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Die Baustellen der neuen WTO-Chefin

28. Februar 2021

Die Welthandelsorganisation braucht dringend frischen Schwung. Die Hoffnungen ruhen auf der Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala. Heute tritt die neue WTO-Chefin ihr Amt an.

Ngozi Okonjo-Iweala | nigerianische Politikerin
Bild: Martial Trezzini/KEYSTONE/picture alliance

Es kommt einiges auf Ngozi Okonjo-Iweala zu, die frisch gebackene Chefin der WTO. Denn nach dem Abgang von Donald Trump liegen Teile der UN-Organisation mit Sitz in Genf in Trümmern. Und nichts deutet darauf hin, dass die unter dem früheren US-Präsidenten geplatzten Projekte einer transatlantischen oder einer transpazifischen Freihandelszone unter Beteiligung der USA in absehbarer Zeit wiederbelebt werden - oder dass der Trend der vergangenen Jahre zu immer mehr bilateralen Handelsabkommen auf die Schnelle umgekehrt werden kann.

Stattdessen schwelt der US-Handelsstreit mit China weiter und die Welthandelsorganisation ist als Schlichtungsinstanz bei Handelsstreitigkeiten ausgefallen. Denn weil die USA - und das nicht erst seit Trumps Einzug ins Weiße Haus - die Ernennung neuer WTO-Richter blockieren, ist der für die endgültige Entscheidung bei Handelsstreitigkeiten zuständige Appellate Body seit Herbst 2019 nicht mehr handlungsfähig.

Und es sind nicht nur die USA, die mit dem Streitschlichtungsprozedere der WTO unzufrieden sind. Eine neue Regelung zu finden, die von allen WTO-Mitgliedern mitgetragen wird, ist eine der zentralen Baustellen für Okonjo-Iweala, um der Genfer Organisation neues Leben einzuhauchen. Okonjo-Iweala hat wiederholt unterstrichen, dass sie die blockierte WTO-Schlichtungsinstanz schnellstens wiederbeleben will.

WTO-Initiativen im Kampf gegen COVID-19 

Seitenwechsel mit Fragezeichen: Ex-WTO-Chef Roberto Azevedo heuerte beim US-Getränkekonzern Pepsico anBild: picture-alliance/Keystone/S. di Nolfi

"Es kann bei der WTO kein 'Weiter so wie bisher' geben", hatte Okonjo-Iweala bei ihrer ersten digitalen Pressekonferenz als offiziell gewählte WTO-Generaldirektorin gesagt. Dr. Ngozi, wie sie von ihren Mitarbeitern genannt wird, kündigte Mitte Februar an, dass sie die WTO-Regeln an die neuen Rahmenbedingungen der digitalen Ökonomie mit ihren grenzüberschreitenden Dienstleistungen anpassen will. Zudem unterstrich die 66-Jährige, dass sie fest entschlossen ist, allen Menschen weltweit den Zugang zu einem Impfstoff gegen COVID-19 zu ermöglichen. Existierenden Handelsschranken für medizinische Grundstoffe oder Impf- und Wirkstoffe sagte sie den Kampf an.

Einstimmigkeit lähmt Entscheidungsprozesse

Ein weiterer Bremsklotz der vergangenen Jahre war das WTO-Prinzip der Einstimmigkeit bei allen Entscheidungen der Mitgliedsländer. Seit Jahren konnten sich die 164 Mitgliedsstaaten nicht mehr auf neue Regelungen für Marktöffnungen und den Abbau von Handelshemmnissen einigen. Lisandra Flach, Chefin des Münchner ifo-Zentrums für Außenwirtschaft, spricht von einem regelrechten "Stillstand bei multilateralen Handelsliberalisierungsrunden".

