Die Angst vor der Rezession
31. Oktober 2008Hunderte Unternehmenschefs, Spitzenpolitiker und Ökonomen aus Zentralasien, dem Nahen Osten, der EU und Amerika sind an den Bosporus gekommen, um über die Finanzkrise zu diskutieren. Denn diese hält inzwischen die ganze Welt in Atem. Fast jedes Land hat Krisenstäbe eingerichtet. Ökonomen aus aller Welt liefern sich, sind die Mikrofone ausgeschaltet, einen Wettstreit um die düsterste Prognose: Wird die Weltwirtschaft zwei, drei oder fünf Jahre Flaute erleben? Wird die Weltwirtschaftsleistung um zwei, drei oder fünf Prozent schrumpfen?
Der türkische Ressortchef Wirtschaft Mehmet Simsek befürchtet, dass nun auch seine Region von der Wirtschaftskrise betroffen werde, „ganz einfach weil da draußen gewaltige Dinge passieren. Wir haben jetzt die zweite Phase: nach der Finanzwirtschaft kommt die Realwirtschaft dran.“ Was nun folgen werde, sei eine Phase unterdurchschnittlichen Wachstums in der Türkei, sagt er.
Die Krise trifft alle
In der Türkei zeigt sich, wie die gegenwärtige Krise auch die erfasst, die selbst keine großen Fehler gemacht haben. Die Türken hatten nämlich schon ihre eigene Bankenkrise: Zu Anfang des Jahrtausends drohte in Kleinasien der Finanz-Infarkt. Der Internationale Währungsfonds griff ein. Seither haben die Türken ihre Bankenregeln verschärft und die Institute hatten zuletzt ihre Risiken im Griff – Pleitegefahr bestand im türkischen Bankensektor eigentlich nicht.
Doch die Türkei wird trotz dieser Maßnahmen nicht von der Krise verschont bleiben, fürchtet der Istanbuler Finanzanalyst Asper Özge. Eine Rezession in Europa, die seiner Meinung nach sicher kommen werde, werde sich auch auf die türkische Industrie auswirken, sagt er. Die Türkei habe immer mehr exportiert in den letzten Jahren und Schulden aufgenommen. „Ein plötzlicher Stopp all dessen ist jetzt sehr hart. Das bedeutet viele Quartale Rezession in der Türkei“, weiß er.
Angst vor der Rezession
Das Gros der türkischen Exporte geht nach Europa: Erkranken die Europäer, droht auch den Türken schweres Leiden. Dank des weltweiten Kapitals gelang in den letzten Jahren ein rasanter Aufbau- und Aufholprozess in der Türkei, in Osteuropa und in Asien. Steht all dies nun in Frage?
Der Manager eines türkischen Limonadenherstellers bemerkt bereits, dass die Leute anfangen, beim Einkaufen zu sparen. Und auch im Betrieb selbst macht sich die Krise bereits bemerkbar. Um die Käufer wieder in die Geschäfte zu locken, werde zwar mehr Geld für Werbung ausgegeben, erklärt er. Gleichzeitig werde aber auch nach Möglichkeiten gesucht, zu sparen. „Wir reduzieren die Lagerhaltung. Wir versuchen Schulden zurückzufahren und Geld einzutreiben, wo ein Schuldner als eher riskant gelten kann.“
Die Krise als Chance?
Die Achillesferse der türkischen Industrie: Viele Unternehmen sind stark verschuldet - vor allem im Ausland, wo die Kreditgeber neuerdings knausern. Eine kurze Flaute werden viele Betriebe überstehen, eine lange Rezession aber kaum. Und diese Flaute wird, so der Konsens auf dem Forum, auf jeden Fall kommen.
Dennoch sei die derzeitige Krise nicht das Ende aller Dinge, sagte der Gründer des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab in Istanbul. Zwar habe die Krise einen tiefen und überwältigenden Charakter, sagte er. Aber: „Eine Krise ist auch immer eine Chance, wie die Chinesen sagen. Wir haben jetzt die Chance, ein nachhaltigeres Umfeld für das Wirtschaftswachstum zu schaffen. Ich will Unternehmergeist spüren, dann können wir es packen.“