

Babelsberg ist ein Stadtteil von Potsdam, der SV Babelsberg 03 hat aber viele Fans im Süden Berlins, wo es sonst nur wenige erfolgreiche Fußballmannschaften gibt. Die Stimmung ist aufgeregt, überall wird debattiert: Hat der Drittligist Babelsberg eine Chance? Die Mannschaft ist schlecht in die Saison gestartet, und mit dem VfL Osnabrück kommt immerhin der Tabellenzweite. Ein Unentschieden, das wäre schon was.

Auch Stephen Glennon, den ich vor Kasse 4 treffe, ist die Aufregung anzumerken. Nach einer kurzen Begrüßung zieht es ihn unruhig ins Stadion - nur nichts verpassen. Glennon ist Ire und lebt schon lange in Berlin. Er ist einer der Herausgeber von No Dice, einem Fanmagazin, das engagiert und, anders als viele deutsche Magazine, häufig wohltuend respektlos über Berliner Fußball berichtet - auf Englisch.

Stephen Glennon (links) und Ian Stenhouse vom englischen Fanmagazin No DiceBild: DW

Genaue Zahlen kann kein Verein nennen, aber eingefleischte englischsprachige Fußballfans - vor allem aus Großbritannien - statten den oft wenig prominenten Zweit- und Drittligamannschaften bei einem Wochenendtrip in die deutsche Hauptstadt gerne einen Besuch ab. "Es ist die besondere Atmosphäre der Fußballspiele", sagt Stephen Glennon. "Auch ich liebe das. In Irland hatte ich dagegen nie einen Lieblingsverein."

Ein Ticket für das Spiel Babelsberg gegen Osnabrück zu bekommen ist einfach. Schnell sind wir an der lockeren Sicherheitskontrolle vorbei und erklimmen die Stufen zur Haupttribüne. Dort wartet schon Ian Stenhouse, der Fotograf von No Dice. Er stammt aus Schottland und ist jedes Wochenende in den Fußballstadien unterwegs. Das Spiel geht los.

Anpfiff

Schon toll, wie nah man selbst auf der Tribüne am Geschehen ist. Der Trainer von Osnabrück direkt vor mir schreit unentwegt seine Spieler an - spöttisch kommentiert von den Babelsberg-Fans hinter ihm. Seine Wut ist verständlich: Babelsberg spielt besser, Osnabrück kommt kaum vors gegnerische Tor. Das Karl-Liebknecht-Stadion, in dem gespielt wird, von den Fans "Karli" getauft, ist noch recht jung, es wurde in den 70er Jahren in der damaligen DDR gebaut und fasst 10.000 Zuschauer. Funktional könnte man den Baustil nennen - oder schmucklos. Einzig die einklappbaren Flutlichtmasten sind bemerkenswert.

Der SV Babelsberg 03 gegen den VfL OsnabrückBild: DW

Da gibt es schönere Stadien im Großraum Berlin. Das Poststadion mit seiner imposanten Außenfassade aus den 20er Jahren - Heimat des Regionalligisten Berliner AK 07. Das riesige Olympiastadion, in dem Berlins größter und reichster Club Hertha BSC residiert. Das Stadion An der Alten Försterei des zweitgrößten Vereins 1. FC Union Berlin, das mit ehrenamtlicher Hilfe der Fans 2008 renoviert wurde. Oder das Mommsenstadion, Heimat von Tennis Borussia Berlin, mit seinen geschwungenen Bögen und seltsam altertümlichen Glaskonstruktionen an der Außenfassade. Sie alle lohnen den Besuch, auch ohne dass gerade darin Fußball gespielt wird.

In Babelsberg wird es kurz vor Ende der ersten Halbzeit doch noch einmal spannend: Nach zwei Fouls bekommt der Osnabrücker Torwart die rote Karte gezeigt und Babelsberg einen Elfmeter. Schuss, Tor, Babelsberg führt 1:0!

Halbzeitpause

15 Minuten Pause, 15 Minuten kein Fußball. Das heißt für die meisten Fans: Eine Bratwurst essen und geduldig für Getränke anstehen. Es ist jetzt Nachmittag, da gönnen sich die ersten auch schon mal ein Bier. Kinder tollen zwischen den Sitzreihen. Die Eltern haben Zeit für ein Schwätzchen mit den Sitznachbarn. "Für einen Briten ist das hier wie eine Zeitreise", meint Fotograf Ian Stenhouse. "Stehplätze, die lockere Atmosphäre, Bierverkauf im Stadion - das gibt es auf der Insel nicht mehr. Die teilweise paranoiden Sicherheitsvorkehrungen und die horrenden Ticketpreise haben den Fußball kaputt gemacht. Eine Dauerkarte für den FC Chelsea kostet bis zu 2000 Pfund, wer kann sich das noch leisten?" Solche Probleme hat man in Babelsberg nicht: Ein Ticket für Erwachsene, beste Plätze, kostet 11 Euro, die preiswerteste Dauerkarte gibt es schon für 120 Euro.

