Die acht Richter des Zweiten Senats im Porträt
25. August 2005Das Bundesverfassungsgericht hat geprüft, ob Bundespräsident Horst Köhler aufgrund der gewollt verlorenen Vertrauensfrage von Kanzler Gerhard Schröder Neuwahlen einleiten durfte. Die Bundestagsabgeordneten Werner Schulz (Bündnis 90 / Grüne) und Jelena Hoffmann (SPD) hatten dazu eine entsprechende Klage eingereicht. Zuständig dafür ist der als Staatsgerichtshof titulierte Zweite Senat des Gerichts. Die Entscheidung wurde am Donnerstag (25.8.2005) verkündet: Der Weg für Neuwahlen ist frei.
Der Zweite Senat machte in der Vergangenheit immer wieder Schlagzeilen mit Urteilen, bei welchen Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung auf der Verliererseite standen. Dazu zählen etwa die Einstellung des NPD-Verbotsverfahrens im März 2003 oder das Urteil zum Europäischen Haftbefehl vom vergangenen Juli.
Wer sind die entscheidenden Richter?
Winfried Hassemer
Hassemer ist Senatsvorsitzender und Vizepräsident des Gerichts. Er kam auf SPD-Vorschlag ans Gericht. Der 65-jährige Linksliberale, der als großer Verfechter des Föderalismus gilt, ist Strafrechtsprofessor an der Frankfurter Universität. Hassemer steht der Politik kritisch gegenüber. Von ihm stammt die Äußerung, dass der Gesetzgeber "weder bereit noch fähig" sei, "sehr klare Urteile in fundamentalen Fragen zu fällen". Hassemer hat der rot-grünen Regierung bereits einige Niederlagen beschert: Er war mitentscheidend beim Stopp des NPD-Verbotsverfahrens und beim Urteil gegen das deutsche EU-Haftbefehlsgesetz. Bekannt ist er für einen straffen, aber humorvollen Verhandlungsstil.
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Udo di Fabio
Der Bonner Professor di Fabio ist im Streit um vorgezogene Neuwahlen Berichterstatter im Senat. Der 51-Jährige kam 1999 als jüngster Richter mit einem CDU-Ticket ins Gericht. Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" als erzkonservativer und neoliberaler "Werteprediger". Seine von der Senatsmehrheit abweichenden Voten hat der als äußerst selbstgewiss geltende Richter in einer Reihe von Urteilen belegt. Im Neuwahlverfahren spielt der parteilose Jurist und Soziologe eine Schlüsselrolle.
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Hans-Joachim Jentsch
Jentsch ist CDU-Mitglied und wird von Beobachtern des Gerichts als "politischster" aller Richter gesehen. Das mit 67 Jahren älteste Mitglied im Zweiten Senat war Oberbürgermeister von Wiesbaden, Bundestagsabgeordneter der CDU und von 1990 bis 1994 Justizminister in Thüringen. Im geplatzten NPD-Verbotsverfahren vertrat er die Auffassung, das Gericht hätte wegen seiner besonderen Verantwortung das Verfahren zu Ende bringen müssen.
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Siegfried Broß
Broß kam 1998 auf CDU-Vorschlag ans Gericht. Der frühere Richter am Bundesgerichtshof hat sich einmal selbst als unionsnah, aber parteilos beschrieben. Einer seiner Kollegen ortete den gebürtigen Stuttgarter allerdings schon vor einiger Zeit als links "zwischen Gregor Gysi und Oskar Lafontaine". Der 57-Jährige gilt als europakritischer Verteidiger des Sozialstaates. Broß brachte das NPD-Verfahren mit zu Fall und verhinderte gemeinsam mit den "linken" Richtern ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen.
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Lerke Osterloh
Die Tochter eines früheren schleswig-holsteinischen CDU-Kultusministers kam vor fast sieben Jahren auf SPD-Ticket in den Senat. Dort ist die 60-jährige Heidelberger Professorin spezialisiert auf Staats- und Steuerrecht. Die gebürtige Oldenburgerin erarbeitete die Grundlage für das Urteil zur Rentenbesteuerung vom März 2002 und hat sich mit mit Veröffentlichungen zur Gleichberechtigung hervorgetan. Im meinungsfreudigen Zweiten Senat teilt sie häufig die Positionen des "linksliberalen" Flügels um Lübbe-Wolff und Gerhardt. Sie stammt aus dem Raum Oldenburg.
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Rudolf Mellinghoff
Mellinghoff kam 2001 auf CDU-Vorschlag nach Karlsruhe. Der 50-Jährige war zuvor Richter am Bundesfinanzhof. Der Steuerrechtler war jahrelang wissenschaftlicher Mitarbeiter beim früheren Verfassungsrichter Paul Kirchhof, dem wohl bekanntesten Steuerrechtsexperten des Gerichts. Der kirchlich verwurzelte Rheinländer scheut sich nicht vor Kritik an Politikern und richterlichen Eingriffen in die Politik, wenn nach seiner Ansicht ein Verfassungsbruch droht.
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Gertrude Lübbe-Wolff
Die 52-jährige Professorin für Staats- und Umweltrecht an der Uni Bielefeld kam 2002 auf Vorschlag der SPD in den Senat. Die Mutter von vier Kindern gilt als "kritischer Geist" im Senat. In Sondervoten wie im Urteil zum EU-Haftbefehl hat sie bewiesen, dass sie im Senat eine abweichende Meinung vertreten kann.
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Michael Gerhardt
Der 57-jährige Ex-Bundesverwaltungsrichter kam vor zwei Jahren auf Vorschlag der SPD nach Karlsruhe und machte schnell durch eine dezidiert liberale Haltung von sich reden. Als seine Kollegen die Ländergesetze zur Sicherungsverwahrung trotz Verfassungswidrigkeit vorerst weiter gelten ließen, plädierte er für sofortige Nichtigkeit - und hätte damit die Freilassung einiger Straftäter in Kauf genommen. Für Gerhardt gehört Risikobereitschaft zur Freiheit. Ein kritischer, unkonventioneller Kopf, der moderne Kunst schätzt. (stl)