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Die Frühe Berliner Mauer

9. August 2011

Die Mauer trennte West- und Ost-Berlin. Nachdem sie errichtet worden war, machten DDR-Soldaten Aufnahmen von ihr, um Grenzverlauf und Ereignisse zu dokumentieren. Die Bilder werden erstmals in einer Ausstellung gezeigt.

Ein Grenzpolizist in der DDR steht an der Mauern mit dem Rücken zur Kamera und raucht (Foto: Barch, DVH 60 Bild-GR 35-08-73 und BArch, DVH 60)
Bild: BArch/DVH 60 Bild-GR 35-08-73/BArch/DVH 60

Der Soldat ist jung. Er raucht. Und er fotografiert. Eine trostlose Leere, die in weiter Ferne von ein bisschen Gestrüpp und ein paar versprengten Häusern begrenzt wird. Der Soldat ist nur zufällig auf das Bild geraten, einer seiner Kameraden wird ihn versehentlich aufgenommen haben. Denn Grenzer hatten auf diesen Fotos nichts zu suchen. Einziges Motiv war die Mauer. Oder das, was Mitte der 1960er Jahre die Grenze zwischen Berlin West und Berlin Ost gebildet hat: Ruinen, zugemauerte Häuserzeilen, Holzlatten, Betonstreifen, aufgeschichtete Steinquader, Stacheldraht.

Brutal auseinandergerissene Stadt

Immer mal wieder haben damals mutige Menschen die Flucht in den Westen geschafft. Das wollte man in der DDR verhindern. Die Grenzanlagen sollten perfektioniert werden. Als vorbereitende Maßnahme erhielten Angehörige der Grenztruppen den Auftrag, ihren Zustand zu dokumentieren. Meter für Meter, quer durch Berlin, rund um die Stadt.

Die rund 1200 Einzelnegative sind dann im Laufe der Jahre in Vergessenheit geraten, bei Recherchearbeiten haben der Fotograf Arwed Messmer und die Schriftstellerin Annett Gröschner sie zufällig in einem Pappkarton im militärischen Zwischenarchiv Potsdam wiederentdeckt. Zu sehen ist der spektakuläre Fund nun in Berlin, in der Ausstellung ''Aus anderer Sicht. Die frühe Berliner Mauer". Für die Schau hat Arwed Messmer die Aufnahmen digitalisieren und zu rund 300 Panoramabildern zusammensetzen lassen. Entstanden sind so insgesamt 250 eindringliche Fotometer, auf denen die komplette Berliner Grenze abgebildet ist, so, wie sie aussah, bevor sie zu jener perfekten "Grenzmauer 75" aus gegossenen Fertigbetonteilen wurde, die sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat.

Eine unmenschliche Wunde, die mit roher Gewalt in die Stadt getrieben wurde: vom Potsdamer Platz, dessen trostlose Weite der junge rauchende Soldat aufgenommen hat, entlang an geisterhaften, zugemauerten Hausfassaden, durch Flüsse und Kanäle, überragt von zusammengenagelten Wachtürmen, und brachial mitten über den Friedhof an der Bernauer Straße. Die Toten, die dort ruhten, waren seinerzeit noch nicht umgesetzt worden, erzählt Messmer. Das sei erst nach und nach passiert. Grabsteine seien kurzerhand zu Sitzgelegenheiten umgebaut worden. Die Grenzsoldaten lebten mitten auf dem Friedhof.

Armer, freier Westen

Und dabei haben sie immer aufmerksam Richtung West-Berlin geguckt. Welches damals, Mitte der sechziger Jahre, übrigens ausgesprochen trostlos aussah und mit all seinen Kriegsnarben keineswegs wie der verheißungsvolle "Goldene Westen" anmutete. Frei war er indes, das haben auch die ostdeutschen Grenzsoldaten zu spüren bekommen. Den verbalen Spott, der ihnen von jenseits der Mauer zugeworfen wurde, mussten sie sogar sorgfältig ordnen und protokollieren. Die Schriftstellerin Annett Gröschner hat die Niederschriften gesichtet und auf Texttafeln verdichtet sowie den Panoramen in der Ausstellung als Bildunterschrift zugeordnet. Wenn jemand von West-Berlin an die Mauer gegangen ist und rübergerufen habe "Ulbricht muss weg", sei das ideologische Diversion gewesen, erzählt sie. Wenn sich, was damals sehr beliebt gewesen ist, West-Berliner Mädchen vor den Grenzsoldaten ausgezogen haben - es passierte ja nichts, die Männer konnten ja nicht rüberkommen - dann galt das als versuchte Kontaktaufnahme. Und wenn Zigaretten über die Mauer geworfen wurden, dann war das im Aktendeutsch ein Geschenk.

Besonders beliebt war die Marke "Ernte 23". Auch Zeitschriften und Zeitungen sind in den ersten Mauerjahren reichlich in den Osten geworfen worden. Die jungen Grenzsoldaten mussten sich allerdings sehr genau überlegen, inwieweit sie den Verlockungen nachgeben. Denn selbstredend wurden sie überwacht, jedes Wohlverhalten wurde gelobt und alles, was gegen die Ordnung verstieß, in einem Tadelbuch notiert. "Er hörte westliche Rundfunksendungen im Boot." wurde da etwa vermerkt. Oder: "Weil er vom Ausgang nicht wiederkam, wurden alle Gaststätten abgefahren." Und: "Er wurde auf dem S-Bahnhof Ostkreuz schlafend angetroffen und konnte nicht geweckt werden." Viele Delikte wurden bestraft, auch Versetzungen zählten dazu. Etwa für Vergehen während des Grenzdienstes. Ein Soldat hat Figuren in den Schnee getreten. Das gab eine saftige Strafe, weil das Grenzgebiet immer sauber, geharkt und menschenleer sein musste.

Fluchtgeschichten

Denn Menschen im Grenzgebiet, das bedeutete potentiell: Flüchtlinge. Auch von ihnen erzählt die Ausstellung. Die düsteren Bilddokumente zeigen die Spuren, die sie bei Flucht- oder Fluchtversuch zurückgelassen haben - Leitern, eine Armbanduhr, ein Durchbruch im Mauerwerk, ein Schuh, der sich im Stacheldraht verfangen hat. Die Grenzsoldaten haben alles fotografiert und protokolliert, auch die Toten. Eine der Geschichten, die Annett Gröschner besonders berührt hat, ist die von einem Westberliner Lagerarbeiter, der betrunken in den Spandauer Schifffahrtskanal gesprungen ist, weil er sich abkühlen wollte. Als er dann zurückschwamm, wurde er für einen Flüchtling gehalten und erschossen.

Autorin: Silke Bartlick

Redaktion: Sabine Oelze

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