Am Kopftuch entzünden sich immer wieder hitzige Debatten über die vermeintliche Unterdrückung der Frau. Dabei hat das Kleidungsstück eine jahrtausendealte Tradition, wie eine Ausstellung im Wiener Weltmuseum zeigt.
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"Verhüllt, enthüllt! - Das Kopftuch"
Mit historischen Fotos, Haute-Couture-Designs, Videos und Zeichnungen widmet sich eine Ausstellung im Wiener Weltmuseum dem Kopftuch und seinen vielfältigen Bedeutungen in Geschichte, Religion und Geografie.
Kopfbedeckungen befreien
In weiten Teilen der westlichen Welt wird das Wort Kopftuch heute automatisch mit Religiosität assoziiert. Doch die Idee, den Kopf mit Stoff zu bedecken, geht weit über religiöse, kulturelle und geografische Grenzen hinaus. Die Ausstellung "Verhüllt, enthüllt!" im Weltmuseum Wien zeigt die Vielfalt des Kopftuchs.
Das Kopftuch im Christentum
Im Christentum wird der Schleier traditionell als Zeichen von Jungfräulichkeit und Bescheidenheit getragen. Das Gemälde der Madonna von Guadalupe, der Schutzpatronin Mexikos, zeigt die Jungfrau Maria im sternenblauen Gewand. Die Bibel fordert Frauen auf, ihre Haare beim Beten zu bedecken. Das Bild rechts zeigt die Fotografie einer Christin, das 1886 in der Türkei aufgenommen wurde.
Tücher für Frauen und Männer
Die Ausstellung des Weltmuseums zeigt Kopftuch tragenden Menschen ebenso wie verschiedene Kopftücher aus aller Welt - nicht nur von Frauen. Links ist ein tunesischer Brautschleier aus der Mitte des 20. Jahrhunderts zu sehen, das Kopftuch mit dem Muster eines doppelten Adlers auf der rechten Seite tragen männliche Mitglieder eines Ordens in Guatemala.
Bedeckte Gesichter in der Wüste
Dieses Foto des Wiener Fotografen Ludwig Gustav Alois Zöhrer zeigt einen Tuareg-Mann, der die traditionelle Gesichtsbedeckung der nordafrikanischen Hirtennomaden trägt. Der Schal, oft indigofarben, soll böse Geister fernhalten. Ihn zu tragen gilt als wichtiger Übergangsritus in die Männlichkeit. Frauen hingegen bedecken ihre Gesichter nicht.
Bild: KHM-Museumsverband
Ein persönliches Entschleiern
Kopftücher von muslimischen Frauen werden häufig kritisch beäugt. Nilbar Güres greift das Thema in ihrer sechsminütigen Videoinstallation "Soyunma/ ndressing" (2006) auf. Dort entwirrt sie Kopftuchschichten, die ihr persönlich wichtige Frauen gegeben haben, deren Namen sie ruft. Der Akt betont, wie muslimische Frauen, ob verschleiert oder nicht, "vor allem ihr individuelles Selbst repräsentieren".
Bild: Courtesy Galerie Martin Janda, Wien
Abstrakte Darstellungen
Die Ausstellung umfasst auch Objekte, die sich auf abstrakte Weise mit Kopfbedeckungen auseinandersetzen. Dieser silberne Gelatinedruck der österreichischen Fotografin Tina Lechner mit dem Titel "Xiao" erinnert an den Rücken einer Frau, der von einem herunterhängenden Stoff bedeckt ist. Lechners bildhauerische Fotografie untersucht kulturelle Strukturen von Weiblichkeit oft auf surreale Weise.
Bild: Courtesy Galerie Hubert Winter, Wien
Suzanne Jongmans recycelter Schleier
Auf den ersten Blick könnte Jongmans Foto "Geist über Materie - Julie" für das holländische Meisterwerk "Bildnis einer Dame" von Rogier van der Weyden gehalten werden. Doch der Schleier des Modells besteht aus Packmaterialien, der Ring ist ein Dosendeckel und das Mieder wird von einer Nähnadel geschlossen gehalten.
Bild: Courtesy Galerie Wilms
Vom Konservatismus zur Emanzipation
Im autoritären Österreich vor dem Zweiten Weltkrieg galt eine Frau mit Kopftuch und Dirndl-Kleid als verwurzelt, pragmatisch und patriotisch konservativ. In den 1950er Jahren hatte sich das Kopftuch jedoch zum Luxusartikel gewandelt. Oft aus Seide und bedruckt, verkörperte es weibliche Eleganz und Emanzipation. Diese Skizze errang 1964 bei einem Modewettbewerb in Wien den ersten Platz.
Bild: Modeschule der Stadt Wien im Schloss Hetzendorf
Haute Couture
Seit 2003 ist die österreichische Designerin Susanne Bisovsky für ihre "Viennese Chic-Kollektionen bekannt: wogende Spitzen und florale Kreationen, die sich eng an traditioneller österreichischer Mode orientieren. Ihre Kollektion 2018 (oben) wurde eigens für die Ausstellung des Weltmuseums entworfen. "Verhüllt, enthüllt" läuft bis zum 26. Februar 2019.