Der Chef des Instituts für Weltwirtschaft IfW Kiel, Gabriel Felbermayr, glaubt, dass die WTO sich darauf einstellen muss, "dass Schlüsselakteure wie China oder die USA auch in absehbarer Zukunft um die Vormachtstellung ihres wirtschaftspolitischen Systems kämpfen werden" - und damit immer wieder einer WTO in der aktuellen Form Sand ins Getriebe streuen werden. Felbermayr plädiert für eine Welthandelsorganisation der zwei Geschwindigkeiten, die der Tatsache Rechnung trägt, dass es kaum möglich ist, den unterschiedlichen Interessen von 164 sehr verschiedenen Mitgliedsstaaten gerecht zu werden. Schließlich reiche die Palette der WTO-Mitglieder "von einigen der schrecklichsten Autokratien der Welt bis hin zu Musterdemokratien, alle ausgestattet mit einem gleichberechtigten Vetorecht".

Ungleicher Wettbewerb: Afrikas Hühnerfarmer, wie hier in Ghana, konkurrieren mit EU-Importen Bild: DW/J. Opoku Gakpo

Um diesen Systemunterschieden ihrer Mitglieder gerecht zu werden, solle die Welthandelsorganisation "eine Art Klubsystem einführen - mit unterschiedlich starker Integration in das System handelspolitischer Regeln und Freiheiten, entsprechend der unterschiedlichen Wirtschaftssysteme", schlägt Felbermayer vor.

Handel statt Abschottung

Das Bekenntnis der nigerianischen Top-Ökonomin zu mehr internationalem Handel, um möglichst schnell den wirtschaftlichen Abwärtstrend der Corona-Krise zu brechen, kommt gut an, vor allem im Exportland Deutschland. Okonjo-Iweala als neue WTO-Chefin sei wie ein"Befreiungsschlag für dringend notwendige Reformen", meint Wolfgang Niedermark vom Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). Die neue WTO-Chefin wertet er als "ein Hoffnungszeichen für den internationalen regelbasierten Handel".

Eigentlich könne es nur besser werden, wenn man bedenke, dass sich nach BDI-Angaben die Zahl an handelsbeschränkenden Maßnahmen im vergangenen Jahrzehnt verfünffacht hat.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erinnerte daran, das Okonjo-Iweala durch ihre Arbeit bei der Weltbank viel Erfahrung für den neuen Job mitbringt. Sie habe "bereits erfolgreich bewiesen, dass sie internationale Organisationen mit einer Vielzahl von Mitgliedern mit unterschiedlichen Interessen führen kann. Wir werden die neue Generaldirektorin mit aller Kraft dabei unterstützen, die WTO wieder in erfolgreichere Gewässer lenken können", unterstrich Altmaier.

Mehr Gegenwind für die EU?

Wenn es um den Abbau von protektionistischen Handelsbarrieren geht, ist künftig auch die EU gefragt, die ihren Agrarsektor abschottet und damit nicht zuletzt afrikanischen Bauern das Leben schwer macht. Und die großen Fischereiflotten aus EU-Mitgliedsstaaten werden dafür mitverantwortlich gemacht, dass die Fischgründe vor den Küsten vieler Entwicklungsländern leer gefischt werden. Dr. Ngozi hat bereits angekündigt, dass sie eine Neu-Regelung für Subventionen in der Fischerei anstrebt. Auch die von der EU geplante CO2-Grenzsteuer, die von den Brüsseler EU-Strategen auf den Namen Carbon Border Adjustment Mechanism getauft wurde, birgt für die Zukunft reichlich Konfliktpotential, weil ihre Kritiker darin eine Verletzung der WTO-Regeln sehen.

Nicht zuletzt muss Dr. Ngozi die Glaubwürdigkeit der WTO wieder herstellen. Dass ihr Vorgänger, der Brasilianer Roberto Azevedo vorzeitig seinen WTO-Chefposten im vergangenen Sommer gekündigt hat, um als Top-Manager zum US-Getränkekonzern Pepsico zu gehen, hat jedenfalls nicht dazu beigetragen, das Renommee der Welthandelsorganisation zu verbessern.

Der Artikel wurde am 28.2.2021 aktualisiert.  

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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