1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Die Balkanroute ist ein Paradies für Schleuser

Marianna Karakoulaki | Dimitris Tosidis mb
23. November 2017

Trotz des EU-Türkei-Deals versuchen Flüchtlinge weiterhin, über die Balkanroute nach Westeuropa zu kommen. Das freut vor allem Menschenschmuggler. Marianna Karakoulaki und Dimitris Tosidis haben Flüchtlinge begleitet.

Flüchtlinge auf der noch lebendige Balkanroute
Bild: DW/D. Tosidis

Als Mohammed* im September auf Chios ankam, wusste er, dass es nicht leicht sein würde, Westeuropa zu erreichen. Doch der 27-Jährige hatte gehofft, auf dem griechischen Festland seinem Traum näher zu kommen. Das hatten ihm Menschenschmuggler versprochen. Doch die Realität sah ganz anders aus. 

Die DW-Reporter trafen ihn zunächst im Sommer auf der Insel Chios, sie sind mit ihm in Kontakt geblieben. Im September erreichte er endlich Athen. Mohammed ist ein Bidun aus Kuwait, er gilt als staatenlos. Wegen der Diskriminierung dieser staatenlosen Minderheit in den Golfstaaten hat er seine Heimat verlassen. Auf der Insel Chios wäre es für ihn voraussichtlich nicht schwer gewesen, einen Schutzstatus zu erhalten. 

Doch hier Asyl zu beantragen, bedeutet auch, für Monate, vielleicht sogar Jahre, auf der Insel bleiben zu müssen. Der Flüchtlingsdeal zwischen der Türkei und der EU von 2015 sieht vor, dass Flüchtlinge auf der jeweiligen Insel bleiben, solange ihre Asylanträge geprüft werden. Nur wer Asyl bekommt, darf auf das griechische Festland weiterreisen. 

Deswegen beschloss Mohammed, nicht auf Chios Asyl zu beantragen. Als der Zeitpunkt günstig schien, zahlte er einem Syrer, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht und bereits Asyl bekommen hatte, 800 Euro. Mit dessen Identifikationsunterlagen konnte er sich ein Ticket nach Athen kaufen. 

Im LKW über die Grenze

In Athen ging das Warten weiter. In einer kleinen Wohnung in der Nähe des Hafens von Piräus wartet er auf die Anweisungen. Es dauert mehr als sechs Wochen, bis er eine Nachricht von seinem Schmuggler bekommt, einem in der Türkei lebenden Iraker: Es geht weiter. Eigentlich dachte er, er würde nach Italien reisen über den Hafen von Patras im Westen Griechenlands. Doch dann weist sein Schmuggler ihn an, den Zug nach Thessaloniki zu nehmen. Seine letzte Nacht in Griechenland verbringt er in einem billigen Hotel, dann geht es plötzlich ganz schnell.

Es geht weiter, nach Thessaloniki: Mohammed bekommt den Anruf seines SchmugglersBild: DW/D. Tosidis

"Er hat mich gerade angerufen. Ich muss los. Er hat mir gesagt, dass wir heute Nachmittag starten. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber ich muss in den Park gehen", erzählt er der DW. Mohammed sagt, sein Schmuggler habe ein großes Netzwerk entlang der Balkanroute: Einheimische, Behördenmitarbeiter, Geflüchtete und Migranten arbeiten für ihn. Zwei Stunden läuft er zusammen mit anderen Flüchtlingen zu Fuß in eine einsame Gegend, dort verstecken sie sich in einem Lastwagen. Darin überqueren sie die Grenze zu Mazedonien.

"Ich hatte solche Angst", erinnert er sich später. "Der LKW war voll: Männer, Frauen, Kinder." In Mazedonien versteckte er sich zwei Tage lang in der Nähe der Grenze zu Serbien und wartete wieder auf Anweisungen: "In diesem Haus waren so viele Leute. Von überall. Alle waren auf dem gleichen Weg dahin gekommen. Die ganze Zeit, die wir da waren, hatten wir kein Essen." Eine mazedonische Frau sei auch beteiligt gewesen, sagt er: "Wahrscheinlich war sie die Besitzerin des Hauses." Danach ging es weiter nach Belgrad.

