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Die Drusen und die neue Gewalt in Syrien

Cathrin Schaer | Omar Albam (Syrien)
4. Mai 2025

Ein Audio, das den Propheten Mohammed beleidigt haben soll, war der Auslöser. Mehr als 80 Tote und israelische Angriffe waren die Folge. Die Gewalt in den drusisch geprägten Regionen Syriens hat aber tiefere Ursachen.

Bewaffnete Sicherheitskräfte stehen in einer langen Reihe vor gepanzerten Fahrzeugen
Bis Donnerstag hatte die Gewalt nachgelassen, und syrische Sicherheitskräfte wurden in die drusisch geprägten Gebiete verlegt.Bild: Syrian Interior Ministry Facebook Page/AFP

Alles hat mit einer rätselhaften Tonaufnahme begonnen. Darin soll ein Mitglied der drusischen Minderheit in Syrien den Islam und den Propheten Mohammed beleidigt haben.

Doch der drusische Geistliche Marwan Kiwan, dem der Audioclip zugeschrieben wurde, hat jede Verantwortung zurückgewiesen. "Wer immer das gemacht hat, handelt böswillig und will Zwietracht zwischen den verschiedenen Gruppen des syrischen Volkes säen", lautete sein Post in den Sozialen Netzwerken. Auch zahlreiche drusische Führungsfiguren und Gemeindemitglieder haben sich von den beleidigenden Aussagen distanziert, die viele syrische Muslime als blasphemisch empfunden haben.

Mitarbeiter des Syrischen Roten Halbmonds bergen Leichen in der Nähe der Ortschaft Al-Soura al-Kubra in der drusisch geprägten Provinz Suweida.Bild: Omar Albam/DW

Da war es bereits zu spät. "Die Verbreitung des Clips hat zu Aufrufen zur Mobilisierung geführt, um 'die Ehre des Propheten Mohammed zu verteidigen', begleitet von feindseligen Aussagen gegen die gesamte drusische Gemeinschaft", schrieb der britisch-irakische Forscher Aymenn Jawad al-Tamimi, der Kiwan kennt, auf seiner Substack-Autorenseite.

Schließlich haben unbekannte bewaffnete Gruppen begonnen, die drusisch geprägte Stadt Jaramana bei Damaskus anzugreifen. Beobachter vermuten, dass einige Angreifer mit den Sicherheitskräften der neuen syrischen Übergangsregierung in Verbindung stehen. Andere wiederum könnten wütende, bewaffnete Zivilisten gewesen sein. Für viele in Syrien hat der Vorfall einmal mehr gezeigt, dass die neue Regierung bislang keine vollständige Kontrolle über die Sicherheitslage hat.

Als Reaktion haben sich auch bewaffnete Männer aus drusischen Gemeinden eingeschaltet. In der vergangenen Woche hatte sich die Gewalt auf mehrere drusisch dominierte Orte ausgeweitet, darunter Jaramana und Sahnaya bei Damaskus sowie die Provinz Suweida.

"Wir haben nur zu Hause gesessen und Angst gehabt"

"In den vergangenen Tagen hat eine Art Belagerung geherrscht, niemand konnte rein oder raus", sagte Mohammed Shobak aus Sahnaya der DW. "Wir haben einfach nur zu Hause gesessen und Angst gehabt."

Bewaffnete Männer seien mit Autos durch die Stadt gefahren, ausgerüstet mit Maschinengewehren. Shobak glaubt, dass sie ihre Waffen aus Militärlagern haben, nachdem das Regime von Baschar al-Assad im Dezember 2024 zusammengebrochen ist. Die Männer hätten gesagt, sie wollten verhindern, dass Regierungstruppen in die Stadt einmarschieren.

"Die Kämpfe waren schlimm", so Shobak. "Aber eine halbe Stunde, bevor die Sicherheitskräfte eingetroffen sind, sind alle Bewaffneten verschwunden. Sie sind in die Olivenhaine geflohen."

Rund 400.000 Menschen leben in der drusisch geprägten Provinz Suweida im Süden Syriens.Bild: Omar Albam/DW

Nach Angaben lokaler Behörden sind bei den Auseinandersetzungen über 80 Menschen getötet worden. Inzwischen hat sich die Lage beruhigt. Führende Vertreter der drusischen Gemeinschaft haben zugestimmt, Regierungstruppen in ihre Gebiete einziehen zu lassen. In einigen Fällen haben Bewohner ihre Waffen abgegeben.

Wer sind die Drusen?

Die Drusen sind ethnisch Araber und gehören zu den zahlreichen religiösen Minderheiten in Syrien. Sie machen rund drei Prozent der Bevölkerung aus - etwa 700.000 Menschen, die vor allem im Südwesten des Landes leben.

Die Drusen folgen einem monotheistischen Glaubenssystem, das sich vor Jahrhunderten stark vom schiitischen Islam entfernt hat und Einflüsse aus Christentum, Buddhismus und Hinduismus vereint.

Seit dem Sturz des Assad-Regimes hat die neue syrische Regierung, dominiert von der islamistischen Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham, mit der drusischen Gemeinschaft über deren Rolle im Übergang und in einer neuen Armee verhandelt.

