1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Brandmauer zur AfD hat viele Löcher

16. März 2024

Eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigt: Kooperationen mit mutmaßlich oder erwiesen rechtsextremen Parteien in Deutschland sind keine Seltenheit. Die Zahl könnte weiter steigen.

Demonstranten halten Schild hoch mit der Aufschrift "Wir sind die Brandmauer"
Demonstrationen gegen die AfD und Rechtsextremismus sind in Deutschland 2024 an der TagesordnungBild: Ipon/Imago

"Keine Zusammenarbeit mit der Alternative für Deutschland (AfD)!" Das betonen alle anderen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien. Aber halten sie sich auch an ihre Selbstverpflichtung? Auf der höchsten parlamentarischen Ebene, also im Bundestag, hat es bislang geklappt. Aber schon eine Stufe darunter, in den Landesparlamenten, funktionierte die oft als "Brandmauer" bezeichnete Abgrenzung nur bis 2019.

Damals ließ sich der Freidemokrat Thomas Kemmerich (FDP) im mitteldeutschen Bundesland Thüringen mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen. Die Empörung war deutschlandweit so groß - selbst die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schaltete sich ein - so dass Kemmerich schon nach wenigen Tagen zurücktrat. Seitdem hat es keinen vergleichbaren Fall mehr gegeben. Für Aufregung sorgte in Thüringen auch die erfolgreiche Abstimmung über eine Senkung der Grunderwerbssteuer im September 2023. Für den Antrag der Christdemokraten (CDU) votierten im Thüringer Landtag auch die AfD und die FDP.  

Die CDU fasste 2018 einen Unvereinbarkeitsbeschluss

Dabei hatte die CDU schon 2018 auf ihrem Parteitag einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefasst, der nicht nur die AfD betrifft: "Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab."  Seitdem wird immer wieder darüber gestritten, wann die Schwelle der Kooperation erreicht ist. Denn niemand kann die AfD daran hindern, Anträgen anderer Parteien zuzustimmen.          

Tabubruch im Thüringer Landtag

01:50

This browser does not support the video element.

Unterhalb der großen politischen Bühnen - Bundestag und Länderparlamente - gibt es ohnehin schon viel mehr Berührungspunkte. Denn in Städten und Gemeinden kooperieren alle Parteien immer wieder mal mit der teilweise rechtsextremen AfD und anderen Gruppierungen am äußersten rechten Rand. Zu diesem Ergebnis kommt die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der Linkspartei politisch nahesteht.

Mindestens 121 Kooperationen seit 2019

Der Titel ihrer Studie ist eine Frage: "Hält die Brandmauer?" Die Antwort ist eindeutig: Nein, sie hat schon viele Löcher. Im Zeitraum 2019 bis 2023 haben die Politikwissenschaftlerin Anika Taschke und ihr Fachkollege Steven Hummel in ostdeutschen Kommunen 121 Fälle registriert. Meistens wurden dabei gemeinsam mit der extremen Rechten Anträge gestellt oder darüber abgestimmt. 

In der Studie sind konkrete Fälle beschrieben. So beantragte die CDU im Berliner Bezirk Reinickendorf im Oktober 2019 ein "Kopftuchverbot für Schülerinnen bis einschließlich 6. Klasse". Nach längeren Diskussionen, die sich über Monate hinzogen, wurde der Antrag mit den Stimmen von CDU und AfD im August 2020 beschlossen.

Kein Kopftuch für Schülerinnen?

03:21

This browser does not support the video element.

Warum ein Bezirk in Berlin kein Dorf ist

Reinickendorf hat mit fast 270.000 Einwohnern die Ausmaße einer Großstadt. Das trifft auf alle zwölf Bezirke der deutschen Hauptstadt zu - in Berlin leben rund 3,8 Millionen Menschen. Wenn es auf kommunaler Ebene zu Kooperationen mit der AfD kommt, hat das also eine andere Dimension als in Dörfern auf dem Land.

Studienautorin Taschke hält es jedoch für falsch, zwischen größeren und kleineren politischen Ebenen und den dort handelnden Personen zu unterscheiden: "Kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger sind nicht von Bundesparteien und vom Bundesprogramm zu trennen." Zur Erinnerung: Die AfD ist vom Verfassungsschutz seit 2022 landesweit als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft.

Für Flüchtlinge ist Cottbus kein "Sicherer Hafen" mehr

Ein anderes in der Studie beschriebenes Beispiel betrifft Cottbus im ostdeutschen Bundesland Brandenburg: Die Stadt hatte sich im April 2021 mit den Stimmen von Grünen und Linken im Rahmen der deutschlandweiten Initiative "Sicherer Hafen" freiwillig zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit erklärt. Dieser Beschluss wurde im Oktober 2023 auf Initiative der AfD mit den Stimmen der CDU außer Kraft gesetzt. Begründung: "Der gesellschaftliche Zusammenhalt in Cottbus ist gefährdet, es muss deshalb eine Begrenzung der Zuwanderung geben."

Der Befund ist klar: Die meisten Kooperationen mit der AfD oder anderen weit rechts stehenden Parteien und Gruppierungen gehen auf das Konto der CDU. Das Team der Rosa-Luxemburg-Stiftung fand im Untersuchungszeitraum 52 Fälle. Die FDP hat sich in 22 Fällen auf eine Zusammenarbeit eingelassen, während die Grünen das nur fünfmal und damit am seltensten taten.

Vermutlich gibt es eine hohe Dunkelziffer

Die tatsächliche Zahl der Kooperationen dürfte allerdings noch viel höher sein, vermutet das Studien-Duo Anika Taschke und Steven Hummel. Denn die beiden haben vor allem dort genauer hingeschaut, wo es durch Berichte in der Presse oder Hinweise in sozialen Medien Anhaltspunkte für eine Zusammenarbeit mit der AfD oder anderen Parteien am rechtsextremen Rand gegeben hatte.

Hummel hält es für möglich, dass künftig noch mehr gemeinsame Anträge und Abstimmungen zu beobachten sein werden. "Die AfD betrachtet die kommunale Ebene als Experimentierraum", sagt der Politikwissenschaftler. Deshalb sei zu befürchten, dass sich Kooperationen schon bald auf höheren Ebenen fortsetzen könnten.

Die Brandmauer zur AfD könnte weiter bröckeln

Dabei denkt er insbesondere an die Parlamentswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im September 2024. Laut Umfragen ist die AfD in allen drei Bundesländern mit Werten von teilweise deutlich über 30 Prozent aktuell die stärkste politische Kraft. Hummel und seine Kollegin Taschke befürchten deshalb, dass Kooperationen auf kommunaler Ebene zur einer "Normalisierung der AfD" führen.

Um das zu verhindern, empfehlen sie eine konsequente Abgrenzung: keine Absprachen, keine gemeinsamen Abstimmungen. Auf die Frage, ob man die AfD dadurch nicht eher stärke, antworten die beiden mit einer Gegenfrage: "Stärkt es die AfD nicht viel mehr, wenn man mit ihr kooperiert?"

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen