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Politik

Die Etablierung der AfD - eine Spurensuche

Kay-Alexander Scholz
29. Oktober 2018

Wie etabliert ist die AfD? Wer auf Spurensuche geht, entdeckt immer wieder den Bezug zur Union. Die Rechtspopulisten haben den Christdemokraten ein Stück im politischen Spektrum entrissen - und Angela Merkel bekämpft.

Deutschland Logo der AfD
Bild: picture-alliance/dpa/C. Gateau

August 2014, Dresden, Landtagswahl in Sachsen

Das ganze Land ist noch nervöser als sowieso schon an Wahlabenden. Millionen starren um 18 Uhr auf die Bildschirme. Dann das Ergebnis: Die "Alternative für Deutschland" (AfD) schafft mit knapp zehn Prozent erstmals den Einzug in ein deutsches Parlament. Bei der Bundestagswahl 2013 war die AfD noch knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Die AfD-Landeschefin in Sachsen, Frauke Petry, hatte im Wahlkampf weniger auf das Gründungsthema der AfD, die Kritik an der Eurorettungspolitik, gesetzt, sondern viel über Familienpolitik und Einwanderungsfragen gesprochen. Das scheint gefruchtet zu haben. Petry spricht von "Etablierung" - vielleicht auch bald deutschlandweit. 

"Wir vertreten doch nur, was die CDU in den 1980er-Jahren vertreten hat", sagt Frank-Christian Hansel, damals AfD-Bundesgeschäftsführer, am historischen Wahlabend in Dresden zu Journalisten. Die CDU erlebe, so ist zu hören, nun den Beginn der Zersplitterung ihres politischen Lagers. Nur zwei Wochen später jubelt die AfD auch in den ostdeutschen Bundesländern Brandenburg und Thüringen über ihren Einzug ins Parlament.

Oktober 2018, Berlin, Reichstagsgebäude, ein gewöhnlicher Sitzungstag im Parlament

Für Albrecht Glaser hat die AfD ein spätes Karrierehoch gebracht. Mit 75 Jahren ist er als Abgeordneter in den Bundestag eingezogen. 42 Jahre lang war er CDU-Mitglied und Kommunalpolitiker in der Bankenmetropole Frankfurt am Main im Bundesland Hessen. Er konnte sich damals "sehr frei bewegen", erzählt Glaser der DW - gekleidet wie oft im klassisch bürgerlichen britischen Landadel-Look. Er sei nicht nur konservativ, sondern immer auch liberal gewesen. Die Hessen-CDU stand jedoch immer ziemlich weit rechts. 1999 wurde der Wahlkampf mit Ressentiments gegen Ausländer geführt.

Von der West-CDU zur AfD: Albrecht GlaserBild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Als Angela Merkel als CDU-Chefin 2003 als eine radikale Steuerreform verspricht und sieben Jahre später, dann schon als Kanzlerin, "Multikulti" für gescheitert erklärt, "da war ich mit ihr noch einer Meinung". Doch dann habe sie das "Stammgelände der Partei" verlassen - Ausstieg aus der Atomkraft, Aussetzen der Wehrpflicht. 2012 tritt Glaser aus der CDU aus - und 2013 in die frühe AfD ein. Sein Parteiausweis trägt die Nummer 30. Typen wie Glaser gibt es damals viele, deshalb auch hat die AfD den Beinamen "Professoren-Partei". 

Rückblick: Dresden, Januar 2015

Petrys AfD-Fraktion trifft sich mit Vertretern der Pegida-Demonstration. Der Vizekanzler Sigmar Gabriel von den Sozialdemokraten bezeichnet rechtsextreme Randalierer im sächsischen Heidenau als "Pack". Diese schimpfen dann über "die Politiker" als "Lügner". Die Polarisierung nimmt ihren Lauf - und hält so auch die populistische AfD in den Schlagzeilen. Von "Pegida" übernimmt die AfD den Slogan "Merkel muss weg!".

Über Jahrzehnte war es Aufgabe der CDU, sich um den rechten Rand zu kümmern. Das heißt, eine Linie zu ziehen, was noch demokratisch ist und zu versuchen, auf die, die jenseits der Linie sind, einzuwirken und sie zurückzuholen. Jetzt hat die AfD diesen Rand übernommen. Eine Partei, in deren Mitte sich selber Politiker wiederfinden, die jenseits der Linie denken. Kurz danach schafft es die AfD - wenn auch knapp - auch in die ersten Parlamente im Westen der Republik.

Sommer 2015, Essen, Nordrhein-Westfalen

Rekordhitze in Deutschland - und bei der AfD. Auf dem Essener Parteitag mit tausenden Mitgliedern wird verbal gekämpft, gejohlt, geschrien. Petry zieht die Mehrheit der Partei schließlich auf ihre Seite und wird neue Parteivorsitzende. Am Rand steht Björn Höcke, zentrale Figur des fundamentalen Parteiflügels, schaut zu und denkt schon daran, Petry zu stürzen. Petry rückt die AfD nach rechts. Sie schart die radikale Parteijugend um sich. Die "konservative Lücke", das strategische Narrativ der AfD, weitet sie nach rechts. Höcke wartet noch.

