Die Endlagerfrage bleibt offen
8. September 2010Bleiben deutsche Atomkraftwerke wie beschlossen durchschnittlich zwölf Jahre länger am Netz, fallen mehr als 4000 Tonnen zusätzlicher Atommüll an. Nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz wären bis 2040 rund 17.200 Tonnen radioaktive Abfälle zusammengekommen. Aufgrund der Laufzeitverlängerung erhöhe sich diese Zahl nun auf 21.600 Tonnen. Ein sicheres Endlager für den Atommüll aber ist in Deutschland noch nicht in Sicht. Seit mehr als zehn Jahren wird hoch radioaktiver Abfall in so genannten Castorbehältern in der Nähe von Atomkraftwerken zwischengelagert.
"Experten gehen davon aus, dass ein Endlager gefunden werden kann", sagt Gerhard Jentzsch, Geophysiker an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Dafür müsse zunächst ein Konzept erarbeitet, dann ein Bergwerk gefunden und die Gesteine hinsichtlich ihrer Eignung sehr genau untersucht werden. Zweifel gebe es mittlerweile an der Eignung des Salzstocks Gorleben für ein solches Endlager.
Was wird aus Gorleben?
Der Salzstock im niedersächsischen Gorleben wurde 1977 als möglicher Standort für ein Atommüllendlager ausgegeben. Fünf Jahre später begann man dort Zwischenlager für hochradioaktiven Atommüll zu bauen. Seitdem ist Gorleben bekannt für Castor-Transporte, die von Demonstrationen begleitet werden. In den Jahren 1986 und 1987 war mit Erkundungsarbeiten an zwei Schächten des Salzstocks begonnen worden.
Die rot-grüne Bundesregierung unterbrach diese im Jahr 2000. Das sogenannte Moratorium für drei bis zehn Jahre sollte "zur zügigen Klärung konzeptioneller und sicherheitstechnischer Fragestellungen zur Endlagerung" genutzt werden. Geologen befürchten unter anderem, dass über eine Schmelzwasserrinne Grundwasser in den Salzstock eindringt. Das würde eine sichere Lagerung atomaren Mülls unmöglich machen.
Dennoch will Bundesumweltminister Röttgen die Prüfung des Salzstockes Gorleben am 1. Oktober 2010 wieder aufnehmen. Das Energiekonzept des Bundesumweltministeriums sieht vor, in einer vorläufigen Sicherheitsanalyse bis Ende 2012 alle bisherigen Erkenntnisse über den Salzstock zusammenzutragen. Auf dieser Basis sollen die Erkundungen von 2012 an weitergehen.
Was ein Endlager leisten muss
"Minister Röttgen kündigt eine Lösung an, will aber einfach nur das fortsetzen, was wir bisher an nicht praktikablen Lösungen haben. Das macht aus unserer Sicht überhaupt keinen Sinn", kritisiert Thorben Becker, Energieexperte beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
Die Anforderungen an ein sicheres Atommüllendlager sind so simpel wie anspruchsvoll. Für die endgültige Lagerung kommen Salz, Ton und Granit als Wirtsgestein in Frage. Während Finnland beispielsweise auf Granitgestein setzt, nutzt Deutschland Salzformationen. Ein Endlager muss atomare Abfälle solange fassen, wie sie strahlen und gefährlich für Menschen und Umwelt sind - also über eine Million Jahre hinweg. "Das ist eine verdammt lange Zeit", weiß auch Geophysiker Jentzsch. Während dieser Zeit verändern sich das natürliche Gestein und die geologische Situation um ein Endlager herum sehr stark. Es gilt daher, dreierlei sicher zu stellen: Erstens müssen die Behälter, die den Müll umschließen, sehr lange halten. Zweitens müssen diese Behälter fest unter Tage eingebaut werden. Und drittens braucht es Gestein, das möglichst wasserundurchlässig ist.
Becker vom BUND ist angesichts dieser hohen Anforderungen an ein Endlager skeptisch: "Das ist eine große Aufgabe und die können wir nicht im Zusammenhang mit dem politischen Streit über Atomenergie lösen." Eine Lösung könne nach Ansicht des BUND erst dann gefunden werden, wenn die Produktion des Atommülls gestoppt würde.
Eine schnelle Lösung gibt es nicht
Dass sich die Politik mit ihrem Energiekonzept nun auf Gorleben festlegen will, hält Jentzsch für falsch. "Vielmehr sollte man einen zweiten Standort suchen, die Vor- und Nachteile beider Standorte miteinander vergleichen und dann eine Entscheidung treffen", erklärt er. Das A und O dabei seien ein transparentes Verfahren und die Beteiligung der Bürger. Entscheidend sei, ob das gesamte Verfahren nach Bergrecht oder Atomrecht geführt wird. Das Atomrecht schreibt bei Errichtung eines Endlagers die Beteiligung der Bürger im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens vor. Die Erkundungen in Gorleben wurden bislang noch nach Bergrecht geführt, wobei die Bürgerbeteiligung nicht vorgesehen ist.
"Die Kosten für ein Bergwerk sind bei dem Ganzen wahrscheinlich das Geringste", schätzt Jentzsch. Klagen könnten den Prozess nach Atomrecht empfindlich verzögern und zusätzlich Geld kosten. Die Pläne des Umweltministeriums sehen vor, dass bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode, also in sieben Jahren, die Erkundungen in Gorleben abgeschlossen sind und ein atomrechtliches Planfeststellungsverfahren in Gang gesetzt werden kann. Der Geophysiker Jentzsch rechnet insgesamt mit einer Dauer von 20 Jahren. Ein sicheres Endlager in Deutschland ist also noch Zukunftsmusik.
Autorin: Gesche Brock
Redaktion: Kay-Alexander Scholz