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Politik

Ist das Private immer politisch?

Maximiliane Koschyk
10. Mai 2017

Ein Illustrierten-Interview soll am Wahldebakel der SPD in Schleswig-Holstein schuld sein. Dabei ist es nicht neu, dass Politiker mit Einblicken in ihr Privatleben punkten wollen - und das Kalkül nach hinten losgeht.

Deutschland Torsten Albig  Wahlen Schleswig-Holstein
Bild: REUTERS/H. Hanschke

Eine Fastenkur als Liebesbeweis? Ja, rät Torsten Albig, der wahrscheinlich scheidende Ministerpräsident von Schleswig-Holstein: "Diese für Körper und Geist teilweise harte Erfahrung war total schön für die Beziehung", erzählte er Ende April im Interview mit der deutschen Illustrierten "Bunte".

Die "Homestory", wie Berichte aus dem Privatleben von Prominenten genannt werden, generierte kurz vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein viel Aufmerksamkeit, allerdings nicht mit dem gewünschten Effekt: Die Umfragewerte der SPD in Schleswig-Holstein brachen ein. Die Partei verlor bei der Wahl an Stimmen und Albig sehr wahrscheinlich sein Amt als Ministerpräsident.

Von der Parteispitze hagelte es dafür Kritik: Im norddeutschen Wahlkampf sei es nicht um die Inhalte, "sondern eher um Dinge wie das Privatleben des Ministerpräsidenten" gegangen, sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley.

In dem Gespräch mit der "Bunte" redet Albig über die Trennung von seiner Ehefrau: Man habe sich nicht mehr auf Augenhöhe ausgetauscht, weil sie "in der Rolle als Mutter und Managerin unseres Haushalts gefangen war", wird der Politiker zitiert. "Er hat da eine große Gruppe von Wählerinnen beleidigt", sagt Christina Holtz-Bacha, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Erlangen-Nürnberg. "Sicherlich ist es verkehrt, das Zitat allein verantwortlich für den Rückgang der SPD-Stimmen zu machen", sagt sie, aber "die Art und Weise, wie er sich da ausgedrückt hat, war höchst ungeschickt."

Der "Schulz-Effekt": Eine Frage der Authentizität

"Es ist sehr gewagt, so ein Interview im Wahlkampf zu machen", sagt Lukas Otto, Experte für politische Psychologie an der Universität Koblenz-Landau. Doch warum präsentieren sich Politiker dann so intim in den Boulevardmedien? "Das Vorbild für Homestories und die Preisgabe von privaten Informationen stammt aus den USA", sagt Otto. "Da ist die Familie bis hin zu den Haustieren notwendiger Bestandteil von Wahlkampagnen", sagt Holtz-Bacha. Ein Beispiel sei das Wahlversprechen Obamas, beim Einzug ins Weiße Haus seinen Töchtern einen Hund zu kaufen. Auch im Nachbarland Frankreich gehört die Thematisierung des Privatlebens zum Wahlkampf dazu, wie die Berichterstattung über die Ehe des designierten Präsidenten Emmanuel Macron zeigte.

Denn selbst augenscheinlich negative Informationen können laut Politpsychologe Otto von Nutzen sein - Stichwort "Schulz-Effekt": Nach der Bekanntgabe seiner Kanzlerkandidatur wurde das frühere Alkoholproblem von SPD-Kanzleranwärter Martin Schulz Thema in den Medien. "Das ist zunächst einmal eine private Information, die aber aufgrund seines authentischen Auftretens sogar ins Positive umgemünzt werden kann", sagt Otto. Dem Kommunikationswissenschaftler zufolge schätzen die Wähler, wie offen Schulz mit seiner Vergangenheit umgeht.

Keine PR-Strategie bewahrt einen Politiker vor sich selbst

Hinter jeder freiwilligen Preisgabe steckt natürlich Kalkül. So erliegen manche Politiker der Versuchung, sich selbst in sozialen Medien zu inszenieren. Aber auch das kann nach hinten losgehen: Außenminister Sigmar Gabriel sorgte im Internet für Spott, als er ein Bild von sich postete, auf dem er ganz "geerdet" neben einem teuren Mercedes-Geländewagen zu sehen war.

