1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Deutsche Bahn - System mit Verspätung

Andreas Becker Nicolas Martin
29. Dezember 2025

Deutsche Züge fuhren früher pünktlich wie ein Uhrwerk. Heute sind Verspätungen die Regel, nicht die Ausnahme. Wo ist das einst weltweit bewunderte Bahnunternehmen falsch abgebogen? Und was machen die Schweizer richtig?

Kräne und Arbeiter im Gleisbett: Arbeiten an der Bahnstrecke Hamburg-Berlin mit Schutzkleidung
Eine der aktuell sehr vielen Baustellen der Deutschen Bahn - Arbeiten an der Bahnstrecke Hamburg-BerlinBild: BREUEL-BILD/IMAGO

Mitte Dezember stellte Evelyn Palla, die neue Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn (DB), einen umfassenden Restrukturierungsplan für den Staatskonzern vor, der 2026 in Kraft treten soll. Nachdem der Aufsichtsrat der DB am 10. Dezember zugestimmt hatte, erklärte Palla, das Unternehmen werde rund 30 Prozent seiner Führungspositionen abbauen. Ziel sei es, das Management zu verschlanken, Entscheidungsprozesse zu dezentralisieren und durch eine agilere Organisation Pünktlichkeit und Effizienz zu verbessern.

Die Umstrukturierung erfolgt zu einem Tiefpunkt für die Deutsche Bahn. Im Herbst erreichte die Pünktlichkeit einen neuen Tiefststand: Nur 55 Prozent der Fernzüge kamen mit weniger als sechs Minuten Verspätung an - das ist die offizielle Definition von "pünktlich"" bei der DB.

So fährt man in Deutschland mit dem Zug

05:14

This browser does not support the video element.

Die Pünktlichkeit verschlechtert sich seit Jahren und hat die DB zu einem der leistungsschwächsten Bahnunternehmen Europas gemacht. Für Pendler sind Verspätungen und Zugausfälle zum Alltag geworden, insbesondere in dicht besiedelten Gebieten. Dort können sich Fahrgäste glücklich schätzen, wenn jeder zweite Zug pünktlich ankommt.

Grenzüberschreitende Blamage

Die Krise nahm im Sommer 2024 eine internationale Dimension an, als die Schweiz Züge der Deutschen Bahn aus ihrem Netz verbannte. Begründet wurde dies mit der Sorge, dass die chronischen Verspätungen den Schweizer Fahrplan durcheinanderbringen würden.

Diese Entscheidung legte schonungslos Deutschlands jahrzehntelanges Versäumnis offen, ausreichend in sein Schienennetz zu investieren und den Verfall seiner Verkehrsinfrastruktur aufzuhalten.

Laut Bundesverkehrsministerium befindet sich rund die Hälfte der Gleise in einem mittelmäßigen, schlechten oder mangelhaften Zustand. Etwa ein Fünftel der Infrastruktur muss mittelfristig erneuert werden, während einige Elemente - darunter über 100 Jahre alte Stellwerke - sofortiger Sanierung bedürfen.

Drei Jahrzehnte des Verfalls

In den letzten 30 Jahren hat Deutschland nur einen Bruchteil dessen ausgegeben, was Nachbarländer wie die Schweiz und Österreich in die Instandhaltung und Modernisierung ihrer Schienennetze investiert haben. Gleichzeitig ist das deutsche Schienennetz geschrumpft, obwohl die Nachfrage gestiegen ist, da immer mehr Menschen längere Strecken zur Arbeit pendeln.

Das Ergebnis ist ein Netz, das mehr Verkehr auf weniger Gleisen bewältigt und viele davon in marodem Zustand. Diese Kombination bildet den Kern der Probleme der Deutschen Bahn. Jens Kaminski, ein erfahrener Lokführer, der seit 1994 bei der DB arbeitet, erinnert sich an eine ganz andere Zeit. Damals war der deutsche Ausdruck "pünktlich wie die Bahn" in Deutschland noch üblich.

Lokführer Jens Kaminski kann sich noch erinnern, als ihm und seinen Kollegen mit Achtung begegnet wurdeBild: Andreas Becker/Nicolas Martin

"Damals, wenn man durchs Dorf ging, wurde man wie ein Held begrüßt - wie ein Feuerwehrmann", sagte Kaminski der DW. "Heute heißt es eher: Ach, er ist Lokführer. Du bist nichts." Unter Eisenbahnern galt eine Redensart: Der Fahrplan ist Gesetz! Kaminski erinnerte sich, was in jenen Jahren anders war.

"Wir hatten zwölf Leute in Bereitschaft im Depot. Wenn etwas schiefging - eine Panne, irgendetwas -, sprangen sie ein und reparierten es. Kein Problem. Heute gibt es keine Bereitschaftsteams mehr. Zu teuer."

Von der Reform zum Sparkurs

Kaminskis Karriere spiegelt die jüngere Geschichte der Deutschen Bahn wider. Er begann 1994 zu arbeiten, im selben Jahr, in dem die Bahnunternehmen Ost- und Westdeutschlands zur Deutschen Bahn AG fusionierten, nur vier Jahre nach der Wiedervereinigung.

