Zu attraktiv für Rechtsextreme?
3. Mai 2017André E. sagte es seinem vorgesetzten Oberleutnant frei heraus: "Ich denke nationalsozialistisch." Da war er erst wenige Tage bei der Bundeswehr im thüringischen Gotha. Auch optisch outete sich der angehende Panzerschütze unmissverständlich als Rechtsextremist. "Blut und Ehre" ließ er sich eintätowieren, weil er die "SS so bewundere". Das Soldatengesetz legt in Paragraf 37 fest, dass zum Berufs- oder Zeitsoldaten nur berufen werden darf, wer Gewähr dafür bietet, "dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt".
Der innere Feind in Uniform
André E. wurde noch weitere zehn Monate ausgebildet, lernte das Schießen mit dem Sturmgewehr G3 und durfte Handgranaten werfen. Das alles ist 17 Jahre her, doch André E. ist nicht irgendein Neonazi. Er gehört zu den Angeklagten im Münchner Prozess gegen den rechtsextremistischen "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU). Der Terrorgruppe werden Sprengstoffanschläge und zehn Morde zur Last gelegt. Warum hat die Bundeswehr den Mann nicht gestoppt?
Auch der Fall des Michael L. fällt Bundeswehr und Verteidigungsministerium im Licht neuer rechtsextremistischer Vorfälle in der Truppe nun erneut auf die Füße. Der damals 35-jährige Reservist diente 2012 als Offizier im afghanischen Kundus. Schon 2008 hatte er um Aufnahme bei der NPD im nordhessischen Kassel nachgesucht. Außerdem war er Mitglied im "Freien Widerstand Kassel". Der hessische Verfassungsschutz stufte die Organisation eindeutig als "neonazistische Gruppierung" ein. Obwohl diese Erkenntnisse lange vorlagen, schaffte es Michael L. bis zum Afghanistan-Einsatz. Das hätte der Militärische Abschirmdienst (MAD) verhindern müssen. Der MAD durchleuchtet alle Soldaten, bevor sie im Ausland Dienst tun. Warum nicht Michael L.?
Der lange Schatten des Wehrmacht-Ideals
Das Image, anfällig für rechte Gesinnungen zu sein, haftet der Bundeswehr schon seit ihrer Gründung 1955 an. Kein Wunder: Ende der 1950er Jahre wurden noch 300 Offiziere der Waffen-SS, Hitlers Partei-Truppe, eingestellt. Mehr als 12.000 Wehrmachtoffiziere waren unter dem Dach der Bundeswehr aktiv - und über 40 NS-Generäle. Von Anfang an war die Bundeswehr belastet vom braunen Erbe, entsprechend ambivalent war ihr Verhältnis zum neuen Konzept des "Bürgers in Uniform". Unter Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß (CSU, 1956-1962) bekamen Kasernen die Namen von NS-Größen. Die Widerständler gegen Hitler vom 20. Juli 1944 galten als "Verräter". Die Frage nach Kriegsverbrechern war weitgehend tabu.
Noch in den 1960er Jahren galt die "gewissenhafte Pflichterfüllung" als höchste aller Soldatentugenden. Vor diesem Hintergrund konnte der damalige Bildungsbeauftragte für das Heer, General Heinz Karst, noch verkünden, Freiheit und Demokratie seien "keine letzten Werte". Dazu passte die wachsende Kritik an allzu "übertriebener parlamentarischer Kontrolle" der noch jungen Truppe. Bundeswehrhochschulen sollten ab den 1970er Jahren den immer noch lebendigen alten Geist bändigen helfen.
Doch die erste Generation der noch jungen Offiziere lehnte Reformen ab und polemisierte gegen die Entspannungspolitik von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Noch Anfang der 1980er Jahre erntete der damalige Verteidigungsminister Hans Apel (SPD) Proteste, als er aussprach, was nicht zu bestreiten war: "In den Nationalsozialismus waren Streitkräfte teils schuldhaft verstrickt…..Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen."
Bundeswehr zu lasch im Umgang mit Rechtsextremen?
Doch bis heute bleibt die Bundeswehr offenbar attraktiv für Rechtsextreme. In der überwiegenden Zahl der Verdachtsfälle geht es um sogenannte Propagandadelikte: "Sieg-Heil-Rufe" oder Hakenkreuz-Schmierereien. Laut MAD ist rechte Gesinnung in der Truppe vor allem unter den 18- bis 25-Jährigen zu finden. Sie fühlen sich vor allem durch den Umgang mit Waffen und die Führungsstruktur in der Truppe angezogen. Doch auffällig gewordene Neonazis können nicht ohne weiteres rausgeworfen werden. Gerichte müssen den Rechtsextremismus bestätigen.
Es fehlt nicht an Hinweisen - zum Beispiel durch den Wehrbeauftragten des Bundestages - doch vieles kommt erst spät und zufällig heraus. Allein das Versagen des Militärischen Abschirmdienstes im Zusammenhang mit den NSU-Morden lässt vermuten, dass rechtsextremistische Auffälligkeiten in der Truppe zwar gesehen, darauf aber gar nicht oder nur milde reagiert wird. So sei die MAD-Akte über den mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Mundlos zurückgehalten worden, das warfen Abgeordnete des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags dem MAD vor.
Gibt es ein braunes Netzwerk in der Truppe?
Die Summe aller "Entdeckungen" hat dazu geführt, dass die oberste Dienstherrin der Bundeswehr, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, ihren USA-Besuch absagte. Eine ungewöhnliche Reaktion und Indiz für den Ernst der Lage. Inzwischen wird nicht ausgeschlossen, dass ein braunes Netzwerk in der Truppe zugange sein könnte.
Kenner der Bundeswehr machen für die Nähe einiger Soldaten zu Neonazi-Gedankengut die Abschaffung der Wehrpflicht verantwortlich. Der Bundeswehr fehlten jetzt die "ganz normalen Bürger", kritisiert Michael Wolffsohn, ehemaliger Historiker an der Bundeswehr-Hochschule in München. Jetzt ströme extremistisches Personal in die Bundeswehr. Das würde angelockt durch eine Gratis-Ausbildung an Waffen: "Lyriker gehen nun mal nicht freiwillig zum Militär."
Die Wehrpflicht - 2011 von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abgeschafft - war der Garant dafür, dass der Querschnitt der Gesellschaft in der Truppe repräsentiert wurde. Das passte zur Formel "Bürger in Uniform". Schweden hat einen ähnlichen Kurs beschritten und nach sieben Jahren Berufsarmee nun wieder die Wehrpflicht eingeführt.