Niveauvolle Comics
2. August 2012Zack! Wooosch! – Schon hat der muskelbepackte Superheld die Welt gerettet und die vollbusige Blondine befreit. Mit letzter Kraft flüchtet der Bösewicht vom Ort seiner Niederlage - natürlich nicht, ohne Rache zu schwören. Im nächsten Band wartet er schon mit einem noch hinterhältigeren Plan, um die Weltherrschaft an sich zu reißen.
Obwohl Comics heute in Farbe gedruckt werden, bedienen viele ein schlichtes Schwarz-Weiß-Denken. Gut und Böse sind klar voneinander getrennt. Nie wird vom Leser gefordert, zwischen den Bildern zu lesen. So wundert es nicht, dass der Comic in Deutschland bis heute einen schlechten Ruf hat.
In den 1950er Jahren wollte der deutsch-amerikanische Psychiater Frederic Wertham beweisen, dass der Comic eine schädliche Wirkung auf Kinder hat. Er veröffentlichte eine Studie mit dem Titel "Verführung der Unschuldigen". Durch die Studie entbrannte in den Medien eine Schund- und Schmutzdebatte. "Es gab eine Angst vor Bildern. Es hieß: Jeder der Comics liest, wird Analphabet und kriminell", berichtet Dietrich Grünewald, Kunstwissenschaftler und Vorsitzender der Gesellschaft für Comicforschung.
Comics können auch Kunst
Gegen diese bis heute in der Gesellschaft verwurzelten Vorurteile will die Ausstellung "Comicleben - Comiclife" im Berliner Museum Europäischer Kulturen ein Zeichen setzten. "Ein wichtiger Beweggrund für die Ausstellung war es, dem Comic eine Plattform außerhalb der Comicszene zu geben", sagt Judith Schühle, die an der Konzeption der Ausstellung beteiligt war. Das sei wichtig, weil Deutschland innerhalb Europas und der weltweiten Comiclandschaft immer noch eine Sonderstellung einnehme: "Wenn man sich die deutsche Comiclandschaft anschaut, dann ist sie im Vergleich zur französischen sehr klein." In Frankreich sei der Comic längst als eigenständige Kunstform akzeptiert.
Neben Unterhaltungs-Comics in Heftchenform, die mengenmäßig nach wie vor dominieren, etabliert sich in Deutschland allmählich der Autorencomic. Moderne Autorencomics lassen das Schwarz-Weiß-Schema hinter sich, verzichten auf Superkräfte und stellen menschliche Schicksale ins Zentrum ihrer Geschichten. Nicht die Vereinfachung oder die Abkehr von der Wirklichkeit sind das Ziel, sondern der genaue Blick auf die Welt.
Es dauert aber, bis der anspruchsvolle Comic aus dem langen Schatten der Trivial-Comics heraustritt. "In den Köpfen vieler wird unter Comic immer noch die seichte Unterhaltung verstanden. Aber das ändert sich Schritt für Schritt", sagt Dietrich Grünewald.
Bildgeschichten in Gesellschaft und Politik
Bildgeschichten können auf eine lange Tradition zurückblicken. Nicht im bunten Comic-Heft, sondern auf einem Teppich wurden bereits im 11. Jahrhundert Bilder-Geschichten erzählt - auf dem kunstvoll bestickten Teppich von Bayeux. Die fast 70 Meter lange Stickerei erzählt in 58 Szenen die Geschichte der Eroberung Englands durch die Normannen. Gewissermaßen ein 900 Jahre alter Comic. Bänkelsänger vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert illustrierten ihre Gesänge mit Bildern. Während des Vortrags wies ein Gehilfe mit einem Zeigestab auf die entsprechenden Szenen, die auf Tafeln gemalt waren.
Bildgeschichten mit und ohne Text hatten und haben aber eine eigene Stellung innerhalb der Kunst, wie Comicforscher Grünewald betont: "Der Comic hat eine eigene Ästhetik, die eine eigene Rezeptionsanforderung stellt." Der Comic fordere vom Leser eine intensive Auseinandersetzung. "Der Betrachter muss sich aktiv beteiligen, denn er muss die Bilder miteinander verknüpfen und das Statische verlebendigen."
Komplexe Figuren und authentische Geschichten
Weltberühmt und preisgekrönt ist etwa der Comic "Maus" des amerikanischen Cartoonisten Art Spiegelmann aus dem Jahr 1986. Spiegelmann interviewte für den Comic seinen Vater, der schilderte, wie er den Holocaust überlebt hat. Im Comic charakterisiert Spiegelmann seinen Vater nicht nur als Opfer, sonder auch als Täter, der als eigenbrötlerischer Rassist Homosexuelle und Schwarze diskriminiert. Die Figuren treten im Comic nicht als Menschen, sondern als Tiere auf.
Auch in Deutschland gibt es immer mehr Comics zu ernsthaften Themen, wie Dietrich Grünewald feststellt: "Politische Comics im engeren Sinne gibt es seit einigen Jahren zunehmend mehr, weil sich eine größer werdende Menge von Zeichnern als Comicreporter versteht." Etwa die Berlinerin Paula Bulling, die mit dem Comic "Im Land der Frühaufsteher" das Leben von Asylbewerbern dokumentiert. Und Comicautorin Ulli Lust zeichnete fünf Jahre an ihrem Comic "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens". Der Comic erzählt die Geschichte einer siebzehnjährige Punkerin, die sich gemeinsam mit einer Freundin auf eine Reise nach Italien begibt. Die beiden Freundinnen wollen ihre Freiheit genießen, werden jedoch schnell mit Gewalt und sexuellen Übergriffen konfrontiert. Lust zeigt damit, zu was der Comic jenseits von Superheldenklischees fähig ist.