Goldene Berlinale-Kamera für Französin Agnès Varda
Jochen Kürten
30. Mai 2018
Die Französin Agnès Varda ist eine Legende des Kinos. Bei der Berlinale zeigt sie ihren neuen Film "Varda par Agnès" - und erhält den Ehrenpreis des Festivals, die "Berlinale-Kamera". Wir blicken zurück auf ihr Werk.
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Agnès Varda - Begründerin der Nouvelle Vague ist tot
Seit 1955 drehte Agnès Varda Filme. 2017 wurde sie mit einem Ehrenoscar ausgezeichnet. Vor kurzem erhielt sie die Berlinale-Kamera der Filmfestspiele. Jetzt ist die große, alte Dame des französischen Kinos gestorben.
Bild: Getty Images/AFP/T. Schwarz
Im Februar: Berlinale-Kamera für Agnès Varda
"Varda par Agnès" ist eine persönliche Erinnerung auf Zelluloid. Die Französin blickt in ihrem Film, den sie erst kürzlich mit 90 Jahren in der deutschen Hauptstadt als Weltpremiere präsentierte, zurück auf Leben und Werk. Sie tut das im Film mit Charme, künstlerischer Finesse und Humor. In Berlin bekam Agnès Varda dafür den Ehrenpreis der Berlinale. Nun ist sie gestorben, im Alter von 90 Jahren.
Bild: Cine Tamaris 2018
"Augenblicke: Gesichter einer Reise"
"Augenblicke: Gesichter einer Reise" kam 2018 in Deutschland in die Kinos - ein humorvoller wie tiefsinniger Film über ihre Heimat. Gleichzeitig war es auch ein Film über eine Freundschaft. Varda reiste mit dem Street-Art-Künstler JR in die französische Provinz und erzählte von den Menschen in Frankreich, ihren Sorgen, Nöten, aber auch den Freuden des Lebens.
Bild: JR-Cinema/Tamaris/Social Animals/A. Varda
Immer engagiert: Agnès Varda
Als bei den Filmfestspielen in Cannes im vergangenen Jahr 82 Frauen auf die Unterbeschäftigung von Frauen im Filmgeschäft aufmerksam machten, war Agnès Varda als älteste Teilnehmerin auf dem Roten Teppich dabei. Seit Mitte der 1950er Jahre war sie eine Vorreiterin des Autorenfilms - künstlerisch einflussreich, engagiert und dabei mit viel Humor ausgestattet.
Bild: picture-alliance/dpa/invision/J. C. Ryan/Invision
Viele Ehrungen für Agnès Varda
Lange Zeit stand die Regisseurin im Schatten ihrer bekannteren männlichen Regiekollegen François Truffaut, Claude Chabrol und Jean-Luc Godard. Dabei war sie es, die einst die Nouvelle Vague mitbegründete, jene inzwischen legendäre filmische Erneuerungsbewegung in Frankreich, die Einfluss auf das gesamte europäische Filmschaffen haben sollte.
Bild: Getty Images
Debüt mit "La Pointe Courte"
1955 feierte Agnès Varda in Cannes mit "La Pointe Courte" ihren ersten großen Festivalauftritt. Ihr Debüt, halb Dokumentation, halb Spielfilm, blickt auf ein junges Paar an der französischen Mittelmeerküste, das in der Krise steckt. Gleichzeitig zeichnet Varda in ihrem Film das harte Leben französischer Fischer nach, die um ihre Existenz ringen. An den Kinokassen fiel "La Pointe Courte" durch.
Bild: picture-alliance/United Archives/IFTN
"Mittwoch zwischen 5 und 7"
Nach dem aus wirtschaftlicher Sicht missglückten Debüt schlug sich Varda zunächst einige Jahre mit Auftragsarbeiten durch - bis sie 1961 künstlerisch mit "Cléo de 5 à 7" ("Mittwoch zwischen 5 und 7") noch einmal neu begann. In ihrem zweiten Spielfilm erzählt die Regisseurin von einer jungen Pop-Sängerin, die auf das Ergebnis einer Krebs-Untersuchung wartet. Ein Film über Zeit, Angst und den Tod.
Bild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library
Surreales Märchen: "Die Geschöpfe"
Zwei Stars des französischen Kinos vereinte Varda in "Les créatures" ("Die Geschöpfe") im Jahre 1966. Michel Piccoli und Catherine Deneuve spielen ein Paar, das Ferien auf einer kleinen Insel macht. Er ist Science-Fiction-Autor, sie nach einem Unfall verstummt. Der Film spielt mit surrealen Märchenelementen, wechselt zwischen Schwarz-Weiß und Farbe.
Bild: picture-alliance/United Archives/Impress
Rückkehr nach Frankreich
In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre drehte Varda mehrere Dokumentarfilme in den USA, die sich mit sozial- und gesellschaftskritischen Themen auseinandersetzen. Nach ihrer Rückkehr nach Frankreich inszenierte sie 1977 "L'une chante, l'autre pas" ("Die eine singt, die andere nicht"). Vardas Beitrag zur Feminismusdebatte erzählt die Geschichte einer Frauenfreundschaft über einen langen Zeitraum.