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Eigentlich ist es nur ein Stück Stoff, doch es ist mit Bedeutung beladen: das Kopftuch. In seiner über 4000 Jahre währenden Geschichte hat es einiges erlebt, Bedeutungen angenommen und wieder verloren. Die Ausstellung "Verhüllt, enthüllt! - Das Kopftuch" im Wiener Weltmuseum widmet sich mit Fotos Zeichnungen, Videos und High-Fashion-Design ab Donnerstag (18. Oktober) der Geschichte und Entwicklung des Kleidungsstücks.
Ausschlaggebend für die Umsetzung der Schau seien soziale und politische Ereignisse im Herbst vergangenen Jahres gewesen, sagte Kurator Axel Steinmann der Deutschen Welle. Dazu zählten die Werbung einer Apotheke mit einer Kopftuch tragenden Frau, die Einführung Hijab-tragender Emojis und die Entscheidung Saudi-Arabiens, einem "weiblichen" Roboter die Staatsbürgerschaft zu gewähren, der - anders als die Bewohnerinnen des Landes - seinen Kopf nicht öffentlich bedecken darf.
Es sei wichtig zu erkennen, dass das Kopftuch sowohl im Osten als auch im Westen von seiner politischen und moralischen Umgebung beeinflusst worden sei, so Steinmann: "Es ist das Ziel der Ausstellung, die Veränderungen aufzuzeigen, die das Kopftuch erlebt hat und die vergessen oder verdrängt wurden oder einfach unbekannt sind."
Die Fotografien der Ausstellung reichen von von traditionellen christlichen Schleiern über Haute-Couture-Kopfbedeckungen bis hin zu abstrahierten Kopfbedeckungen. "Verhüllt, enthüllt" kontrastiert die Nutzung des Kopftuchs: Während eine Zeichnung eine junge Frau mit großen Augen in einem preisgekrönten, stilvollen Sommeroutfit mit verknotetem Kopftuch abbildet, zeigt eine andere Skizze aus Teheran eine voll verschleierte Frau mit verstecktem Gesicht, die dem Betrachter einen schlanken Knöchel in hohen Absätzen offenbart.
Heute steht das Kopftuch in der westlichen Welt oft im Zentrum hitziger Debatten, die sich auf die Kopfbedeckungen muslimischer Frauen konzentrieren und die Frage aufwerfen, ob es ein Zeichen der Unterdrückung ist. Dabei war die Praxis traditionell ein integraler Bestandteil aller abrahamitischen Religionen - Judentum, Christentum und Islam -, ihre Wurzeln reichen Tausende von Jahren zurück.
Trotzdem stellt die Ausstellung das Kopftuch nicht als Kleidungsstück dar, das immer ein Objekt der freien Wahl war, sondern greift die Kontroversen über den Zwang der Verschleierung auf. Das gilt übrigens auch für Männer: "Für mich war es wichtig zu zeigen, dass Kopfbedeckungen für Männer auch von historischen und kulturreligiösen Aspekten in Verbindung mit Kleidungsregeln bestimmt wurden", sagt Steinmann. Ähnlich wie bei Frauen fordern religiöse Vorschriften mitunter auch Männer dazu auf, ihren Kopf vor Gott zu bedecken, wie im Talmud, einem zentralen Text im Judentum.
Ein Zeichen christlicher Frömmigkeit, gehobenen Stils oder als symbolischer Übergangsritus zur Männlichkeit - "Verhüllt, enthüllt!" belegt, dass Kopfbedeckungen keine alleinige Domäne einer Religion, Kultur oder Weltsicht sind. Die Ausstellung des Weltmuseums umfasst Exponate aus Nordafrika, Südwest- und Zentralasien, Guatemala und Indonesien. Kurator Steinmann weist jedoch darauf hin, dass selbst diese geografische Bandbreite das Thema Kopftuch nicht umfassend erfassen kann. "Der Kopf, genau wie der Körper", erklärt er, "wurde in allen Kulturen zu allen Zeiten dekoriert oder bedeckt."
Religiöse Kopfbedeckungen
Die meisten Religionen bringen mit ihren Kopfbedeckungen zum Ausdruck, woran die Menschen glauben. Sie spiegeln Demut, Erhabenheit, Feierliches. So verschieden wie ihre Motive sind auch ihre Materialien.
Bild: Imago/Seeliger
Kippa
Im 17. und 18. Jahrhundert setzte sich die Kippa (hebr.: Kopfbedeckung) unter den europäischen Juden durch und wurde zum religiösen Symbol. Dabei ist nicht die runde Mütze selbst entscheidend, sondern, dass fromme Juden ihr Haupt bedecken. Das jüdische Gesetz (Halacha) verpflichtet Jungen und Männer dazu, etwa beim Beten, in der Synagoge oder beim Studium der Religion den Kopf zu bedecken.