Das neue Unternehmen sollte marktorientierte Reformen umsetzen. Als hundertprozentige Staatsgesellschaft sollte die DB wettbewerbsfähig und profitabel werden, mit dem langfristigen Ziel, an die Börse zu gehen.

Die neue Bahnchefin Evelyn Palla: Lok fahren kann sie, aber einen Staatskonzern leiten?Bild: Andreas Gora/dpa/picture alliance

Was folgte, waren aggressive Kostensenkungsmaßnahmen. Investitionen in Infrastruktur und Personal wurden zurückgefahren, um das Unternehmen für Investoren attraktiver zu machen. "Da begannen die eigentlichen Stellenstreichungen", sagte Kaminski. "Gleise wurden gesperrt - sogar wichtige Ausweichgleise. Das war radikal."

Der Börsengang kam nie zustande, und die Bundesregierung ist weiterhin alleiniger Anteilseigner der DB.

Prüfer schlagen Alarm

Der Bundesrechnungshof hat die Regierung wiederholt dafür kritisiert, ihrer Verantwortung als Eigentümerin der Bahn nicht nachzukommen. In ihrem jüngsten Bericht schrieben die Prüfer: "Drei Jahrzehnte lang hat die Bundesregierung zentrale bahnpolitische Fragen nicht angegangen." Weiter hieß es: "Die Deutsche Bahn erfüllt seit Langem nicht die Kundenerwartungen an Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Das Unternehmen befindet sich in einer permanenten Krise und ist reformbedürftig."

Der Gerichtshof wies zudem auf die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Bundesregierung hin, die Schieneninfrastruktur als öffentliches Gut zu erhalten und einen zuverlässigen Zugverkehr zu gewährleisten.

Vorbild Schweiz

Die Schweiz stand in den 1990er-Jahren vor ähnlichen Herausforderungen, verfolgte aber einen anderen Ansatz. Wie Deutschland wandelte auch die Schweiz ihren Bahnbetreiber in eine Aktiengesellschaft mit dem Staat als alleinigem Anteilseigner um.

Im Gegensatz zu Deutschland stellte sie jedoch klar, dass der Hauptzweck des Bahnsystems der öffentliche Dienst und nicht die Gewinnmaximierung sei. Peter Füglistaler, ehemaliger Leiter der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), betont, dass die Bahninfrastruktur nicht der Gewinnerzielung dienen dürfe.

"Ihr Ziel ist es, Kapazität und Pünktlichkeit zu gewährleisten - zum Wohle aller", erklärte er gegenüber dem WDR und fügte hinzu, dass ein Bahnbetrieb eine Managementpolitik erfordere, die auf Zuverlässigkeit und nicht auf finanzielle Erträge ausgerichtet sei.

Energie sparen durch autonome Züge

03:25

This browser does not support the video element.

"Deutschland investiert deutlich weniger in seine Bahnen als die Schweiz. Wer deutlich weniger investiert, kann nicht dieselbe Qualität erwarten", so Füglistaler. Daten belegen, dass 90 Prozent der Schweizer Züge pünktlich fahren - ein Standard, den das Land strikt durchsetzt, wie das Verbot von deutschen Zügen mit mehr als 15 Minuten Verspätung zeigt.

Ein langer Weg liegt vor uns

Deutschlands Vernachlässigung der Bahn wird oft mit seiner ausgeprägten Autokultur in Verbindung gebracht. In den vergangenen drei Jahrzehnten haben die Regierungen der einzelnen Länder etwa doppelt so viel in Straßen und Autobahnen wie in die Schieneninfrastruktur investiert.

Doch es zeichnen sich Veränderungen ab. Palla ist die erste weibliche Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn und die erste Geschäftsführerin mit Lokführerschein.

Trotz schwierigster topografischer Herausforderungen: Der Bahnbetrieb in der Schweiz funktioniert vorbildlichBild: Yanik Buerkli/KEYSTONE/dpa/picture alliance

Von den 500 Milliarden Euro an neuen Schulden, die die neue Bundesregierung zur Modernisierung der militärischen und öffentlichen Infrastruktur aufgenommen hat, sind rund 150 Milliarden Euro für die Bahn vorgesehen.

Für die Fahrgäste wird die Verbesserung jedoch nicht schnell kommen. Bau- und Reparaturarbeiten werden voraussichtlich kurzfristig zu weiteren Beeinträchtigungen führen. Das heißt, bevor die Züge zuverlässiger fahren, dürften sich die Verspätungen noch verschlimmern.

So arbeitet die Autobahnpolizei in Deutschland

04:34

This browser does not support the video element.


 

Sie möchten die ganze Geschichte hören? Hören Sie die neue Podcast-Serie der DW: „Delayland: Deutschland und der fehlende Zauber". Auch auf Apple Podcasts, Spotify, YouTube oder wo immer Sie Ihre Podcasts hören.

Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen