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Literatur

"Die Aufklärung verteidigen"

Julia Hitz
11. März 2017

Der Historiker Volker Weiß hat für sein Buch "Die Autoritäre Revolte" die Neue Rechte in Europa durchleuchtet und zeigt: Die Ideologien sind alt, die Vernetzungen gut. Im DW-Interview zeichnet er ein düsteres Bild.

Deutschland Volker Weiß
Bild: Clett-Kotta/A. Hauschild

Der promovierte Historiker und Publizist Volker Weiß ist mit seinem neuen Buch "Die autoritäre Revolte: Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes" für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Die Neue Rechte, die lange eine isolierte Fraktion der äußersten Rechten war, bekommt nun im Verbund mit rechtspopulistischen Parteien in vielen europäischen Ländern eine Bühne.  In “Die autoritäre Revolte” analysiert Volker Weiß rechtspopulistische Phänomene wie Pegida, die AfD oder die Identitäre Bewegung, deckt die dahinterstehenden Ideologien auf und zeichnet die Verbindungen von Rechtspopulisten und der Neuen Rechten auf europäischer Ebene nach. Der 1972 geborene Publizist studierte Literaturwissenschaft, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie Psychologie an der Universität Hamburg. Er schreibt u.a. für DIE ZEIT, die Frankfurter Rundschau, die taz und den Spiegel und veröffentlichte eine Reihe von Sachbüchern zu historischen Themen.

Deutsche Welle: Ihr Buch zeigt die ideologischen Verbindungen von Neuer Rechter mit dem Gedankengut der Nazis in aller Deutlichkeit. Wie gefährlich ist die Neue Rechte für Europa?

Bild: Clett-Kotta/A. Hauschild

Für Europa ist eher der gesamte europäische Rechtspopulismus eine Bedrohung. Die Neue Rechte ist darin verwoben. Gefahr für Europa droht auf jeden Fall: erstens für die bisher bestehenden europäischen Strukturen, weil die dort abgelehnt werden. Es gibt eine starke Tendenz zur Re-Nationalisierung. Außerdem gibt es bei den geschulten Ideologen der Neuen Rechten klare Vorstellungen, wie Europa neu geordnet werden muss - selbstverständlich unter deutscher Führung. Das ist – je nachdem – mit einer Ausrichtung nach Osten, sprich mit diesem eurasischen Kontinentalbündnis bei gleichzeitiger Abkoppelung der Westanbindung, verbunden – das ist kein Fahrplan für einen europäischen Frieden.

Wie ist Trumps Wahlsieg im Hinblick auf Europa zu bewerten – stärkt das die hiesigen Bewegungen oder wird er zum abschreckenden Beispiel von Rechtspopulismus?

Nach ihren eigenen Worten stärkt es die Bewegung ungemein. Von der Neuen Rechten und den Rechtspopulisten wurde das Wahlergebnis unisono begrüßt. Aus zwei Gründen: Zum einen erkennt man sich selbst wieder. Zum anderen nimmt man Trumps diffuse außenpolitische Äußerungen für bare Münze und geht davon aus, dass die USA sich langfristig aus Europa zurückziehen werden – politisch wie militärisch. Damit wäre der Weg frei für all die strategischen Planungen, die man selber hat. In der Weltsicht der Neuen Rechten war die Grundsünde der USA die Intervention 1917 in den Ersten Weltkrieg. Die Einmischung einer transatlantischen Macht in einen Konflikt, der hauptsächlich in Europa geführt wurde, und dadurch - aus deren Sicht - einen deutschen Sieg verhinderte. Seitdem gelten die USA eigentlich als ein Störfaktor, vor allem mit ihren nicht erst nach 1945 aufkommenden Bestrebungen zur Demokratisierung Deutschlands. Von Trump wird erwartet, dass er diese Entwicklung wieder rückgängig macht.

Warum bedienen sich die Chef-Ideologen der Neuen Rechten einer revolutionären Rhetorik?

Die gesamte europäische Rechte und insbesondere die deutsche Rechte leben von einer Rhetorik des Ausnahmezustandes. Sie müssen ihre Basis in einem Erregungszustand halten, weil sie sonst keine Aufmerksamkeit und keine Wählerstimmen bekommen würden. Außerdem gibt es eine historische Linie, die in die Zwanziger und frühen Dreißiger Jahre führt, da finden wir bereits das gleiche Vorgehen: beschworen wird eine Revolution im Sinne der Rettung der Nation, der Autoritäten. Das war eine aggressive politische Strömung des Ultranationalismus, die sich europaweit gezeigt hat und dann schlussendlich in den Faschismus führte. Im italienischen aber auch im französischen Faschismus war die revolutionäre Rhetorik wesentlich stärker ausgeprägt. Die Autoren dieser Strömungen gelten bei den geschulten Ideologen der Neuen Rechten als Vorbilder. Und entsprechend übernehmen sie deren Krisendiagnose, die lautet, dass der Liberalismus die Zivilisation am Ende vernichten wird. Dass der Liberalismus schuld sei an der Dekadenz der westlichen europäischen Gesellschaften.