Tausende auf der Balkanroute

Nach Angaben der EU-Grenzschutzbehörde Frontex versuchen viele Menschen weiterhin, mithilfe von Schmugglern durch den Balkan nach Westeuropa zu kommen - trotz der Schließung der Balkanroute. Von Januar bis Oktober 2017 sind 9.964 Menschen dort aufgegriffen worden, die meisten von ihnen aus Afghanistan, Pakistan und dem Irak. In Serbien sind nach UN-Angaben allein in den ersten beiden Wochen im November 307 Flüchtlinge und Migranten angekommen - entweder entlang der Route Türkei - Griechenland - Mazedonien oder über Bulgarien. 

Der 22-jährige Afghane Jadali und der 19-jährige Ahmed* aus Pakistan stecken seit fast zwei Jahren in der Kleinstadt Sid an der serbisch-kroatischen Grenze fest. Sie haben vieles versucht, um in die EU zu kommen, ohne Erfolg.

"Ich war drei Monate in der Türkei, drei Monate in Bulgarien, mehrfach wurde ich abgeschoben aus Slowenien und Kroatien. Ich war in drei verschiedenen Flüchtlingscamps hier in Serbien. Immer wieder versuche ich, alleine über die Grenze zu kommen, weil ich kein Geld für Schmuggler habe," erzählt Ahmed.

Jadali erging es ähnlich wie Ahmed. Er schaffte es auch nach Ungarn, wurde aber festgenommen und nach sechs Monaten zurück nach Serbien abgeschoben. 

In Sid versuchen Flüchtlinge und Migranten Tag und Nacht, über die Grenze zu kommen, versteckt in Lastwagen oder Zügen. Doch die Polizei kontrolliert die Lastwagen regelmäßig, private Sicherheitsfirmen patrouillieren auf den Bahnhöfen. Nach Angaben der Flüchtlinge verlangen Schmuggler zwischen 300 und 1.000 Euro, um jemanden über die Grenze zu bringen. Wer es sich leisten kann, zahlt Tausende von Euro an einen Taxifahrer, um über die Grenze zu kommen. Im Preis inbegriffen: Bestechungsgelder für die Behörden.

Nicht registrierte Flüchtlinge leben in Belgrad meist in Ruinen und verfallenen GebäudenBild: DW/D. Tosidis

Warten auf den Anruf

Auch Mohammed steckt zurzeit in Serbien fest. In Belgrad wartet er auf einen Anruf seines Schmugglers. 4.000 Euro wird er am Ende an den Mann, den er noch nie persönlich getroffen hat, zahlen müssen. Er ist dazu verdammt, ihm zu vertrauen - so wie der Schmuggler darauf vertrauen muss, dass er am Ende sein Geld bekommt.

Das Mesopotamia in Belgrad ist zu einem Anlaufpunkt für Flüchtlinge geworden Bild: DW/D. Tosidis

Seine Tage verbringt er im Cafe Mesopotamia, neben vielen anderen Geflüchteten. Es gibt Wasserpfeifen, viele sprechen Arabisch, ein Hauch Mittlerer Osten in Belgrad. Alle Gäste scheinen auf den einen Anruf zu warten, darauf, dass es heißt: Es geht weiter, Richtung EU. Mohammed gibt sich optimistisch: "Jeden Tag sage ich mir: Niemand wird mich aufhalten und ich werde Spanien erreichen, was mein Ziel ist. Alles, was ich will, ist ein Pass, um dieselben Rechte zu haben wie alle anderen." 

*Name geändert

Dieser Artikel wurde unterstützt durch Mittel des Migration Media Awards, der von der Europäischen Union (EU) finanziert wird. Er gibt die Sicht der Autoren wieder, nicht die der EU. Weder Institutionen der EU noch Personen, die diese repräsentieren, sind verantwortlich für die Verwendung der Informationen in diesem Artikel. 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen