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Politik

Blutige Waffen von Sig Sauer in Kolumbien

21. Juni 2020

Der Waffenproduzent Sig Sauer macht sein deutsches Werk dicht. Gegen die Firma ermittelt die Kieler Staatsanwaltschaft, die auch die Geschäftskonten einfror. Die blutige Spur führt nach Kolumbien.

Deutschland SIG Sauer Werk in Eckernförde
Werk von Sig Sauer in EckernfördeBild: Getty Images/M. MacMatzen

Der damals meistgesuchte Verbrecher der Welt musste äußerst vorsichtig sein. Doch an seinem 44. Geburtstag kann er nicht anders. Er ruft von einem Telefon ganz in der Nähe seines Verstecks in Medellín seine Frau und die beiden Kinder an. Genau sechs Mal, schließlich vermisst er seine Familie, von der er schon seit Wochen aus Sicherheitsgründen getrennt lebt. Doch das Suchkommando, das sein Glück kaum fassen kann, fängt die Anrufe ab.

Einen Tag später stürmen Spezialkräfte das Haus im Stadtteil Los Olivos und schießen zunächst seinen Bodyguard über den Haufen. Der Mann, der zeitweise 90 Prozent des weltweiten Kokainhandels kontrollierte, schafft es gerade noch, sich seine Lieblingspistole zu schnappen und flieht auf das Dach. Dort feuert er mit seiner Waffe, die er seit Jahren immer bei sich trägt, auf seine Verfolger. Doch es sind zu viele: Von einigen Kugeln getroffen, sinkt er auf den roten Dachziegeln tot zusammen.

Nach der Polizeiaktion: die Leiche von Pablo EscobarBild: picture-alliance/Bildarchiv

Am 2. Dezember 1993 stirbt Pablo Escobar. Direkt neben seinem toten Körper: eine, seine Sig Sauer 9mm, mit der er Dutzende Menschen abgeknallt hatte.

Exportverbot in Drittstaaten, das umgangen wird

Vielleicht muss man diese Geschichte kennen, um zu verstehen, welche Faszination Pistolen von Sig Sauer auch heute noch auf Waffennarren in Kolumbien ausüben. Dass manche skrupellose Firmen diese Anziehungskraft eiskalt für ihre Geschäfte nutzen - und damit das Exportverbot von Kleinwaffen in sogenannte Drittstaaten, das die Bundesregierung vor einem Jahr verhängte, ideenreich umgehen.

2019 rieben sich die deutschen Kleinwaffenhersteller die Hände, es war ein fantastisches Jahr. Maschinengewehre und Pistolen für beinahe 70 Millionen Euro gingen über den Ladentisch ins Ausland, eine satte Steigerung von sage und schreibe 79 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Vor allem nach Norwegen, Großbritannien und Litauen. Aber auch in die USA.

Sig Sauer Pistole P226, Kaliber 9mm Para mit MunitionBild: picture-alliance/dpa/D. Young

Dumm nur, wenn Unternehmen wie Sig Sauer USA die Waffen - ohne Genehmigung - weiter verscherbeln, wie es in den letzten Jahren geschehen sein soll. Und die Pistolen dann mit dem Aufdruck "Made in Germany" in Staaten wie Nicaragua, Mexiko oder Kolumbien auftauchen und Hunderte Menschen verstümmeln oder töten. Für Ralf Willinger vom Kinderhilfswerk "terre des hommes" ist dies eine Farce. Der Endverbleib deutscher Waffenlieferungen werde nicht überprüft:

Ralf Willinger von "terre des hommes"Bild: Privat

"Soldaten der kolumbianischen Armee haben Sig Sauer Pistolen benutzt, um unschuldige junge Menschen, auch Minderjährige, zu ermorden und als im Kampf getötete Guerilleros darzustellen. Bewaffnete kriminelle Banden und Paramilitärs, die Minderjährige rekrutieren, haben diese gezwungen, Sig Sauer Waffen zu benutzen."

In Kolumbien werden vier von fünf Morden mit Kleinwaffen verübt. Willinger ist sich sicher, dass dies den Verantwortlichen in den Unternehmen bekannt ist, dennoch lieferten sie offenbar weiter Waffen illegal nach Lateinamerika. "Diese rücksichtslose Geschäftspolitik auf Kosten der Menschen vor Ort muss dringend gestoppt werden."

Heckler & Koch und die Morde in Mexiko

Der Fall Sig Sauer erinnert fatal an die Geschichte, die hierzulande bislang am meisten Staub in Sachen illegale Waffenexporte aufwirbelte: den Vertrieb von 4500 G-36- Sturmgewehren nach Mexiko durch den deutschen Hersteller Heckler & Koch. Wegen des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz wurde das Unternehmen aus Baden-Württemberg vor einem Jahr zu einem Bußgeld von 3,7 Millionen Euro verdonnert, zwei Mitarbeiter zu Bewährungsstrafen verurteilt. Das Geld ging aber nicht etwa die Hinterbliebenen der Opfer, sondern an den deutschen Staat.

Carola Hausotter von der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko hat den Prozess damals aufmerksam verfolgt, die Juristin engagiert sich seit Jahren für die Einhaltung der Menschenrechte in Mexiko: "September 2014 verschleppte die örtliche Polizei im südlichen Bundesstaat Guerrero, einem der Brennpunkte der Gewalt, 43 Studenten einer Universität, tötete während der Auseinandersetzungen sechs Menschen und verletzte weitere 40 Personen schwer. Dabei setzten die Sicherheitskräfte nachweislich G36-Sturmgewehre aus deutscher Herstellung ein."

Die 43 Studenten werden noch immer vermisst, bis heute fehlt von ihnen jede Spur. Für Hausotter steht fest: "Der deutschen Bundesregierung war die prekäre Menschenrechtslage in Mexiko bekannt. Aber es wurde eine Kompromisslösung gefunden, um die Exporte zu ermöglichen."

Vielleicht ähneln sich die Fälle Sig Sauer und Heckler & Koch nicht nur, sondern sie hängen sogar unmittelbar zusammen: Viele Experten gehen davon aus, dass Sig Sauer einfach in das Vakuum gestoßen ist, das Heckler & Koch in Lateinamerika hinterlassen hat.

Deutsche Politik verantwortlich?

Professor Joachim KrauseBild: Privat

Doch wie steht es um die Verantwortung der deutschen Politik, dass solche Menschenrechtsverletzungen in Zukunft nicht mehr vorkommen? Fragt man bei Professor Joachim Krause nach, ist die Antwort eindeutig: "Hier geht es um mögliche Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz. Das ist keine Sache der Rüstungsexportpolitik."

Der Politikwissenschaftler und Vorsitzende der Stiftung Wissenschaft und Demokratie verweist bei Sig Sauer auf die Verantwortung der Staatsanwaltschaften und Gerichte. Während Ralf Willinger und Carola Hausotter verstärkte und systematische Kontrollen deutscher Exporte von Kleinwaffen bis hin zum Exportverbot fordern, mahnt Krause, auch die deutschen Anstrengungen auf diesem Feld nicht zu vergessen: "Die deutsche Bundesregierung ist international führend bei Versuchen, kleine und leichte Waffen in Konfliktregionen einzusammeln und diese zu verschrotten."

Nicht einmal das ist übrigens mit den fertig gestellten Waffen im Eckernförder Werk von Sig Sauer möglich: auf allen Pistolen pappt jetzt ein Pfändungssiegel.

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