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KonflikteÄgypten

Die Angst der Autokraten vor pro-palästinensischen Demos

Cathrin Schaer
11. November 2023

Im Nahen Osten erinnern die Kundgebungen für die Palästinenser an die Proteste des Arabischen Frühlings. Nun befürchten die autoritären Führer der Region, dass der Konflikt in Gaza ihre eigene Macht gefährden könnte.

Foto in einen Protestzug, ein Banner mit der Aufschrift Palestine wird hochgehalten
Pro-palästinensischer Protest Anfang November in KairoBild: MOHAMED ABD EL GHANY/REUTERS

Ende Oktober durften die Ägypter etwas tun, was ihnen jahrelang nicht erlaubt war: protestieren. In dem autoritär regierten Land gibt es kein Recht auf Versammlungsfreiheit. Doch vor etwa zwei Wochen erlaubte die ägyptische Regierung unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi pro-palästinensische Demonstrationen unter strengen Auflagen und an bestimmten Orten.

Seit den Terroranschlägen der militanten Islamistengruppe Hamas in Israel am 7. Oktober, bei denen nach jüngsten Angaben israelischer Behörden rund 1200 Menschen starben, bombardiert Israel den Gazastreifen. Nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums in Gaza wurden über 11.000 Palästinenser getötet.

Die Zerstörung im Gazastreifen und die verzweifelte Situation der Zivilbevölkerung dort ist Auslöser vieler Demonstrationen im Nahen OstenBild: Said Khatib/AFP/Getty Images

Demonstrieren am symbolischen Tahrir-Platz

Einige der Proteste in Ägypten seien eindeutig staatlich gefördert, sagen Beobachter. Demonstranten seien mit Bussen angereist, außerdem seien Unterstützungsrufe für Al-Sisi zu hören gewesen.

Es gab aber auch Einheimische, die zum Tahrir-Platz zogen, dem symbolischen Zentrum der Proteste in Ägypten im Jahr 2011, die Teil der prodemokratischen Bewegung waren, die als Arabischer Frühling bezeichnet wird. Dort schlugen die Rufe von pro-palästinensischen Unterstützungsbekundungen zu einem Slogan um, der sich an die ägyptischen Behörden richtete: "Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit!" - genauso wie im Jahr 2011.

Ägyptens Präsident Al-Sisi versucht die Proteste für die Palästinenser zu steuern (Archivbild)Bild: Egyptian President Office/ZUMAPRESS.com/picture alliance

Sympathie mit den Palästinensern und Kritik am herrschenden Regime

Die ägyptische Regierung ist nicht das einzige Regime in der Region, das befürchtet, dass die Unterstützung der Palästinenser, für die viele Menschen im Nahen Osten tiefe Sympathie haben, ihre eigene Macht im Land gefährden könnte.

"Wenn die Umstände in einem Land sehr schlecht sind, könnten die Proteste durchaus eine innenpolitische Wendung nehmen und zu einer Kritik am herrschenden Regime werden", erklärt Joost Hiltermann, Leiter des Programms für den Nahen Osten und Nordafrika bei der International Crisis Group.

Auch die Regierung Bahrains hat seit 2011 Proteste verboten, ließ aber im vergangenen Monat pro-palästinensische Demonstrationen zu. Diese waren größer als alle anderen seit Bahrains eigenen Protesten im sogenannten Arabischen Frühling.

Gratwanderung des tunesischen Präsidenten Saied

Auch in Tunesien gab es große pro-palästinensische Proteste, und Tunesiens zunehmend autoritärer Präsident Kais Saied bewegt sich in dieser Frage sichtlich auf einem schmalen Grat. Er nutzt die Sympathie der Einheimischen gegenüber den Palästinensern für seine eigenen Zwecke.

"Saieds Motivation, eine scharfe Haltung einzunehmen und den Zorn der Bevölkerung zu schüren, könnte darin bestehen, die Aufmerksamkeit von der schlimmen wirtschaftlichen Lage des Landes abzulenken", schrieben Experten der Crisis Group Anfang des Monats in einem Kommentar.

So unterstützte Saied zunächst einen Gesetzesentwurf, der die Normalisierung der Beziehungen zu Israel zu einer Straftat machte. In jüngerer Zeit hat er jedoch einen Rückzieher gemacht und erklärt, ein solches Gesetz würde die künftigen wirtschaftlichen und diplomatischen Aussichten Tunesiens beeinträchtigen.

Für die Sache der Palästinenser, aber auch wegen der wirtschaftlichen Lage im eigenen LandBild: FETHI BELAID/AFP

Weit verbreitete Unzufriedenheit

Die Situation "zeigt, wie schwach die arabischen Regime, einschließlich Ägyptens, sind, wie unfähig sie sind, Einfluss auf das Geschehen zu nehmen, die Palästinenser zu schützen oder einen Waffenstillstand herbeizuführen", sagte Al-Hamalawy. "Und das löst weit verbreitete Unzufriedenheit aus. Man sieht es überall in den sozialen Medien: Die Menschen teilen eifrig Nachrichten aus Palästina, aber auch Memes, Cartoons und Witze, die Al-Sisi und andere arabische Herrscher lächerlich machen."

Das bedeute jedoch nicht, dass sich pro-palästinensische Proteste in eine neue pro-demokratische Bewegung verwandeln würden, sagte er. Zumindest nicht sofort.

"Wir stehen nicht kurz vor einem neuen 2011, denn es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen den Kritikern von damals und heute", erklärte Al-Hamalawy. Die heutige Regierung Al-Sisi habe fast alle Stimmen der Opposition mehr oder weniger unterdrückt.

Allerdings gebe es einige kleine, lokale Hinweise auf wachsende Kritik, bemerkte Al-Hamalawy. "Je länger sich dieser Krieg [in Gaza] hinzieht, desto wahrscheinlicher ist es, dass etwas passieren könnte."

Das wollen vor allem die Länder im Nahen Osten, die ihre Beziehungen zu Israel normalisiert haben oder dies planen, vermeiden. Sie balancieren zwischen wütenden öffentlichen Erklärungen zu diesem Thema und pragmatischer Realpolitik.

"Arabische Führer mögen heute bereit sein, sich für Palästina einzusetzen, aber nur wenige sind bereit oder in der Lage, ihren Worten Taten folgen zu lassen", schrieb Marwan Bishara, ein leitender politischer Analyst beim in Katar ansässigen Medienunternehmen Al Jazeera, in einem Kommentar auf der Website Ende Oktober.

Eine Adaption aus dem Englischen von Sabine Faber.