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EU-Erweiterung

2. Mai 2009

Bis 2014 sollen möglichst viele Balkan-Staaten der EU beitreten - das ist die Hoffnung von Erhard Busek, dem Berater der EU-Ratspräsidentschaft für Erweiterungsfragen. Warum, erklärt er im DW-WORLD.DE-Interview.

Erhard Busek berät die Ratspräsidentschaft in ErweiterungsfragenBild: dw-tv

DW-WORLD.DE: Herr Busek, zunächst ein Blick in die Vergangenheit: Vor fünf Jahren traten acht osteuropäische Staaten sowie Malta und Zypern der Europäischen Union bei. War diese Erweiterungsrunde in Ihren Augen erfolgreich, sind diese Staaten heute voll in die EU integriert?

Erhard Busek: Voll integriert kann man wirklich noch nicht sagen, weil sie einige Bedingungen noch nicht erfüllen. Wir sehen das etwa bei Bulgarien oder Rumänien deutlich, auch im Justizsystem gibt es dort zweifellos noch Schwächen. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union erzeugt aber Druck, diese Dinge weiterzuführen. Man kann ja durchaus sagen, dass die verschiedenen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union generell einen differenzierten Integrationsstatus haben, das ist einerseits der Reiz für die politische Mannschaft - andererseits sicher aber auch das Problem.

Die Erweiterung selbst ist natürlich im Moment etwas durch die Tatsache blockiert, dass wir das Schicksal des Lissabon-Vertrags definitiv nicht kennen und natürlich auch durch interne Situationen in den Mitgliedstaaten, wo es gewisse Aggressionen gegen eine Erweiterung gibt, die letztlich auf die Frage der Emigranten zurückzuführen sind und wie die Mitgliedstaaten selber mit dem Problem umgehen.

Grenzstreit: Blick vom slowenischen Piran aus, im Hintergrund die kroatische KüsteBild: AP

Schauen wir in die Zukunft: Kroatien steht kurz vor einem Beitritt, andere Balkanländer wie Montenegro haben sich beworben, Albanien steht kurz vor dieser Bewerbung - wie wichtig ist es für diese Länder, zur Europäischen Union zu gehören?

Es ist von entscheidender Bedeutung, auch wenn hier und da versucht wird zu signalisieren, es sei doch nicht so wichtig. Aber das ist eine Art Selbstschutzmechanismus. In Wahrheit liegen diese Länder alle im Innenhof der Europäischen Union, wenn man auf die Landkarte sieht. Und ich möchte es einmal quantitativ betrachten: Das, was hier noch fehlt und noch nicht erledigt ist, ist etwa so groß wie die Hälfte von Polen. In Wirklichkeit ist es also kein riesiges Problem. Ich möchte fair sein - ein Problem ist, dass es natürlich eine beachtliche Zahl von Staaten ist, das heißt, die Beschlussfindung innerhalb der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wird dadurch nicht leichter.

Sollten die Staaten auf dem Balkan, die jetzt in die EU möchten, auch in einem großen "Big Bang", in einer Runde aufgenommen werden oder peu à peu?

Es könnte differenziert passieren, aber ein Argument spricht für den "Big Bang": Wir erleben momentan eine Blockade durch bilaterale Probleme. Auf der einen Seite stehen Slowenien und Kroatien mit einer Grenzstreitigkeit, auf der anderen Seite die Namensfrage zwischen Griechenland und Mazedonien. Wenn das so weitergeht, werden die Kroaten die Serben blockieren oder die Serben die Bosnier und so weiter. Da ist der Fantasie keine Grenze gesetzt. Darum wäre es sehr gut, wenn wir das alles auf einmal machen könnten.

Wir sprechen dann von 32 oder 33 Staaten, die irgendwann Mitglied sein würden. Ist die EU in dieser Größe überhaupt noch handlungsfähig?

