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Politik

Die Deutschen und das Fleisch

8. August 2019

In Deutschland wächst die Zahl der Vegetarier und weniger Menschen essen regelmäßig Wurst. Trotzdem wird weiterhin sehr viel Fleisch produziert und äußerst billig verkauft. Wie geht das? Aus Berlin Sabine Kinkartz.

Fleisch Symbolbild
Bild: picture-alliance/dpa/B. Juergens

Es ist Sommer und in Deutschland wird gegrillt. Das weiß der Lebensmitteleinzelhandel und bietet massenhaft Fleisch an. Ob in Scheiben geschnitten, zu Würsten verarbeitet oder mundgerecht portioniert, mariniert und aufgespießt: In den Kühltheken stapeln sich die Fleischberge. Die Preise sind verblüffend niedrig. Beim Discounter Aldi ist in dieser Woche ein 500 Gramm schweres Entrecôte - "für Kenner das beste Steak", erklärt die dazu gehörige Werbung - für sieben Euro zu bekommen.

Noch weniger kostet Bratwurst aus Schweinefleisch. Gerade einmal 3,73 Euro pro Kilogramm weist das Preisschild über der Aldi-Kühltheke aus. Hackfleisch, gemischt vom Schwein und Rind ist ebenfalls für weniger als vier Euro pro Kilogramm zu bekommen. Eine Ausnahme? Ein besonderes Angebot?

Nein. Fleisch gehört in Deutschland zu den Lebensmitteln, die in allen Supermärkten billig verkauft werden. Das liegt nicht daran, dass Fleisch wie Brot, Obst oder Gemüse als Grundnahrungsmittel gilt und daher nur mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben statt 19 Prozent belegt ist.

Ein Milliardengeschäft

Es liegt vor allem daran, dass billig und in sehr großen Mengen produziert wird. Die Fleischindustrie ist in Deutschland ein großer Wirtschaftszweig. Die 25 größten deutschen Fleisch-Konzerne setzten 2018 knapp 27 Milliarden Euro um.

Auch wenn immer mehr Fleisch ins Ausland verkauft wird, bleibt ein Überangebot auf dem deutschen Markt. Ein Geschäft ist es trotzdem. Die Arbeiter in den Zucht- und Schlachtbetrieben werden schlecht bezahlt. Die Tiere werden in riesigen Stallanlagen auf engstem Raum industriell gehalten und ohne Platz für Bewegung und Auslauf in kürzester Zeit zum Schlachtgewicht gemästet.

"Laxer" Tierschutz

Zwar gilt auch für Nutztiere in Deutschland das Tierschutzgesetz. Mit heimlich aufgenommenen Fotos und Videos dokumentieren Tierschutzorganisationen aber, dass den Tieren oftmals großes Leid angetan wird. In Deutschland seien die Bestimmungen "laxer" als in anderen EU-Staaten, kritisiert Martin Hofstetter von der Umweltschutzorganisation Greenpeace. 

Schweine auf dem Weg zum SchlachthofBild: picture-alliance/dpa/F.-P. Tschauner

Landwirte in anderen EU-Ländern müssten ihren Mastschweinen mehr Platz verschaffen als Landwirte in Deutschland. Außerdem seien die Anforderungen an die Ausbringung von Gülle viel schärfer und auch der Einsatz von Medikamenten und Antibiotika werde stärker kontrolliert. "Diese Entwicklung war politisch gewollt, um Deutschland zu einem Exportweltmeister von Billigfleischwaren zu machen", so Hofstetter.

Acht Tonnen Fleisch pro Jahr

Fleisch zu essen, galt auch in Deutschland lange Zeit als Zeichen für Wohlstand. "Sonntagsbraten", dieser Begriff stand für etwas besonders Gutes. Zwischen 1961 und 2011 stieg der Fleischkonsum von durchschnittlich 64 auf 90 Kilogramm pro Kopf und Jahr.