Dagegen: Migration, Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie sexuelle Freiheit werden von der Neuen Rechten in Frage gestelltBild: picture alliance/R.K.Chin

Sind die Feinde also die gleichen geblieben?

Ja, auch heute sind die Gegner der Neuen Rechten nicht nur die liberalen Verfechter der Aufklärung, sondern auch dezidiert die Linke.

Und der Islam?

Die Frage nach dem Islam ist schwierig: Da gibt es zum Beispiel Stimmen, die Erdogan in den höchsten Tönen loben. Im Fall des in der Türkei inhaftierten Deniz Yücel, der schon früher Gegenstand einer Kampagne von Vertretern der Neuen Rechten gewesen war, zeigt sich: Man hat die gleichen Gegner. Vor diesem Hintergrund kann man das autoritäre Vorgehen in der Türkei durchaus unterstützen. Genauso wie den Umbau des Staates in ein autoritäres Präsidialsystem, in dem Religion und Nationalismus eine zentrale Rolle spielen. Das lobt man bei Erdogan genauso wie bei Putin und Orban – und erhofft es sich von Trump. Der Islam wird aber von den ideologisch versierten Leuten, die mehr bieten können als reine Ressentiments und Reflexe, erstmal wertgeschätzt - als eine dem westlichen Liberalismus und dem Aufklärungsgedanken feindlich gegenüber stehende Strömung. Man sagt aber klipp und klar, er habe in seinem Raum zu bleiben und der sei auf der anderen Seite des Mittelmeeres.

In Deutschland ist die AfD die rechtspopulistische Kraft, 2016 konnte sie bei Landtagswahlen große Erfolge verbuchen. Was hat ihr so großen Zuspruch verschafft?

Die Flügel, die sich heute in der AfD bekämpfen sind eigentlich nicht sehr unterschiedlich, sagt Volker Weiß. Die AfD sammle ein Spektrum von CDU bis NPD.Bild: picture-alliance/dpa/K. Nitefeld picture-alliance/dpa/J. Meyer

Für die AfD war die so genannte Flüchtlingskrise entscheidend. Man kann in der Wahlpropaganda und der Außenwerbung der AfD ganz klar einen Strategiewechsel verfolgen. Bei der Europawahl 2014 war man noch ganz stark auf währungspolitische Themen konzentriert. Und dann gab es diesen Schwenk zur Flüchtlingskrise. Sich darauf zu konzentrieren war letztendlich eine strategische Entscheidung. Dass es eine problematische Flüchtlingssituation im Mittelmeerraum gab, vor allem im Zuge des Syrien-Krieges, war seit Jahren bekannt. Man kann aber sagen, dass der gesamte Rechtspopulismus europaweit von der Migrationsthematik lebt. Den Durchbruch von Semantiken aus diesen Weltanschauungen konnten wir in Deutschland eigentlich schon im Zuge der Sarazzin-Debatte erleben. 

Was kann man den Erfolgen der Rechtspopulisten entgegensetzen?

Der Liberalismus muss erkennen, dass er selbst Grundlagen für die jetzige antiliberale Strömung geschaffen hat. Ganz konkret: Nach drei Jahrzehnten Neo-Liberalismus waren die Gesellschaften sturmreif geschossen für diesen Rechts-Turn - durch die fortschreitende Deregulierung und den - gerade im sozialpolitischen Bereich - fortschreitenden Abbau von Interventionsmöglichkeiten. Also den Umbau von Gesellschaften in angeblich organisch funktionierende Märkte. Das andere ist: Man muss konsequent die Aufklärung verteidigen. Man darf sich nicht aus dieser alten falschen Logik "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" im Kampf gegen europäische Rechte mit konservativen islamischen Strömungen verbinden. Das halte ich für fatal. Diese Botschaft habe ich in meinem Buch auch an die Linke gerichtet. In einigen Ländern, wie beispielsweise Großbritannien, ist diese Entwicklung schon sehr weit fortgeschritten, da gelten Kräfte als bündnisfähig, die selber komplett reaktionär sind. Da fordere ich eine klare Abkehr.

Bald beginnt eine ganze Reihe entscheidender Wahlen in Europa – nach Ihren intensiven Recherchen am rechten Rand: wie pessimistisch oder optimistisch sind Sie?

Ich möchte keine Prognosen abgeben. Ich bin eher pessimistisch, aber ich hoffe es läuft anders. Marine Le Pen ist ein Problem und eine reale Bedrohung, genauso wie Geert Wilders. Und die britische Politik hat gezeigt, dass solche Strömungen tatsächlich historische Entscheidungen bewirken können.

Das Gespräch führte Julia Hitz.

"Die Autoritäre Revolte: Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes" erscheint am 11.03.2017 im Verlag Klett-Cotta.

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