Bild: picture-alliance/United Archives/IFTN
Erfolg mit "Vogelfrei"
Ihren bis dahin größten Erfolg feierte Agnès Varda dann 1985, als sie für ihren Film "Sans toit ni loi" ("Vogelfrei") den Goldenen Löwen der Filmfestspiele in Venedig errang. Die Geschichte einer jungen Frau (Sandrine Bonnaire), die aus dem bürgerlichen Leben aussteigt, ist auch ein Spiegel der Karriere der Regisseurin: Der Film stellt Fragen nach konsequenter Lebensverweigerung und Anpassung.
Bild: picture-alliance/United Archives
Arbeiten mit Jane Birkin
Nach "Vogelfrei" widmete sich die Regisseurin in zwei Filmen der Sängerin und Schauspielerin Jane Birkin. Nach einem kunstvollen Porträtfilm über Birkin drehte sie 1987 "Le petit amour" ("Die Zeit mit Julien"), der die Liebe zwischen einer 40-jährigen Frau und einem 14-jährigen Jungen nachzeichnet. Neben Jane Birkin spielen Vardas Sohn Mathieu Demy und Birkins Tochter Charlotte Gainsbourg mit.
Bild: picture-alliance/United Archives/Impress
Abschied vom Ehemann
Eine ganz persönliche Trauerarbeit war "Jacquot de Nantes" im Jahre 1991. Vardas langjähriger Ehemann, der Filmregisseur Jacques Demy, war im Jahr zuvor gestorben. In dem Film widmet sich die Regisseurin nun in spielerischer Art und Weise der Jugend und der späteren künstlerischen Laufbahn des Regisseurs, der vor allem mit Musicals bekannt geworden war.
Bild: picture-alliance/United Archives
Blick auf die Kinogeschichte
1995, als weltweit 100 Jahre Kino gefeiert wurde, steuerte auch Agnès Varda einen Beitrag zu den Jubiläumsfeierlichkeiten bei. In "Les cent et une nuits de Simon Cinéma" ("Hundert und eine Nacht") bringt Varda in einem phantasievollen Bilderreigen verschiedene Größen der Leinwandgeschichte zusammen: ein künstliches und künstlerisches Kaleidoskop des Kinos.
Bild: picture-alliance/United Archives/Impress
"Die Sammler und die Sammlerin"
Zur Jahrtausendwende legte Agnès Varda dann einen weiteren Dokumentarfilm vor, der sich um die französische Landbevölkerung dreht. Ein Jurist, gekleidet in dunkler Robe, führt durch den Film. In "Les glaneurs et la glaneuese" ("Die Sammler und die Sammlerin") geht es der Filmemacherin um die sogenannten Sammler, die früher frisch abgeerntete Felder nach essbaren Ernterückständen absuchten.
Bild: picture-alliance/United Archives/Impress
Rückblick auf das eigene Leben
Vor knapp zehn Jahren blickte die Filmregisseurin in "Les plages d'Agnès" ("Die Strände von Agnès") im Kino schon einmal zurück aufs eigene Leben. Dabei griff Varda kaum auf altes Material und nur auf wenige Filmausschnitte zurück. Vielmehr erlebt der Zuschauer die Regisseurin an ihren Lieblingsplätzen - den Stränden Frankreichs. Eine Reflexion über Leben und Leidenschaften, über Kunst und Kino.
Bild: picture-alliance/dpa
Abschiedsvorstellung: "Varda by Agnès"
Agnès Varda hat viele Preise bekommen in ihrem Leben, unter anderem 1965 einen Spezialpreis der Berlinale, 1985 den Goldenen Löwen in Venedig und 2014 den Ehren-Leoparden in Locarno. 2017 kam der Ehrenoscar dazu. "Varda by Agnès", den sie im Februar in Berlin präsentierte, sollte ihr letzter Film werden. Ein schönes Abschiedsgeschenk der Regisseurin, die nun mit 90 Jahren gestorben ist.
Bild: Cine Tamaris 2018
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Mit 90 Jahren steht sie noch auf der Bühne, diesmal im Berlinale-Palast und nimmt eine Berlinale-Kamera entgegen, Auszeichnung des Festivals für diejenigen, die der Berlinale besonders verbunden sind. Viermal war Agnes Varda schon mit ihren Filmen im Wettbewerb. 1965 erhielt sie den Großen Preis der Jury für "Le Bonheur" (dt. Titel: "Glück aus dem Blickwinkel des Mannes"). Zuletzt hatte sie 2004 hier ihren den Kurzfilm "Le lion volatil" präsentiert.
Jetzt nimmt sie die "Kamera" aus den Händen von Berlinale-Chef Dieter Kosslick entgegen - und nicht nur das. Sie hat auch ihren neusten Film im Gepäck, der wird auf großer Leinwand im Berlinale-Palast gezeigt: "Varda par Agnè" ist eine Dokumentation über ihr Leben und ihr Werk.