Bild: picture alliance/dpa/W. Rothermel
Mitra
Die Mitra (deutsch: Stirnbinde) ist die liturgische Kopfbedeckung der Bischöfe (Bischofsmütze) – vor allem in der römisch-katholischen Kirche. Sie kam im 11. Jahrhundert auf. An Stirn- und Nackenseite befindet sich jeweils ein auf dem Kopf stehender Schild. Das Innenfutter der Mitra ist einer Mütze ähnlich. Zwei nach hinten hängende Bänder symbolisieren das Alte und das Neue Testament.
Bild: picture alliance/dpa/P. Seeger
Dastar
Dastar heißt der Turban der Sikhs, einer monotheistischen Religion, die im 15. Jahrhundert im Punjab (Nordindien) gegründet wurde. Der Dastar wird vorwiegend von Männern in verschiedenen Farben getragen. Weiß gilt als Farbe der Weisheit - Orange ist eine typische Farbe der Sikhs. Der Dastar wird jeden Morgen neu gebunden und verdeckt die aus religiösen Gründen ungeschnittenen Haare der Sikhs.
Bild: picture-alliance/dpa/D. Dyck
Tschador
Tschador bedeutet so viel wie "Zelt". Es handelt sich um ein großes, meist dunkles Tuch in Form eines umsäumten Halbkreises, das als Umhang um Kopf und Körper gewunden wird. Nur das Gesicht oder Teile davon werden freigelassen. Getragen wird der Tschador allem von religiös konservativen muslimischen Frauen im Iran – und zwar über der übrigen Kleidung.
Bild: picture-alliance/dpa/M.Kappeler
Nonnenschleier
Ordensfrauen tragen fast immer einen Schleier, der Teil des kompletten Gewandes ist. Bei Novizinnen ist der Schleier meist weiß, nach dem Ordensgelübde in der Regel schwarz oder er hat die Farbe des Habits. Diese Schleier haben je nach Orden unterschiedliche Formen. Sie reichen von einer vollständigen Bedeckung von Haaren und Hals bis zu einer auf die Haare aufgesteckten leichten Kopfbedeckung.
Bild: picture-alliance/dpa/U. Baumgarten
Kopftuch (islamisch)
Ist das Kopftuch eine religiöse Kopfbedeckung oder ein Instrument zur Unterdrückung der Frau? Über diese Frage wird besonders in westlichen Gesellschaften immer wieder heftig diskutiert. Fest steht, dass das Kopftuch die wohl bekannteste Variante für die Verhüllung und Abschirmung der Frau ist. Türkinnen (s. Bild) binden das Kopftuch etwas anders als die Frauen aus dem arabischen Raum.
Bild: picture-alliance/dpa/G. Schiffmann
Scheitel
Die ultraorthodoxe jüdische Glaubensgemeinschaft der Satmarer Chassiden hat eine paradoxe Vorschrift für Frauen. Alle verheirateten Frauen der Sekte müssen sich ihr echtes Haar abrasieren und eine Perücke (jiddisch: Scheitel) tragen. Die US-amerikanisch-deutsche Autorin Deborah Feldman schreibt darüber in ihrem bewegenden autobiografischen Debütroman "Unorthodox".
Bild: picture-alliance/Photoshot/Y. Dongxun
Birett
Stoff und eingelegte Pappstreifen, in der Mitte eine Quaste und fertig ist das Birett. Die Kopfbedeckung für römisch-katholische Geistliche ist vierkantig und etwa seit dem 13. Jahrhundert bekannt. In Deutschland, England, Frankreich und in den Niederlanden hat es vier, in anderen Ländern drei Hörner oder bogenförmige Aufsätze. Don Camillo lässt grüßen.
Bild: Picture-alliance/akg-images
Tagelmust
Ein Tagelmust ist ein mit einem Schleier kombinierter Turban, der von Tuareg-Männern in verschiedenen Staaten Westafrikas getragen wird. Er kann bis zu 15 Meter lang sein. Den Tagelmust erhält, wer im Alter von 15 bis 17 Jahren in die Erwachsenenwelt eintritt. Er darf von nun an beten, rituelle Waschungen vornehmen und zur Koranschule gehen. In der Sahara ist er zugleich Kopf- und Atemschutz.
Samt mit einem breiten Pelzrand, in der Regel Zobelschwänze - das sind die Materialien, aus denen Schtreimel gefertigt werden. Meist wird diese jüdische Kopfbedeckung von verheirateten Männern während religiöser Feste und Feiern getragen. Der Schtreimel entstand in chassidischen Gemeinschaften Südosteuropas (Rumänien, Ungarn u.a.). Diese Tradition ist durch die Shoah in Europa fast ausgestorben.
Bild: picture-alliance/NurPhoto
Hut und Haube
Die Amischen haben ihre Wurzeln in der reformatorischen Täuferbewegung, vor allem der Schweiz und Süddeutschlands. Seit dem frühen 18. Jahrhundert wanderten viele nach Nordamerika aus, wo sie seitdem Glaubensfreiheit genießen. Durch ihren Glauben bringen sie vor allem die Demut zum Ausdruck. Das spiegelt sich auch in ihrer einfachen Kleidung. Männer tragen Filz- oder Strohhüte, die Frauen Hauben.