Dem Sieg 2015 folgte 2017 der Gang aus der Partei. Frauke Petry versucht mit der "Blauen Wende" nun einen NeuanfangBild: Getty Images/V. Hartmann

In der Folgezeit erobert die AfD weitere Landtage - Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg. Die Partei bleibt ihrer strategischen Ausrichtung treu, bürgerlich und rechts zugleich zu sein. Gemeinsamer Nenner ist das Feindbild Angela Merkel.

Bundestagswahl, September 2017

Bei der Bundestagswahl zieht die AfD als stärkste Oppositionspartei ins Parlament ein. Petry will die Partei wieder stärker auf einen bürgerlichen Kurs bringen, verliert jedoch den Machtkampf und tritt Ende September 2017 aus der AfD aus - der nächste Rechtsruck.

Kurz danach gelingt auch der Einzug der AfD in Niedersachsens Landtag - jetzt fehlen nur noch zwei Landesparlamente. 

Wieder Reichstag, Berlin, Oktober 2018

In Sachsen ist die AfD dabei, in den Umfragen zur stärksten Partei aufzusteigen. Dabei hatte hier nach der Wende 1989 die CDU eine ihrer Hochburgen, jeder Zweite wählte sie -  auch Karsten Hilse. "Ich bin stehen geblieben, wo ich damals stand, nur die CDU ist nach links gerutscht", erzählt der 53-Jährige der DW - im klassischen dunkelblauen Anzug, weißem Hemd und Krawatte. Heimatverbunden und wertekonservativ - so wie er seien viele in Sachsen. Jetzt sitzt der ehemalige Polizist für die AfD im Bundestag. In seinem Wahlkreis hat Hilse bei der Bundestagswahl 2017 die CDU überholt. Die ehemalige CDU-Hochburg wird jetzt von der AfD regiert. 

Von der Ost-CDU zur AfD: Karsten HilseBild: DW/K. Scholz

Ein Jahr nach dem Einzug der AfD in den Bundestag sind die AfD-Abgeordneten zwar formal etabliert, sitzen in Ausschüssen und halten Reden. Normal aber ist ihr Alltag trotzdem nicht. Weil viele Politiker und Experten die AfD mindestens in Teilen für rechtsextrem halten. Er sei ein ganz "normaler Typ" und habe "nichts gegen Ausländer", sagt Hilse über sich selbst. Mit einigen Kollegen von CDU/CSU und FDP könne er sich ganz normal unterhalten, die anderen seien "fast feindlich gesonnen". Obwohl man manchmal inhaltlich nah beieinander läge, "bei konkreten Anträgen ist dann aber Schluss". Das heißt, die Anträge der AfD werden abgelehnt. Auch wenn auf persönlicher Ebene der Dialog mit manchen gemäßigten AfD-Politikern gelingt, bleiben Grenzen. Ist die AfD verfassungskonform? Bis zum Jahresende will der Verfassungsschutz darüber entscheiden.

Gerade kämpft Hilse gegen einen vorzeitigen Ausstieg aus der Braunkohle, über den Bund und Länder derzeit als Klimaschutzmaßnahme verhandeln. Es drohe, so wie nach 1989, ein neuer "Exodus, meine Heimat-Region könnte ausbluten", sagt Hilse. Im kommenden Jahr sind Wahlen in Sachsen, erst Kommunalwahlen im Frühjahr, dann im Herbst Landtagswahlen. Das Thema Kohleausstieg birgt politischen Sprengstoff. Die AfD wolle über 30 Prozent kommen, und dann mit der CDU regieren, sagt Hilse. Was die CDU momentan aber noch ablehnt. Zu regieren und nicht nur Opposition zu sein würde die Etablierung der AfD vollenden.

28. Oktober 2018, Wiesbaden, Hessen

Mit den 13,1 Prozent in Hessen ist die AfD nun auch in den 16.Landtag eingezogen. Zwei Wochen zuvor war das schon in Bayern gelungen. Nun gibt es für die AfD keinen weißen Punkt mehr auf der politischen Landkarte in Deutschland. Das ist eine Zäsur: Zwar haben zuvor schon andere Parteien aus dem ultrarechten Lager den Sprung in manches Landesparlament geschafft. Doch flächendeckend schaffte das bislang keine.

Übrigens: Nur 40 Kilometer vom hessischen Landtag in Wiesbaden entfernt liegt die Stadt Oberursel. Hier wurde im Februar 2013 die AfD gegründet. In Hessen trat die Partei im September 2013 das erste Mal zu einer Landtagswahl an - und verfehlte den Einzug knapp. Fünf Jahre später hat sich damit der Kreis geschlossen.

29.10.2018, Berlin

Merkel kündigt ihren Rückzug vom CDU-Vorsitz an. Die AfD nutzt die überraschende Nachricht, um ihren politischen Kampf um einen Platz in der Parteienlandschaft fortzusetzen. "Es ist ein Erfolg der AfD", sagt Alexander Gauland, einer der beiden AfD-Chefs. "Merkel muss weg!" sei Parteiziel, sagt Alice Weidel, eine der beiden Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag. Die CDU sei komplett entkernt.

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