"Die Boomerang-Effekte können größer sein, als das was man an Aufmerksamkeit wollte", sagt Otto. "Es könnte auch im Fall Albig ein Problem gewesen sein, dass dieses Interview nicht als authentisch, sondern als inszeniert wahrgenommen wurde", sagt Otto.

Selbst PR-Beratern könnten nicht verhindern, "dass ein Kandidat seinen eigenen Kopf hat und meint, er wüsste selbst, was die beste Strategie ist, sich zu verkaufen", sagt Holtz-Bacha. "Kandidaten verschätzen sich gelegentlich damit, dass die Medien nicht gemeinsame Sache machen, sondern ein kommerzielles Interesse haben", sagt sie. "Denken wir mal daran, wie Christian Wulff seinerzeit reagiert hat auf die Ankündigungen der 'Bild'-Zeitung über seinen Privat-Kredit zu berichten." Der damalige Bundespräsident hatte Druck auf das Medium gemacht, die Berichterstattung über ihn einzustellen. Daraufhin kippte die Stimmung und Wulff musste seinen Posten räumen. "Wer mit der 'Bild'-Zeitung im Fahrstuhl nach oben fährt, fährt auch mit ihr wieder nach unten", sagte damals der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner.

Der berüchtigte Anruf von Ex-Bundespräsident Christian Wulff bei "Bild"-Chef Kai Diekmann schaffte es sogar ins Haus der GeschichteBild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Ein Interview in einem Boulervardmagazin ist noch keine Garantie für gute Presse. "Ich bin sicher, dass man in der Redaktion der Bunten erkannt hat, welche Brisanz die Aussage von Albig hatte", sagt Holtz-Bacha. "Das ist doch ein Knüller" und die habe man sich eben auch zunutze gemacht. 

"Das Private ist politisch": Ein Slogan als Maßstab

Vor allem zwei Politiker in Deutschland wussten das Boulevard nachhaltig für sich zu nutzen: "Willy Brandt und Gerhard Schröder", sagt Journalistin Tina Handel. In ihrem Buch "Das Private ist politisch" hat sie das jahrelange Verhältnis von Boulevard und Politik untersucht. "Schröder hat immer gesagt, er brauche die Boulevardmedien, um zu regieren", sagt Handel.

Im Laufe der Jahre habe vor allem die Themenvielfalt im Politboulevard zugenommen. "Von der Drogenerfahrung bis zur Homosexualität wird heute über alles offen geredet." Heute ist die Parole: "Das Private ist politisch" zu einem Maßstab für deutsche Politiker geworden. Sie müssten schauen "dass ihr politischer Anspruch mit der Art und Weise in Deckung zu bringen ist, wie sie sich persönlich verhalten", sagt Kommunikationswissenschaftlerin Holtz-Bacha.

Die Merkel-Methode: Das Private bleibt privat

Nach der Ära Schröder ist die Boulevardisierungswelle der deutschen Politik den Wissenschaftlern zufolge vorbei. Das mag auch an Schröders Nachfolgerin Angela Merkel liegen: "Wir haben eine Kanzlerin, die ihr Privatleben sehr zurückstellt und nicht damit in den Wahlkampf zieht", sagt Holtz-Bacha. Dafür werde sie weder in den Medien noch bei vielen Wählern negativ wahrgenommen. "Diese Trennung von privater und politischer Rolle funktioniert bei vielen Politikern in Deutschland sehr gut ", sagt Politpsychologe Otto.

Im bevorstehenden Bundestagswahlkampf dürften sich die deutschen Wähler weder von der Kanzlerin noch ihrem Herausforderer öffentliche Lebensbeichten erwarten. "Ich schätze, dass es bei den beiden Kandidaten der großen Parteien nicht unbedingt wichtig sein wird", sagt Otto. Wer also auf eine Bilderstrecke von Angela Merkel oder Martin Schulz am heimischen Herd, an der Kaffeetafel oder im Pool wartet, der sollte sich zumindest für diesen Sommer nicht allzu große Hoffnungen machen.

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