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Anziehung des Wortes

Mathias Bölinger20. April 2012

Der chinesische Schriftsteller Bei Ling hat seine Autobiografie vorgelegt. Es ist ein Zeitdokument über den literarischen Untergrund und die Szene der Exilschriftsteller. Ein Buch über die Freiheit des Wortes.

Bild: dapd

Die kleine Buchhandlung im Osten Berlins ist mit Stühlen voll gestellt. Fast alle sind besetzt. Bei Ling, ganz dem Bild eines Avantgarde-Dichters der achtziger Jahre entsprechend, hat die langen Haare zusammengebunden, sitzt in seinem schwarzen, weiten Baumwollkittel und liest von seinem Laptop ab: "Am äußersten Ende des Exils/ Bin ich ein konstanter Fluch/ Auf der Landkarte meiner Heimat"

"Ausgewiesen - über China" ist das zweite Buch Bei Lings, das zuerst auf Deutsch erscheint. Vor eineinhalb Jahren hat er eine Biografie des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo geschrieben, die gerade noch rechtzeitig vor der Nobelpreisverleihung von einem kleinen deutschen Verlag gedruckt wurde. Bei Lings eigene Lebensgeschichte hätte eigentlich zuerst bei einem Verlag in Taiwan erscheinen sollen, der wenig später die Veröffentlichung dann abgesagt hatte. "Der Verlag hat gute Beziehungen nach China", sagt Bei Ling, "der Vertrag war schon unterschrieben, aber als sie das Buch gelesen haben, haben sie beschlossen, es doch nicht zu drucken."

"Menschenrechte" - das Unerhörte Wort

Das Buch ist eine Autobiografie.  Es ist, wie der Titel sagt, ein Buch über China, genauer gesagt über Meinungsfreiheit, Zensur und Selbstzensur in China. Und es ist ein Buch über die Anziehungskraft des freien Wortes. Bei Ling beschreibt darin, wie er als 19-jähriger Student in Peking die "Mauer der Demokratie" an der Xidan-Kreuzung entdeckte, wo 1979 einige Monate lang oppositionelle Ansichten auf Wandplakaten diskutiert worden waren. Er beschreibt die Faszination, die vom aus seiner Sicht unerhörten Wort "Menschenrechte" ausgeht und wie er über oppositionelle Kreise zur Literatur und zum Pekinger Untergrund findet. "An den Diskussionen teilzunehmen und mich zu literarischen Werken zu äußern, war wie ein innerer Drang, der sich nun endlich den Weg brach."

Bei Ling lässt in seinem Buch die Stimmung in China der achtziger Jahre wieder auferstehen, schildert das winterliche Peking und die verrauchten Hinterhofzimmer, in denen das Teewasser auf Brikettöfen vor sich hinkochte, während die jungen Untergrunddichter diskutierten. Doch vor allem schreibt er über das Exil. Mit einem Stipendium reiste er ein Jahr vor den Protesten auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 in die USA. Die Demokratiebewegung verfolgte er aus der Ferne, haderte mit sich, ob er sich ins Flugzeug setzen sollte, um an der Demonstration teilzunehmen. Am 04. Juni 1989 wurden zahlreiche friedliche Demonstranten von der Volksbefreiungsarmee erschossen. Und Bei blieb in den USA.

Archiv: Bei Ling liest aus der Biografie von Liu Xiaobo "Der Freiheit geopfert"Bild: Juan Ju

Verlust der Ausdrucksmöglichkeit

Nun begann das Leben im Exil. Eine kleine Universität in den USA nahm ihn auf. Doch kaum des Englischen mächtig, vereinsamte er, verfiel in Depressionen. "Ich war nicht einfach nur ein Analphabet im Englischen, ich war ein Vollidiot. Wenn ich im Seminar zu einem Beitrag aufgefordert wurde, war ich nichts weiter als ein hilflos stotternder Flüchtling und kein Schriftsteller." Nach der Entdeckung der Freiheit durch das Wort, handelt das Buch vor allem von der Exilerfahrung und von einem Schriftsteller, der die Fähigkeit verliert, sich zu äußern.

Inzwischen hat Bei Ling den Großteil seines Erwachsenenlebens im Exil verbracht. Gegen Ende der neunziger Jahre versuchte er noch einmal, nach China zurückzukehren und dort ein Untergrundmagazin zu drucken. Er wurde verhaftet und in die USA abgeschoben. Seitdem kann er gar nicht mehr nach Peking zurückkehren. "In China fühle ich mich unfrei, aber wohl. Im Westen fühle ich mich frei, aber unwohl", sagt er. 

Dennoch hat sein Auftritt in Berlin nichts mit dem pessimistischen Ton gemein, mit dem er die ersten Exiljahre beschreibt. Munter schaut er durch seine kleinen Brillengläser und sagt, dass die internationale Öffentlichkeit in diesen zwanzig Jahren aufmerksamer geworden sei gegenüber oppositionellen Künstler aus China: "Ich stelle heute überall fest, dass jeder den Künstler Ai Weiwei als oppositionellen Künstler kennt. Vor zwanzig Jahren gab es niemanden in China, der auf der ganzen Welt als Stimme der Opposition bekannt gewesen wäre."

Anbiederung des Westens an die Zensurbehörden

Bei Ling selbst hat in Deutschland 2009 erstmals eine gewisse Aufmerksamkeit bekommen. Damals war China Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. Bei Ling war gemeinsam mit der Dichterin Dai Qing und einer offiziellen Delegation zu einem Symposium über chinesische Literatur geladen. Auf Druck der chinesischen Regierung lud die Buchmesse ihn dann wieder aus. Als daraufhin in Medien und Öffentlichkeit ein Sturm der Empörung losbrach, wurde er wieder eingeladen. Die chinesische Regierungsdelegation verließ dann den Raum, als er auf die Bühne trat. Diese Aktion befeuerte damit umso mehr die Debatte darüber, inwieweit der Aufstieg Chinas auch in demokratischen Ländern zur Selbstzensur von Kulturschaffenden führt.

In seinem Buch erinnert Bei Ling an diesen Vorfall, der ironischerweise gerade neue Aktualität erfahren hat. Wenige Stunden vor der Lesung ist der Dichter aus London zurückgekehrt. Auch auf der Londoner Buchmesse ist in diesem Jahr China Partnerland gewesen. Doch die Veranstalter scheinen ihre eigenen Schlüsse aus dem PR-Debakel der Frankfurter Buchmesse gezogen zu haben. Exilschriftsteller oder inoffizielle Literaten aus China waren diesmal gar nicht erst eingeladen. Bei Ling ist dann trotzdem hingefahren, um zu protestieren und an einer Gegenveranstaltung zum offiziellen Programm teilzunehmen. Dabei habe er zum ersten Mal seit Jahren einen guten Freund aus den Zeiten des Pekinger Untergrunds wiedergetroffen, erzählt er. Doch das gemeinsame Schwelgen in Jugenderinnerungen wollte sich trotzdem nicht so richtig einstellen. Der Freund war inzwischen Teil der offiziellen Delegation. "Wer damals als Schriftsteller China nicht verlassen hat", sagt er, "ist heute vom Staat gekauft."

Die Schriftstellerin Herta Müller und der Dichter Bei Ling fordern im Dezember 2011die Freilassung von Liu Xiaobo vor der chinesischen Botschaft in BerlinBild: DW/M.Bölinger
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