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Reise

Berlin: Die Mauer erfahren

Frederike Müller21. Oktober 2013

Am 5. Februar 2018 ist die Berliner Mauer genauso lange weg, wie sie stand. Mit dem Fahrrad entlang des Mauerwegs lässt sich ihr Verlauf und ihre Geschichte erkunden. Am besten mit einem Guide, der auch Zeitzeuge ist.

Symbolbild - Berlin
Bild: Fotolia/creedline

An diesem Samstag haben sich vier Teilnehmer vor dem Fahrradverleih am Bahnhof Zoo versammelt. Pünktlich um 10.30 Uhr begrüßt Bert die Gruppe, die er heute zur Mauergeschichte führen wird. "Ich bin Historiker, 1959 in der DDR geboren und habe als 30-Jähriger die Nacht des Mauerfalls bewusst in Ost-Berlin erlebt", lächelt der 1,90 Meter Hüne mit dem langen grauen Zopf.

Bert will mit den Radtouristen ein Teilstück des Mauerwegs vom Brandenburger Tor bis zur Bernauer Straße im Bezirk Prenzlauer Berg abfahren. Wo genau die Mauer verlief, ist eine der häufigsten Fragen von Touristen in Berlin.

Im heutigen Regierungsviertel war die Spree die Grenze zwischen Ost- und West-BerlinBild: Lars Wendt

Von dem Bauwerk der Teilung sind nur drei größere Abschnitte übrig geblieben. Daher beschloss das Berliner Abgeordnetenhaus 2001 die Errichtung des Mauerwegs. Er macht auf insgesamt 160 Kilometern den kompletten Verlauf der Grenzanlagen in und um Berlin erlebbar.

Symbolträchtige Orte

Den ersten Stopp machen die Radfahrer schon kurz vor dem Brandenburger Tor, am Sowjetischen Ehrenmal. Stalin überbaute damit 1945 einen Knotenpunkt der Nord-Süd-Achse, einer von Hitler geplanten Straße für Aufmärsche. Von der Nord-Süd-Achse sind nur die heute unzugänglichen Reste von drei Auto- und Bahntunneln erhalten. Genau dort, wo die Radfahrer gerade stehen, allerdings 16 Meter tiefer. "Ich finde es spannend, dass die Geschichte der Teilung einen auch zu solch vergessenen Geschichten und Orten führt," bemerkt einer der Teilnehmer. "Man möchte am liebsten hinabsteigen und nachsehen!"

Das Sowjetische Ehrenmal in Tiergarten erinnert an die gefallenen russischen Soldaten des Zweiten WeltkriegesBild: imago/McPhoto

Am Brandenburger Tor, dem Symbol von Teilung und Wiedervereinigung, erzählt Tour-Guide Bert vom Tag des Mauerbaus am 13. August 1961. Wie die DDR-Führung die Aktion zunächst als Kampfgruppenübung tarnte, tausende Menschen aus der ostdeutschen Provinz mit LKW's nach Berlin brachte und wie sie als Menschenkette zur Abriegelung der Grenze postiert wurden, auch am Brandenburger Tor. Und wie danach das Überwinden der Mauer zum beherrschenden Thema wurde.

Zwei Volkspolizisten im August 1961 vor einer Straßensperre aus Stacheldraht, im Hintergrund verängstigte Ost-BerlinerBild: picture-alliance/dpa

Bert erinnert sich an Geburtstage seiner Kindheit, auf denen die Jungen und Mädchen sich verrückte Fluchtmöglichkeiten ausgemalt haben. Seine Schwester heiratete in den 80er Jahren einen West-Berliner Studenten. Danach durfte sie aus der DDR ausreisen - allerdings ohne die Möglichkeit, wieder einzureisen. Die Familie blieb bis zum Fall der Mauer 1989 getrennt.

