1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Die "Abiymania" ebbt ab

Merga Bula ms
2. April 2019

Seit einem Jahr ist Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed an der Macht. Im Eiltempo liberalisierte er das Land, im Ausland wird er als Reformer gefeiert. Doch die Liste seiner Herausforderungen ist immer noch lang.

Abiy Ahmed Äthiopien
Bild: Reuters/T. Negeri

Äthiopien erlebt eine Zeitenwende: Seit seinem Amtsantritt legt Premierminister Abiy Ahmed einen enormen Reformeifer an den Tag: Friedensschluss mit dem Nachbar Eritrea, Wirtschaftsreformen und Versöhnungsgespräche mit der Opposition - all das hat der neue Mann im Amt in nur einem Jahr auf den Weg gebracht. Dennoch weht ihm von seinen politischen Gegnern heftiger Gegenwind ins Gesicht.

Als Premier Abiy Ahmed am 2. April 2018 als Premierminister vereidigt wurde, steckte das Land bereits seit vier Jahren in der Krise. Bereits zweimal hatte die Regierung wegen der heftige Proteste gegen die Herrschaft des Regierungsbündnisses EPRDF den Ausnahmezustand verhängt. Die Stabilität des 100-Millionen-Einwohner-Landes drohte weiter zu kippen.

Schwierige Startbedingungen

Besonders schwierig war die Situation in der Oromia-Region, in der auch die Hauptstadt Addis Abeba liegt. Seit 2014 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und der Bevölkerung. Auslöser war der Plan der Regierung, einige Gebiete der Region in die Hauptstadt Addis Abeba einzugliedern. Oromia ist einer von neun Bundesstaaten Äthiopiens. Die Oromo gelten zwar als größte Bevölkerungsgruppe des Landes, fühlen sich jedoch politisch und gesellschaftlich von anderen Bevölkerungsgruppen an den Rand gedrängt, die auch das Regierungsbündnis EPRDF dominieren. 

Der neue Premierminister hat die ethnischen Konflikte nicht beenden können Bild: DW/J. Jeffrey

Nach den langen Protesten überstürzten sich plötzlich die Ereignisse: Das Regierungsbündnis EPRDF versprach Lösungen zu finden und zog sich 17 Tage lang zu Beratungen hinter verschlossenen Türen zurück. Am 15. Februar legte Premierminister Hailemariam Desalegn unerwartet seinen Posten nieder. Einen Monat später kamen die Parteimitglieder der EPRDF zusammen, um ihren Vorsitzenden zu wählen, der dann traditionsgemäß das Amt des Regierungschefs übernahm. Nach nur sieben Tagen wählte die Partei Abiy Ahmed zum Vorsitzenden.  Am 2. April bestätigte das Parlament den 42-Jährigen als Premierminister. Mit ihm führt erstmals ein Oromo die Amtsgeschäfte Äthiopiens.

Ahmed ging in Windeseile an die Arbeit. Für die Freilassung von hunderten politischen Gefangener, Journalisten und Aktivisten bekam er im In- und Ausland großes Lob. Er ging noch weiter: Oppositionspolitiker holte er aus dem Exil zurück und erlaubte offene Debatten über politische Themen. Kjetil Tronvoll, Professor für Friedens- und Konfliktforschung an der Björknes Universität Oslo sieht all das positiv: "Er hat den autoritären Staat abgekoppelt und eine Vielfalt von Meinungen zum Vorschein kommen lassen", sagt er im DW-Interview.

Ethnische Konflikte schwelen weiter

Dieser Erfolg zeigt sich heute auch in den Straßen von Addis Abeba: Zeitungen und Magazine verkaufen sich gut, seit sie nicht mehr nur die Meinung der Regierung drucken müssen. Die elektronischen Medien erobern den Markt und bieten eine Plattform für offenen Dialoge. Auch Oppositionsgruppen können sich frei organisieren.

Viele Menschen sind vor der ethnischen Gewalt geflohenBild: DW/J. Jeffrey

Merera Gudina, Vorsitzender der Oppositionspartei "Medrek" und Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Addis Abeba ist auch der Meinung, dass Ahmed dafür Anerkennung gebührt, die repressive Gesetzgebung geändert zu haben. Es fehle aber ein Fahrplan für die Wahlen 2020. "Es fehlt ein nationaler Konsens unter den politischen Parteien", kritisiert er im DW-Interview. Tronvoll stimmt zu, betont aber auch: "Kritiker sollten berücksichtigen, dass er (Ahmed) nur eine Person ist."

Kritik am Premierminister gibt es auch, weil ethnische Konflikte immer mehr zunehmen. Derzeit gibt es drei Millionen Binnenvertriebene im Land. "Ich sage nicht, dass der Premierminister für das Aufflammen der Konflikte verantwortlich ist. Aber es ist sein größter Fehler, nicht konkreter darauf zu reagieren", sagt Tronvoll. "Es macht das Leben vieler Menschen unerträglich." Wegen der ethnischen Gewalt hat Ahmed auch eine geplante Volkszählung verschoben. Einige befürworten diesen Schritt, weil er ein Risiko für weitere Instabilität berge. Andere sehen darin ein Problem für die im Mai 2020 geplanten Wahlen.

'Bindendes Dokument' fehlt

Ahmeds internationale Politik erhielt gleich zu Beginn seiner Amtszeit großen Zuspruch. Er beendete die Eiszeit mit dem Nachbarn Eritrea. Ende der neunziger Jahre hatten sich beide Länder einen blutigen Grenzkrieg geleistet. Erst Ahmed setzte eine Entscheidung des Internationalen Schiedsgerichtshofes von 2002 um - das Gericht hatte seinerzeit den Grenzverlauf zugunsten des Erzrivalen Eritrea bestätigt. Außerdem traf er sich mit Eritreas Staatschef Isais Afewerki. Sein diplomatischer Dialog findet auch in den Nachbarländern Sudan, Somalia und Dschibuti Unterstützung.

Im Ausland bekommt Ahmed für seinen Reformkurs viel LobBild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

Allerdings ist dieser Friedensprozess nicht ausreichend mit zusätzlichen Abkommen untermauert worden, die den Handel, die Währung, die Fragen der Staatsangehörigkeit oder die Sicherheit zwischen beiden Ländern verbindlich regulieren, glaubt Experte Tronvoll. "Es gibt kein bindendes Dokument als Grundlage für den Frieden mit Eritrea, lediglich eine Absichtserklärung, die im Juli 2018 in der Hauptstadt Asmara unterzeichnet worden ist."

Nach einem Jahr an der Macht ist das Phänomen "Abiymania" abgeebbt. "Der Premierminister sollte Prioritäten setzten und nicht versuchen, alle 'Schlachten'  auf ein Mal zu schlagen. Er muss die Herausforderungen überwinden, die ihm von seiner eigenen Partei und der Opposition entgegen gebracht werden", fügt Tronvoll an.

Beim Staatsbesuch in Deutschland im Oktober 2018 kamen allerdings noch 20.000 Exil-Äthiopier, um den Premierminister in Frankfurt zu begrüßen. In Addis Abeba spüren die Menschen die Reformen Ahmeds, aber Skepsis bleibt. "Ja, es gab Reformen unter Abiy. Aber es gab auch Vertreibungen von Menschen und ethnische Spaltungen innerhalb der politischen Parteien. Da ist Hoffnung, aber auch Bedrohung", fasst es Tigstu Awelu von der Oppositionspartei UDJ im DW-Interview zusammen.