Drohnen-Pleite wird aufgearbeitet
22. Juli 2013Das Scheitern des Drohnenprojekts Euro Hawk hat ein parlamentarisches Nachspiel: Ein Untersuchungsausschuss arbeitet das Rüstungs-Debakel in der Sommerpause auf. Der Verteidigungsminister ist einer von 19 Zeugen.
In diesem Fall war der Name nicht Programm: Die Aufklärungsdrohne Euro Hawk (Habicht) erhebt sich nicht wie ihr Namensgeber stolz in die Lüfte, um aus der Höhe Freund und Feind zu erspähen. Stattdessen steht der Prototyp ohne Flugerlaubnis im Hangar - und der Verteidigungsminister am Pranger.
Es ist die bisher größte Krise in der Amtszeit von Thomas de Maizière (CDU), der eine Geldverschwendung von ungeheurem Ausmaß zu erklären hat: Wie konnte es passieren, dass sein Ministerium 600 Millionen Euro in eine Drohne investiert hat, die im deutschen Luftraum aus Sicherheitsgründen nicht fliegen darf? Vier dieser Drohnen wollte die Bundeswehr erwerben, doch der bisher einzige Prototyp (oben im Bild) wird wohl nie die Serienreife erlangen.
Ende mit Schrecken
Es fehlte nicht viel, und der Minister wäre zusammen mit der Drohne abgestürzt. Doch Thomas de Maizière verteidigte sich mit dem Argument, er habe größeren Schaden verhindert, als er die Entwicklung des Euro Hawk Mitte Mai stoppte. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten ihm seine Mitarbeiter die Probleme als lösbar dargestellt. "Der Zeitpunkt der Entscheidung war richtig", beharrt er. Ein Ende mit Schrecken sei ihm lieber als ein Schrecken ohne Ende.
Doch so schnell will die Opposition den Minister, dem ein enges Verhältnis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel nachgesagt wird, nicht aus der Verantwortung lassen. Sozialdemokraten, Grüne und Linkspartei sind davon überzeugt, dass der Minister die Reißleine zu spät gezogen hat. Auf diese Weise habe er viele Millionen Euro an Steuergeldern vergeudet.
Die Oppositionsparteien forderten einen Untersuchungsausschuss, um das Rüstungs-Debakel aufzuarbeiten. Ende Juni hat sich der Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss konstituiert - ein Recht, das ihm qua Grundgesetz zusteht. Das Gremium tagt nun mitten in der Sommerpause (22. bis 31. Juli) und sozusagen in letzter Minute. Denn mit der Bundestagswahl im September endet für dieses Parlament die Möglichkeit, Licht in die Euro-Hawk-Pleite zu bringen. Eine Prise Wahlkampf ist natürlich auch mit dabei, wenn der Ausschuss wenige Wochen vor dem Urnengang über die Verschwendung von Steuergeldern durch die Bundesregierung diskutiert.
Aufklärung im Schnellverfahren
An sechs Sitzungstagen befragen die Mitglieder 19 Zeugen, darunter Thomas de Maizière und seine Staatssekretäre, zwei ehemalige Verteidigungsminister und Vertreter der beteiligten Rüstungskonzerne. Ein ehrgeiziger Zeitplan - üblicherweise nehmen sich parlamentarische Untersuchungsausschüsse Monate oder gar Jahre Zeit für die Aufklärungsarbeit.
Um alle Anhörungen überhaupt zu schaffen, befragen die Parlamentarier drei Zeugen pro Tag, notfalls bis Mitternacht. Dennoch ist offenkundig, dass in so kurzer Zeit eine gründliche Aufarbeitung der komplexen Materie kaum zu bewältigen ist. Aber der Untersuchungsauftrag weist durchaus in die Zukunft: Da es immer wieder Probleme mit der Beschaffung von teuren Rüstungsgütern gibt, will der Ausschuss klären, "welcher Änderungsbedarf in der Organisation des Beschaffungswesens" aus der Euro-Hawk-Pleite abgeleitet werden kann. "Diese Erkenntnisse hätte man auch ohne den Ausschuss bekommen können", grummelt der Obmann der CDU, Markus Grübel. Die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP halten naturgemäß nicht viel davon, dass "ihr Minister" in der Sommerpause erneut "gegrillt" wird.
