Geschichte zum Anfassen
13. Juli 2014 Es ist ein großer, karger Raum, an dessen Ende ein schwerer Holzschreibtisch mit zwei schwarzen Telefonen thront. Durch die vergilbten Gardinen fällt seitlich etwas Sonnenlicht. Hinter dem Tisch steht ein leer geräumter Tresorschrank.
An diesem Ort traf der Minister für Staatssicherheit der DDR - bis kurz vor dem Mauerfall vor 25 Jahren - Entscheidungen, die das Leben von Millionen von Menschen beeinflussten. Von hier aus steuerte Mielke die perfide Überwachung und Unterdrückung seines eigenen Volkes; von hier gab er auch die Todesschussbefehle entlang der innerdeutschen Grenze, die viele Menschen das Leben kostete.
Ein Ort der Täter wird Gedenkstätte
"All diese Räume von Mielke sind im Originalzustand erhalten", sagt Carlo Jordan, ein ehemaliger DDR-Bürgerrechtler aus Berlin. Er führt gerade eine Gruppe junger Mexikaner durch das Haus 1 der früheren Stasi-Zentrale, in dem heute das Museum untergebracht ist. Die Teenager zwischen 16 und 18 Jahren scheinen Spektakuläreres erwartet zu haben. Etwas unbeteiligt laufen sie vom Büro weiter in Mielkes Privatzimmer: Eine Schlafcouch, ein Fernseher, eine Sitzgruppe, dahinter ein kleines Bad in blau-grauen Kacheln mit Badewanne. Die Rückzugsräume eines lange gefürchteten Mannes wirken erstaunlich unspektakulär und steril. Und doch transportieren sie die Menschenfeindlichkeit, die mit diesem Ort verbunden ist.
Immer wieder gab es Pläne, Mielkes sogenannter verbotenen Stadt mit einer Fläche von mehr als 20 Hektar eine neue Bestimmung zu geben. Mal sollte ein Finanzamt einziehen, mal ein Supermarkt. Doch jene Demonstranten, die im Januar 1990 die bewachte Zentrale gestürmt und besetzt hatten, drängten danach darauf, dass in den historischen Gebäuden eine Forschungs- und Gedenkstätte zum politischen System der DDR entstand. Das Museum informiert heute über den Geländekomplex des Ministeriums, Struktur und Methoden des Überwachungsstaates sowie den Untergang des Regimes.
Augen und Ohren der Stasi waren überall
Auch Carlo Jordan war dabei, als die Zentrale gestürmt wurde. Um zu deeskalieren, wie er sagt, damit die bewaffneten Wachkräfte am Eingang nicht zu schießen begannen. Heute sitzt Jordan im Vorstand des Vereins Antistalinistische Aktion (Astak), der das Museum betreibt. "Ich finde es wichtig, dass dieser Ort für sich stehen kann", sagt Jordan. Natürlich seien aufbereitete Informationen über die Ideologie des Überwachungsstaates, die Geschichten von verfolgten Einzelschicksalen und Widerstandsgruppen wichtig. "Aber wo kann der Besucher noch sein eigenes Gefühl entwickeln, in dem er einfach hier durchläuft?"
Die Gruppe Mexikaner ist vor einem Schaukasten stehengeblieben, in dem eine Krawatte ausgestellt ist. Auf den ersten Blick wieder nichts Aufregendes. Doch in ihr versteckt sich ein winziges Abhörgerät. "Beängstigend, dass in diesem Staat niemand dem andern trauen konnte", findet die 16-jährige Abigail aus Guadalajara. Dieser Teil der Ausstellung zeigt eindrucksvoll, dass es den Spitzeln weder an technischen Möglichkeiten, noch an Erfindungsreichtum mangelte: Überall drapierten sie Fotoapparate, Mikrofone und Waffen. Ob in Einkaufstaschen, Astlöchern oder unter der Tapete.
Die Aufarbeitung ist nicht abgeschlossen
In einem weiteren Raum erklärt Jordan, dass die führende Partei der SED neben gewaltsamen Machtinstrumenten stark auf die Erziehung der Jugend setzte. Was erlaubt oder verboten war, bestimmten die Funktionäre. "Wer Jeans und lange Haare trug und westliche Musik hörte, geriet ins Visier der Stasi." Die Jugendlichen schauen jetzt entsetzt und können kaum glauben, was sie da hören. "Es ist wichtig, dass es solche Museen gibt", sagt der 16-jährige Ulises am Ende der Führung. "Und man sollte sich mit den heutigen Geheimdiensten kritischer auseinander setzen, damit sich die Geschichte nicht wiederholt", gibt er zu Bedenken.
Die Aufarbeitung der DDR-Diktatur dauert bis heute an und hat mit der einstigen Stasi-Zentrale einen wichtigen Ort. Gleich im Nachbarhaus des Museums sitzt die Behörde für Stasi-Unterlagen - die weltweit erste rechtsstaatliche Behörde, die Akten einer Geheimpolizei für persönliche, juristische und historische Aufarbeitung geöffnet hat. 50 Kilometer laufende Akten sind allein in Berlin archiviert. Und noch immer kommen jeden Monat 5000 Anfragen von Bürgern, die erfahren möchten, welche vermeintlich auffälligen Informationen die Spitzel über sie sammelten - nicht selten waren es Kollegen, Freunde oder gar Verwandte.
Neue Pläne fürs Museum
Draußen auf dem Hof hält dort, wo einst Mielke seinen Dienstwagen parkte, gerade ein neuer Reisebus mit Touristen aus Frankreich. Etwa 100.000 Menschen besuchen jedes Jahr das Museum. Im Januar soll - pünktlich zum Jahrestag der Stürmung - eine erweiterte Ausstellung eröffnen, die das Außengelände mit einbezieht und den Fokus auf die Ereignisse ab 1989 legt.
Trotz aller Düsterkeit, die der ehemalige Stasi-Komplex noch immer ausstrahlt, liegt in ihm eine große Symbolik. Für viele, die mit dem SED-Staat in Berührung kamen, ist der ungehinderte Zugang zu dem einstigen Sperrgelände von besonderer Bedeutung: Aus dem Ort der Repression ist auch ein Ort der friedlichen Revolution geworden.
Führungen durch das Stasi-Museum finden täglich zwischen 9 und 18 Uhr auf Anfrage statt und können auf deutsch, englisch, französisch, italienisch und dänisch gebucht werden. Mehr Informationen zum Museum finden Sie hier.