Wurstverkauf in der HalbzeitpauseBild: DW

2. Halbzeit

Noch 45 Minuten bangen - können die Babelsberger den Vorsprung halten? Aber schnell zeigt sich: Mit einem Mann weniger haben die Osnabrücker insgeheim schon aufgegeben. So richtig spannend wird das Spiel nicht mehr. "Das ist auch nicht das Wichtigste. Die Stimmung macht den Unterschied. Und da ist jeder Verein anders", sagt Stephen Glennon. Babelsberg etwa hat ein alternatives, leicht punkiges Image. Viele Fans kommen aus dem studentischen Milieu. 

Solche Unterschiede sind auch für britische Fans wichtig. Gerade die Alte Försterei und das Mommsenstadion sind bei britischen Fans sehr beliebt, was wahrscheinlich auch mit dem guten Ruf der beiden dort spielenden Mannschaften zu tun hat. Union Berlin steht für den Osten Berlins und pflegt sorgsam sein Underdog-Image - im Gegensatz zum reichen Hertha BSC im Westen. Während bei der Hertha im viel zu großen und fast nie ausverkauften Olympiastadion selten Stimmung aufkommt, werden die Union-Heimspiele regelmäßig zu kleinen Spektakeln, denn die Union-Fans sind dafür berühmt, ihre Mannschaft im Stadion lautstark zu unterstützen, auch wenn es auf dem Platz einmal nicht so gut läuft. Das hat sich auch bei britischen Fans herumgesprochen. 

"Wir lesen öfters auf Blogs, dass zum Beispiel schottische Zuschauer hier waren und von ihren Erlebnissen berichten", sagt Matthias Marek von der Öffentlichkeitsarbeit von Union Berlin. "Wir haben ja auch häufig britische Vereine hier zu Gast wie den schottischen Traditionsclub Heart of Midlothian. Das trägt natürlich auch zur Popularität bei britischen Fans bei."

Spiel von Union Berlin in der Alten FörstereiBild: Lara Brekenfeld

Bei dem kleinen Verein Tennis Borussia sind britische Besucher regelmäßig und leicht auszumachen - man hört sie schnell heraus, wenn sie in kleinen Gruppen ihre Sprechchöre anstimmen. Beim ersten Heimspiel in der neuen Saison treffe ich Paul Andrew aus Glasgow. "Ich habe in den 90er Jahren in Berlin gearbeitet und habe mir regelmäßig Fußballspiele angeschaut, meistens hier bei Tennis Borussia", sagt Andrew. "Und immer wenn ich Berlin besuche, schaue ich, ob die ein Heimspiel haben. Früher war die Mannschaft aber besser." Das stimmt, denn Tennis Borussia hat im vergangenen Jahrzehnt einen einzigartigen Abstieg hingelegt: Der Verein spielte einmal in der 2. Liga, heute nur noch in der 6. Trotzdem: Der Verein hat nach wie vor Fans - auch aus dem Ausland. Und für die gibt es das englische Fanmagazin No Dice.

"Wir bekommen regelmäßig Anfragen aus England, Schottland und Irland: Wie komme ich zu dem und dem Stadion? Wie bekomme ich Tickets? Wir hatten sogar schon eine Anfrage aus Japan", sagt Stephen Glennon. "Deshalb haben wir No Dice gegründet. Natürlich auch für deutsche Fans, die einmal etwas über ihre Mannschaft auf Englisch lesen wollen, aber vor allem für Fans aus dem Ausland, die sich über Berliner Fußball informieren wollen." Und dafür arbeiten Glennon und der Fotograf Ian Stenhouse gewissenhaft. Glennon schreibt akribisch jeden Spielzug mit, und Stenhouse kommt bei seiner Arbeit regelrecht ins Schwitzen, denn er will immer möglichst nah dran sein an den Spielern.

Abpfiff

In Babelsberg beendet der Schiedsrichter das Spiel pünktlich. Babelsberg 03 gewinnt verdient mit 1:0. Zufrieden strömen die Zuschauer auseinander, sie hatten ihren Spaß und eben dieses erhebende Gefühl, einen persönlichen Beitrag zum Erfolg ihrer Mannschaft geleistet zu haben. Ich verabschiede mich von den No Dice-Machern mit einer Bitte: Eine exklusive Liste der fünf besten Stadien, die ein Berlinbesucher gesehen haben sollte.

Exklusiv von der No Dice Redaktion: Fünf Berliner Vereine, deren Stadien man gesehen haben sollte:

1. Union Berlin: Pflichtbesuch. Man kann die Spannung förmlich knistern hören, wenn 18.000 Fans wie aus einer Kehle ihre Mannschaft anfeuern. Das gilt auch für Babelsberg 03.

2. Tennis Borussia Berlin: Es kommen zwar nie mehr als 400 Zuschauer, aber die eingefleischten Fans schaffen es immer wieder, mit lustigen, selbstironischen Inszenierungen für gute Stimmung im Stadion zu sorgen.

3. Türkiyemspor Berlin: Berlins bekanntester von Immigranten gegründeter Verein erholt sich gerade wieder vom Konkurs. Das Stadion in Kreuzberg ist sehr zentral gelegen.

4. Einheit zu Pankow: wunderschöne Kulisse, kinder-, familien- und rentnerfreundlich. Gutes Essen und gutes Bier.

5. Dynamo Berlin: Die Linsensuppe mit Wurst aus einer alten DDR-Gulaschkanone passt perfekt zu einem mittelmäßigen Oberligaspiel im kalten Berliner Winter.