Agnès Varda war immer schon eine Filmemacherin, die zwischen Dokumentation und Spielfilm pendelte. Sie ist eine europäische Film-Künstlerin, die sich dem Kommerzkino verweigerte, konsequent ihre eigene künstlerische Linie verfolgte. So überraschte es viele 2017 so manche, als die Oscar-Akademie beschloss, ausgerechnet der Autoren-Filmerin Agnès Varda einen Ehrenoscar fürs Lebenswerk zu verleihen: Varda und die glänzend-goldene Statuette aus Hollywood, die wie kaum ein anderer Preis für Glanz und Glamour steht - wie passte das zusammen?
Autodidaktin hinter der Kamera
Agnès Varda ist Tochter eines Griechen und einer Französin. Geboren wurde sie am 30. Mai 1928 in Brüssel. Aufgewachsen ist sie an der südfranzösischen Küste. Sie ist kein Kind des Kinos, sondern der Literatur, der Fotografie und der bildenden Kunst. Sie kam zum Kino mit nur wenig Erfahrung. Als sie 1955 ihren ersten Film "La Pointe Courte" auf die Leinwand brachte, soll sie zuvor erst zehn Filme im Kino gesehen haben. Eher interessierte sie sich für die großen Schriftsteller, Künstler und Fotografen. "Die Fotografie hört nicht auf, mir beizubringen, wie man Filme macht", hat sie später einmal gesagt.
Später wurde Agnès Varda aber dann doch zu einer Frau des Kinos. Eigentlich wie keine andere in Frankreich, dem Geburtsland des Kinos. Doch Varda stand lange im Schatten ihrer männlichen Kollegen, Jean-Luc Godard und François Truffaut, Claude Chabrol, Jacques Rivette und Eric Rohmer. Sie galten als die Revolutionäre des Kinos, als Begründer der berühmten Nouvelle Vague, die zu Beginn der 1960er Jahre für eine Wiedergeburt des französischen Films gesorgt hatte. Von Varda war in diesem Zusammenhang weniger die Rede. Was auch daran lag, dass die 1928 geborene Filmemacherin nicht im Umkreis von Truffaut und Godard verkehrte, die über das Schreiben von Kinokritiken zum Film gekommen waren.
Eine experimentierfreudige Regisseurin
Dabei hätte die Film-Geschichtsschreibung allen Grund gehabt, Agnès Varda früh zu beachten, schließlich nahm ihr Debüt 1955 vieles vorweg, was ihre männlichen Kollegen ein paar Jahre später in heute berühmten Werken wie "Außer Atem" oder "Sie küssten und sie schlugen ihn" ausarbeiteten: eine unkonventionelle Dramaturgie, filmische Experimente mit Kamera, Schnitt und Montage, ein Zusammenspiel von Spiel- und Dokumentarfilm-Elementen. "All das Neue, womit die Nouvelle Vague die 'Tradition der Qualität' herausfordern wird, (ist) bereits in Vardas Erstling vorhanden: produktionstechnisch, in der Geisteshaltung und ästhetisch", skizzierten die Kritiker Miriam Fuchs und Norbert Grob später den Werdegang der Regisseurin.
Und in späteren Jahren wurde Agnès Varda dann auch dazugezählt, wenn von den großen französischen Kino-Erneuerern die Rede war - stets mit dem Zusatz: die einzige Frau der Nouvelle Vague. Dass Varda lange nicht so wahrgenommen wurde, lag vielleicht auch daran, weil sie eben eine Frau war: Das Schreiben über das Kino war ja auch eher Männersache. Das hat sich inzwischen geändert. Und so ist auch Varda in den letzten Jahren vielfach ausgezeichnet, geehrt und gefeiert worden.
Ein Oscar für die einzige Frau der Nouvelle Vague
Mit dem Oscar hatte Varda den meisten der Nouvelle-Vague-Heroen etwas voraus: Weder Chabrol noch Alain Resnais, weder Rohmer noch Rivette wurden mit der Trophäe bedacht. Einzig Truffaut bekam 1974 einen für seine "Amerikanische Nacht". Jean-Luc Godard wurde 2010 ein Ehrenoscar angetragen. Der bärbeißige Regisseur machte sich allerdings nichts aus der Auszeichnung, reiste nicht nach Los Angeles um sich die Statuette abzuholen: "Eine so lange Reise für ein Stück Metall?" Die damalige Reaktion des Regisseurs ist legendär.
Varda zeigte sich dem amerikanischen Filmpreis aufgeschlossener. Sie sei eine kleine Königin am Rande des Kinos, sagte sie in einem Interview. Dass man sie bei der Akademie in Los Angeles wahrgenommen habe, habe sie sehr berührt.
Die Regisseurin hatte sich in den 1960er Jahren, als sie mit ihrem Mann, dem Regisseur Jacques Demy, einige Jahre in den USA lebte und Filme drehte, beharrlich geweigert, kommerzielle Angebote der großen Filmstudios anzunehmen. Varda legte stets allergrößten Wert auf ihre künstlerische Unabhängigkeit. Hollywood wollte ihr das damals nicht gewähren.