Zehn Jahre Arbeit
Ihren Bedarf an unbemannten Aufklärungsdrohnen stellte die Bundeswehr bereits nach dem Kosovo-Krieg fest. Die Bundeswehr wandelte sich zur Einsatzarmee, die bessere Aufklärungsfähigkeiten brauchte als zuvor. Die bisher praktizierte Luftaufklärung mit betagten Propellerflugzeugen hatte keine Zukunft. Da eine ferngesteuerte Drohne ein weiträumiges Lagebild am Boden liefern kann, ohne den Piloten zu gefährden, fiel die Entscheidung für ein solches System. Vor mehr als zehn Jahren begann das Verteidigungsministerium mit den Vorbereitungen für die Entwicklung der Drohne. Damals im Amt: Rudolf Scharping, SPD, der als einer der ersten Zeugen im Untersuchungsausschuss gehört wird.
2005 wurde dann die "Euro Hawk GmbH" gegründet, ein Joint Venture aus dem europäischen Luftfahrtkonzern EADS und Northrop Grumman. Die US-amerikanische Rüstungsfirma stellt die Drohne Global Hawk her, den Bruder des Euro Hawk. Das Fluggerät ist also amerikanischer Bauart, während das Aufklärungssystem "ISIS" von der EADS-Tochter Cassidian speziell für die Bundeswehr entwickelt wurde.
Zwei Hersteller, keine Zulassung
Aus dieser Konstellation entstanden die Probleme, die letztlich zum Scheitern des Projekts führten: Die amerikanische Zulassung des Euro Hawk - der Prototyp wurde in den USA gebaut - galt in Deutschland nicht und konnte für den deutschen Luftraum auch nicht erwirkt werden. Erfahrungen mit der neuen Technologie gab es in Deutschland noch nicht. Zudem fehlten die Dokumentationen technischer Details, die die amerikanische Seite zurückhielt, so die Darstellung des Bundesverteidigungsministeriums. Folglich konnte eine Gefährdung des zivilen Flugverkehrs durch die unbemannte, ferngesteuerte Drohne nicht hieb- und stichfest widerlegt werden.
Die Euro Hawk GmbH erklärte ihrerseits, das System funktioniere tadellos. Sie werde einen "bezahlbaren und machbaren" Plan vorlegen, um die Probleme zu beheben. Mit anderen Worten: Wenn weiteres Geld aus dem Bundeshaushalt fließt, kann nachgerüstet werden. Doch das Ministerium hat im Mai ganz offiziell den Plan fallengelassen, vier Drohnen vom Typ Euro Hawk anzuschaffen und sucht nach einer neuen "Trägerplattform". Die Aufklärungstechnik von EADS soll, wenn möglich, in einer anderen Drohne zur Anwendung kommen.
Der Selbstverteidigungsminister
Thomas de Maizière räumt ein, dass sein Haus "handwerklich nicht sorgfältig genug gearbeitet" habe. Er selbst habe zu spät reagiert, als er von den Problemen hörte: "Ich hätte nachfragen müssen." Allerdings sei er von seinen Mitarbeitern nicht ausreichend informiert worden. Ungeachtet der "Mängel im Verfahren" sei die Entscheidung zum Ausstieg nicht zu spät erfolgt, erklärte der Minister im Juni im Verteidigungsausschuss, er werde daher nicht zurücktreten. Das hatten ihm Oppositionspolitiker nahegelegt. "Woher nahm der Minister die Erkenntnis, das Projekt könnte ein Erfolg werden?", wundert sich der Sozialdemokrat Rainer Arnold. Was auch immer Thomas de Maizière im Untersuchungsausschuss zu seinen Gunsten anführen wird - ihm hängt längst der Ruf an, dass er "seinen Laden" nicht im Griff hat.