Das Europäische Parlament müsse mehr Gewicht bekommenBild: Photo European Parliament/Architects : Architecture Studio

In der jetzigen Verfassung nicht. Es braucht sicher das Mehrheitsprinzip, und wahrscheinlich müssen sich auch die Mitgliedsstaaten davon verabschieden, dass sie jeweils einzeln entscheiden, wie es Europa geht. Hier müssen kompaktere Formen gefunden werden, oder um es praktischer zu sagen: Es braucht zweifellos eine europäische Regierung und - ich möchte es hier ausdrücklich so nennen - ein Europäisches Parlament mit der echten Möglichkeit, etwas zu bestimmen.

Wir müssen handlungsfähig sein. Das zeigt die gegenwärtige Finanzkrise und das zeigen die globalen Herausforderungen, angegangen bei der Klimafrage bis hin zu den wirtschaftlichen Entwicklungen. Es muss einfach Europa auf der Landkarte geben. Dass alle anderen immer darauf warten müssen, bis man sich mühsam zu irgendeiner Kompromissentscheidung durchringt, ist im globalen Kontext heute nicht mehr möglich.

Die derzeitigen 27 Mitglieder der Europäischen Union scheinen im Moment eher erweiterungsmüde zu sein. Der Reformvertrag von Lissabon, der die Erweiterung wenigstens erleichtern sollte, ist nicht in Kraft. Wo sind in Ihren Augen die größten Bremser?

Ich denke, es ist die Gewöhnung an diese Situation. Das ist in den Staaten unterschiedlich, es sind aber auch die Interessenlagen geografisch sehr unterschiedlich: Die Portugiesen sind vom Balkan nicht sehr beeindruckt, um es etwas praktisch zu sagen. Aber in Wahrheit ist es ein Lernprozess, und zwar müssen alle begreifen, dass Europa entweder gemeinsam bestehen wird, oder als politische Organisation oder politischer Akteur überhaupt nicht existiert.

Schauen wir noch weiter nach Osten: Da gibt es die Verhandlungen mit der Türkei über einen Beitritt, die nicht von der Stelle kommen. Auch da sind Österreich, Deutschland und Frankreich sehr zögerlich, Fortschritte zuzulassen. Glauben Sie daran, dass die Türkei irgendwann zur EU gehören wird?

Ob die Türkei der EU beitreten könne, hänge von ihrer Entwicklung abBild: dpa - Bildfunk

Ich glaube, dass es von der internen Entwicklung der Türkei abhängt. Der Umwandlungsprozess der Gesellschaft in der Türkei ist gegenwärtig rasant. Einerseits in Richtung einer gewissen Modernisierung und der Entstehung eines Mittelstandes, aber auch stärker in Richtung einer türkischen Identität, die etwas mit dem Islam zu tun hat. Wenn die Mehrheit der türkischen Gesellschaft sich nicht europäisch fühlt, hat eine Mitgliedschaft der Türkei eigentlich gar keinen Sinn. Eine geeignete Kooperationslösung zu finden, wäre dann das Beste.

Welche Chancen haben Länder wie die Ukraine, Georgien oder Moldawien, eines Tages zum Klub der Europäischen Union zu gehören?

Ich glaube, dass sie große Chancen haben, wenn sie sich nach innen besser entwickeln. Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir nicht unbedingt von Demokratien reden können oder von funktionsfähigen Verwaltungen, da sind sicher noch Mängel zu beseitigen. Das muss aber intern gelöst werden.

Fünf Jahre von heute gesehen - wie viel Mitglieder wird die EU dann haben, was ist Ihr Tipp?

Ich nehme an, dass das Problem Kroatien gelöst wird und es ein oder zwei Länder vom Balkan sein könnten. Ich gebe Ihnen einen anderen Tipp: 2014 ist es 100 Jahre her, dass der Erste Weltkrieg ausgebrochen ist, noch dazu in Sarajevo. Es wäre doch gut, wenn diese Region zu Europa gehörte.

Das Interview führte Bernd Riegert.
Redaktion: Sandra Voglreiter

Erhard Busek wurde am 25.03.1941 in Wien geboren. Der ehemalige österreichische Vize-Kanzler war von 2000 bis 2002 Regierungsbeauftragter für die EU-Ost-Erweiterung. Von 2002 bis 2008 war Busek EU-Sonderkoordinator des Stabilitätspaktes für Südosteuropa. Derzeit berät er die tschechische Ratspräsidentschaft in Erweiterungsfragen.