Seitdem sinkt er und liegt aktuell bei rund 60 Kilogramm. Dazu kommen in Deutschland rund 20 Kilogramm pro Kopf und Jahr, die unter anderem zu Tierfutter verarbeitet werden. Die Welternährungsorganisation FAO beziffert den weltweiten Durchschnittsverbrauch auf 40 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr.

Laut statistischem Bundesamt wurden in Deutschland im ersten Halbjahr 2019 noch 29,4 Millionen Schweine, Rinder, Schafe und Ziegen geschlachtet und zu 3,9 Millionen Tonnen Fleisch verarbeitet. Das ist nach wie vor ein Spitzenwert im internationalen Vergleich. Inzwischen wird weitaus mehr Fleisch in Deutschland produziert, als die Deutschen verbrauchen.

Dürfen es ein paar Cent mehr sein?

Schön finden es die meisten Deutschen nicht, wenn sie mit den zum Teil schockierenden Aufnahmen gequälter Tiere konfrontiert werden. Im Supermarkt greift die Mehrheit trotzdem eher zum billigen Fleisch, und nicht zur tier- und umweltschützenden Bio-Ware, die durchschnittlich viermal mehr kostet.

Platz und Auslauf gibt es für die Tiere nur in der Öko-LandwirtschaftBild: picture-alliance/Joker

Würde sich das ändern, wenn Fleisch grundsätzlich teurer würde? Agrarpolitiker, aber auch Umwelt- und Tierschützer schlagen vor, den Mehrwertsteuersatz für Fleisch und tierische Produkte von sieben auf neunzehn Prozent zu erhöhen. Die Mehreinnahmen könnten dafür genutzt werden, die Haltungsbedingungen für die Tiere zu verbessern. Zum Beispiel könnte damit der Umbau der Ställe finanziert werden.

Kritiker lehnen eine Steuererhöhung als unsozial ab. Der Preis würde für alle Bürger gleichermaßen verteuert, unabhängig von ihrem Einkommen. Tatsächlich würde das erwähnte Entrecôte, wenn die Mehrwertsteuer auf 19 Prozent erhöht würde, nicht mehr sieben Euro kosten, sondern 7,78 Euro. Das Kilogramm Bratwurst 4,15 Euro statt 3,73 Euro.

Werden zusätzlich Aufschnitt, Milch und Eier verteuert würden, würden am Ende des Monats aus ein paar Cent einige Euro. Das sei für manche arme Familie im reichen Deutschland mehr, als sie finanziell verkraften könne lautet die Kritik.

Eine erhöhte Mehrwertsteuer gilt für alleBild: picture-alliance/dpa/F. Kleefeldt

Teures Billig-Fleisch

Doch wie ist das mit Bürgern, die ausreichend verdienen? Würden sie ihren Fleischkonsum wegen ein paar Euro Mehrkosten verringern? In der Politik wird das bezweifelt. EU-Kommissar Günther Oettinger warnt zudem vor nationalen Alleingängen. Fleisch sei ein Grundnahrungsmittel im gesamten europäischen Binnenmarkt. Auch wenn es sich in Deutschland deutlich verteuern sollte, bleibe es im benachbarten Ausland gleich billig.

Die grüne Politikerin Renate Künast würde lieber bei den Steuervorteilen für Fleischproduzenten ansetzen. "Wir subventionieren mit sauer verdienten Steuergeldern Massentierhaltung", sagte Künast der Rheinischen Post. In Wahrheit sei das vermeintliche Billig-Fleisch sehr viel teurer, weil auch die Folgewirkungen der Massentierhaltung eingerechnet werden müssten.

Das seien etwa die Kosten durch die Belastung des Klimas wegen des hohen Tierbestands, für die Behandlung von Gesundheitsschäden durch zu viele Antibiotika im Schweinefleisch oder steigende Grundwasserpreise wegen der Nitratbelastung. "Das wäre der ehrliche Vergleich zum Ökofleisch", so Künast.

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