Das Brandenburger Tor von West-Berliner Seite im Herbst 1986Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Mauertote und Fluchthelfer

Nahe dem Hauptbahnhof erreichen die Radfahrer schließlich eine der schmalsten Stellen der ehemaligen Grenzanlagen, den Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal. Hier wurde am 24. August 1961, also nur elf Tage nach dem Mauerbau, der 24-jährige Günter Litfin erschossen beim Versuch, über den Kanal zu flüchten. Er war der erste Mauertote. "Von der Brücke am Humboldthafen haben sie auf ihn geschossen," sagt Bert. Heute erinnert ganz in der Nähe eine kleine Gedenkstätte an Günter Litfin. 

Gedenkstätte Günter Litfin im ehemaligen Beobachtungsturm der DDR-Grenztruppen am Kieler EckBild: DW/F. Wiechel-Kramüller

Unter den über 150 Mauertoten waren sehr viele junge Menschen. Anschaulich vermittelt Bert das Gefühl, mittendrin zu stehen in der Geschichte. Welchen Raum die Mauer im Leben der Menschen einnahm, mal als schmaler Kanal, mal als hundert Meter breiter Todesstreifen.

Über 6,5 Kilometer folgt die Radtour dem einstigen Mauerverlauf. Es geht über "Zollwege" im Westen und über "Kolonnenwege" im Osten, die damals für Kontrollfahrten der Grenzer auf beiden Seiten genutzt wurden. Erstaunlich, wie grün und abgelegen vom Autoverkehr die Wege sind. Wo man abbiegen soll, schwingt Berts langer Arm elegant auf und ab, um die Richtung für alle anzuzeigen. Auf dem ehemaligen Kontrollweg an der Bernauer Straße wird es holprig. Wurzelwerk hat die DDR-Betonplatten zu kleinen Rampen angehoben.

Wo einst die Mauer stand, ist heute Grün - wie hier am Nordbahnhof Bild: Lars Wendt

Entlang der Bernauer Straße zeigen rostige Metallstäbe den einstigen Grenzverlauf an. Sie sind Teil der Gedenkstätte Berliner Mauer. Beeindruckend ist die Rekonstruktion eines Teilstücks des Todesstreifens. Durch Mauerschlitze fällt der Blick auf eine geharkte Fläche mit Grenzturm. Was überirdisch kaum zu überwinden war, konnte unterirdisch gelingen: "Neun Fluchttunnel wurden bis 1971 allein hier unter der Bernauer Straße hindurch von West-Helfern gegraben," erklärt Bert. Der bekannteste ist der Tunnel 57, bei dem vielen Menschen die Flucht gelang, bis er durch den Geheimdienst der DDR entdeckt wurde.

Gedenkstätte Berliner Mauer: rekonstruiertes Stück TodesstreifenBild: Lars Wendt

Ab in den Westen

Zeit für eine Pause im Prater, einem traditionsreichen Biergarten in der Nähe. Nach der Stärkung gibt's als Zugabe noch einen Abstecher zur East Side Gallery, dem längsten erhaltenen Teilstück der Mauer. Der Touristenmagnet ist ziemlich überlaufen, vor allem junge Leute sind unterwegs. An der nahen Oberbaumbrücke erzählt Bert, wie er am 9. November 1989 abends im Radio von der neuen Reisefreiheit hörte: "Ein Freund und ich sind dann um 3 Uhr nachts gemeinsam zum Grenzübergang Oberbaumbrücke geschlichen. Außer uns und einem Punkerpärchen war keiner da. Die schlecht gelaunten Grenzoffiziere haben uns tatsächlich durchgelassen."

Die Oberbaumbrücke verbindet heute wieder die Bezirke Kreuzberg und FriedrichshainBild: picture alliance / dpa

Nach fast fünf Stunden endet die Mauertour wieder an der Ausleihstation am Bahnhof Zoo. Die Teilnehmer sind zufrieden. Viel geradelt, viel erfahren. Zwei Teilnehmer lassen sich als Andenken die ganze Tour in ihren Stadtplan einzeichnen. Eine Art Siegerurkunde mit Widmung von Bert: "Bis nächstes Jahr."

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