"Die Demokratie nicht dem Euro opfern"
10. Juli 2012DW: Was kritisieren Sie zunächst einmal an Form und Verfahren, mit dem beide Instrumente durch das Parlament gebracht wurden?
Christoph Degenhart: Form und Verfahren sind ein eigener Kritikpunkt. Es geht zum einen um das ungebührlich beschleunigte Verfahren, das den Parlamentariern eigentlich keinen Raum für eine vernünftige Beratung einräumte. Es geht ganz entscheidend darum, dass die Regierung die Bedeutung und die Folgen der Verträge nicht offengelegt hat und das Parlament unzureichend informiert hat. Daher konnte das Parlament nicht auf gesicherter Grundlage entscheiden. Zum anderen verschweigt die Regierung gewisse Dinge beziehungsweise hält sich nicht an ihre Aussagen: So wurde auf dem EU-Gipfel die direkte Bankenhilfe durch den ESM beschlossen, die im ESM-Vertrag so nicht vorgesehen ist.
Um bei der Form zu bleiben - reicht Ihnen die Zwei-Drittel-Mehrheit bei der Abstimmung nicht?
Nein. Was die direkte Bankenhilfe betrifft: Die ist im ESM-Vertrag nicht vorgesehen und daher vertragswidrig. Das bedeutet einen Rechtsbruch, ehe der Vertrag abgeschlossen wurde. Wir sind der Auffassung, dass ESM plus Fiskalpakt plus Änderung der Europäischen Verträge durch Aufhebung des Bail-out-Verbotes einen so nachhaltigen Systemwechsel in der Wirtschafts- und Währungsunion bewirkt, dass dafür auch eine Zwei-Drittel-Mehrheit nicht ausreicht, sondern dafür ein Volksentscheid notwendig ist.
Neben der Verletzung der No-Bailout-Klausel, also des Verbotes, für die Schulden anderer einzustehen, kritisieren Sie inhaltlich die unbegrenzte Haftung und das Problem, dass dieser Vertrag offenbar gar nicht kündbar ist. Was sind noch weitere inhaltliche Kritikpunkte an ESM und Fiskalpakt?
Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt ist, dass der ESM, der eine große internationale Finanzinstitution sein und über gigantische Mittel verfügen wird, keinerlei effizienter Kontrolle unterliegt. Er agiert intransparent, er genießt Immunität, er kann nicht gerichtlich belangt werden. Er kann beispielsweise auch nicht vom Bundestag oder einem Untersuchungsausschuss kontrolliert werden. Er agiert in einem nahezu kontrollfreien Raum. Und das ist meines Erachtens mit einer Europäischen Union, die demokratischen Grundsätzen verpflichtetet ist, schlechterdings unvereinbar.
Sie sprechen sich für eine Volksabstimmung aus. Wie müssten Ihres Erachtens nach diese Instrumente zur Eurorettung demokratisch legitimiert umgesetzt werden?
Es wäre nicht notwendig, über jedes einzelne Instrument per Volksentscheid abzustimmen. Man muss vielmehr fragen: Soll das Grundgesetz so geöffnet werden, dass es auf gesamteuropäischer Ebene einen angemessenen Finanzausgleich zwischen stärkeren und schwächeren Ländern zulässt, wie es ihn in Deutschland auf nationaler Ebene schon gibt? Soll das Grundgesetz so verändert werden, dass es auch eine intensive Finanzaufsicht zulässt? Das wäre eigentlich die entscheidende Frage. Wollen wir praktisch die Souveränität über unsere Haushaltsfinanzwirtschaft abgeben?
Kritiker halten Ihre Klage für europaskeptisch. Sind Sie nur gegen die Form oder auch gegen den Inhalt der Maßnahmen zur Eurorettung?
Wir sind keineswegs europaskeptisch. Europa kann aber auf Dauer nur gelingen, wenn es nicht durch die Regierungen am Volk vorbei gemacht wird, sondern wenn es vom Konsens der Bürgerinnen und Bürger Europas getragen wird. Bisher sind die Bürger immer außen vor geblieben. Außerdem sind wir auch gegen die Reduzierung Europas auf den Euro. Der Aussage "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa" kann ich nicht zustimmen. Europa ist mehr als der Euro. Europa ist vor allem auch Demokratie, die im Grunde eine europäische Idee ist. Wir können nicht um des Euros Willen die Demokratie opfern.
Kritiker Ihrer Klage sagen, man hätte sich an alle Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus früheren Urteilen gehalten. Was antworten Sie ihnen?
Zum einen ist die Beteiligung des Parlaments völkerrechtlich nicht verbindlich festgelegt. Zum anderen kann der Bundestag dem politischen Druck nicht standhalten, wie man jetzt schon sieht. Die Bestimmungen zur Einbindung des Bundestages sind schon ein Schritt in die richtige Richtung. Aber all dies genügt nicht. Zudem sind die Maßnahmen unbestimmt, die Haftung ist unbegrenzt und eine ausreichende Kontrolle nicht gegeben.
Wie schätzen Sie Ihre Erfolgsaussichten in Karlsruhe ein?
Als Prozessbevollmächtigter mache ich nie Aussagen über Erfolgsaussichten.
Prof. Dr. Christoph Degenhart ist Staats- und Verwaltungsrechtler und Experte für Staatsrecht sowie Rundfunk- und Medienrecht. Er forscht und lehrt an der Universität Leipzig. Als Prozessbevollmächtigter vertritt er mit der früheren Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin im Auftrag des Vereins "Mehr Demokratie e.V." mehr als 12.000 Beschwerdeführer.