Zersplitterte Gemeinschaft, schwierige Gespräche

"Die drusische Gemeinschaft ist religiös, militärisch und stammesmäßig gespalten", schrieb Analyst Omer Ozkizilcik vom Atlantic Council. Die religiöse Führung sei auf drei Personen verteilt, auch die militärischen Gruppen der Drusen seien untereinander zerstritten.

Besonders umstritten ist die Frage, ob und wie drusische Milizen in eine neue nationale Armee integriert werden sollen. Einige Gruppen bestehen auf Unabhängigkeit - zumindest bis es Wahlen gibt. Die Regierung in Damaskus pocht hingegen auf ein staatliches Gewaltmonopol, um neue Gewalt zu verhindern.

Andere große drusische Milizen zeigen sich kooperationsbereiter. Am vergangenen Donnerstag haben fünf prominente drusische Führer eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der sie Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Damaskus signalisiert haben.

Trümmer nach den Kämpfen in Sahnaya, einer überwiegend drusischen Stadt mit etwa 30.000 Einwohnern am Stadtrand von Damaskus.Bild: Omar Sanadiki/AP/picture alliance

Am selben Tag hat einer der führenden religiösen Autoritäten der Drusen, Scheich Hikmat al-Hijri, die internationale Gemeinschaft aufgerufen, Friedenstruppen zu entsenden, zum "schnellen Schutz einer unschuldigen, wehrlosen Bevölkerung" vor "extremistischen Banden", die er mit der neuen Regierung in Verbindung bringt.

Kritiker von Al-Hijriverweisen darauf, dass der Geistliche, der das Assad-Regime bis etwa 2020 unterstützt hat, nur einer von mehreren religiösen Führern der drusischen Gemeinschaft ist. Andere prominente Geistliche teilen seine Haltung nicht unbedingt. Das syrische Außenministerium wies al-Hijris Aufruf jedenfalls zurück. "Jeder Appell an eine ausländische Intervention, unter welchem Vorwand oder Slogan auch immer, führt nur zu weiterer Verschlechterung und Spaltung", hieß es in einer Erklärung.

Was tut Israel?

In den frühen Morgenstunden des Freitags griffen israelische Kampfflugzeuge ein Gebiet in der Nähe des Präsidentenpalasts in Damaskus an, dem Sitz der neuen syrischen Regierung. Bereits am Mittwoch hatte Israel Ziele in Syrien bombardiert, als die Gewalt in den drusischen Gebieten begann.

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu erklärte, der Luftangriff vom Freitag sei "eine klare Botschaft an das syrische Regime", dass Israel "weder eine Stationierung von Kräften südlich von Damaskus noch eine Bedrohung der drusischen Gemeinschaft zulassen" werde.

In Israel selbst leben ebenfalls Drusen, etwa 130.000 Menschen, deren familiäre und gesellschaftliche Verbindungen über die Grenzen hinweg reichen.

Gefährdete politische Stabilität

Obwohl die syrische Regierung wiederholt betont hat, keinen Krieg mit Israel anzustreben, fordert Israel die Entmilitarisierung von drei Provinzen südlich von Damaskus. Gleichzeitig weitet Israel offenbar seine Präsenz vor Ort aus - über die von der UN vorgesehene Pufferzone auf den Golanhöhen hinaus. Berichten zufolge wurden dabei auch Syrer aus bestimmten Gebieten vertrieben.

Expertinnen und Experten sind sich einig: Das israelische Vorgehen verschärft nicht nur die Lage für die drusische Minderheit, sondern droht auch Syriens ohnehin fragile politische Übergangsphase weiter zu destabilisieren. Besonders kritisch wird Israels Selbstdarstellung als "Schutzmacht" der Drusen gesehen, zumal Israel bei der syrischen Bevölkerung mehrheitlich negativ wahrgenommen wird. Diese Schutzbehauptung nährt laut Beobachtern populistische Narrative, die den Drusen mangelnde Loyalität gegenüber Syrien unterstellen.

"Wenn Israel diesen Kurs beibehält, riskiert es genau jenes Szenario heraufzubeschwören, das es vorgibt verhindern zu wollen", warnten Analysten der Denkfabrik Crisis Group bereits in einem Briefing im März.

Auch Stimmen aus Israel selbst äußern Kritik. "Israel überschätzt seine Möglichkeiten", schrieben Shira Efron vom Israel Policy Forum in New York und Danny Citrinowicz vom Institute for National Security Studies in Tel Aviv kürzlich in Foreign Affairs. Eine Ausweitung der Einsätze in Syrien könne einen neuen Feind schaffen, wo derzeit keiner existiere.

Die Mehrheit der drusischen Gemeinschaft in Syrien und viele ihrer religiösen Führer haben das israelische Schutzversprechen bereits abgelehnt. In mehreren Städten kam es zu öffentlichen Protesten gegen Israels Vorgehen.

Der Syrien-Experte Fabrice Balanche von der Universität Lyon erklärte es jüngst wie folgt im französischen Sender France24: "In Syrien als Ketzer zu gelten, ist eine Sache. Viel schlimmer ist es aber, mit Israel in Verbindung gebracht zu werden."