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PolitikEuropa

Die EU beschließt Finanzpaket gegen Corona

21. Juli 2020

Historischer Durchbruch in Brüssel: Die EU nimmt gemeinsam Schulden auf, um gegen die Corona-Rezession anzukämpfen. Der Sondergipfel war einer der längsten der EU-Geschichte. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Abschluss EU-Gipfel in Belgien
Ellenbogen statt Umarmung: Kommissionspräsidentin von der Leyen (li.) und Ratspräsident Michel freuen sich im MorgengrauenBild: Reuters/S. Lecocq

Nach vier Tagen und vier Nächten konnte der von den Dauerverhandlungen erschöpfte Ratspräsident Charles Michel im Morgengrauen in Brüssel den Durchbruch verkünden. Die 27 Mitgliedsstaaten der EU einigten sich nach erbittertem Streit einstimmig auf einen Aufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro, mit dem die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie gemeinsam bekämpft werden sollen. Außerdem beschlossen die Staats- und Regierungschefs den EU-Haushalt für die nächsten sieben Jahre in Höhe von 1074 Milliarden Euro. Zusammengenommen ist dies mit 1,8 Billionen Euro das größte Finanzpaket, das die EU jemals in ihrer Geschichte geschnürt hat.

Merkel: Wir haben uns zusammengerauft

Die derzeitige Ratsvorsitzende der EU, Bundeskanzlerin Angela Merkel, die zusammen mit Michel den Kompromiss aushandelte, hatte sich einen "wuchtigen" Aufbaufonds gewünscht. Mit diesem Paket sieht sie sich am Ziel. "Das war nicht einfach. Dass wir so lange gebraucht haben, zeigt auch, dass wir aus verschiedenen Richtungen gekommen sind. Was für mich zählt ist, dass wir uns zum Schluss zusammengerauft haben und dass wir am Schluss jetzt auch alle überzeugt sind, aus dem, was wir beschlossen haben, wirklich etwas zu machen", sagte die Bundeskanzlerin in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Merkel: Das erfüllt mich mit ZufriedenheitBild: Reuters/J. Thys

Zuschüsse gesenkt

Merkel und Macron hatten vorgeschlagen, 500 Milliarden Euro aus dem Aufbaufonds als Zuschüsse an Mitgliedsländer zu verteilen, die besonders unter der Pandemie leiden. Dagegen begehrten die "sparsamen Fünf" (Niederlande, Österreich, Dänemark, Schweden, Finnland) auf. Deshalb wurde der Betrag an direkten Zuschüssen auf 390 Milliarden Euro gesenkt. 360 Milliarden Euro sollen als Kredite an bedürftige Staaten weitergereicht werden. Trotz des scharfen Gegensatzes zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern ist der Chef der Gipfelrunde, Charles Michel, mit der historischen Vereinbarung zufrieden. "Dies waren natürlich sehr schwierige Verhandlungen in sehr schwierigen Zeiten für alle Europäer. Ein Marathon, der in einen Erfolg für alle 27 Mitgliedsstaaten mündet. Das ist eine gute Vereinbarung, ein starker Deal. Am wichtigsten: Das ist der richtige Deal für Europa im richtigen Moment", meinte Charles Michel.

Wortführer der "Sparsamen": Am Ende stimmte auch der niederländische Premier Rutte zuBild: Reuters/S. Lecocq

Empfänger freut sich

Auf Druck der Niederlande wird ein Kontroll-Mechanismus eingeführt, um zu gewährleisten, dass Empfängerländer wie Italien, Spanien, Polen oder Griechenland, das Geld aus dem Aufbaufonds wirklich für sinnvolle Projekte einsetzen. Man könne nicht einfach einen Blankoscheck ausstellen, hieß es vom österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte, dessen Land von der Pandemie schwer getroffen wurde, freute sich über den Verhandlungserfolg. Italien kann bis zu 150 Milliarden Euro aus dem Coronafonds erhalten. "Wir haben jetzt auch eine große Verantwortung. Die 150 Milliarden Euro, die wir bekommen werden, sollten wir jetzt dazu nutzen, Italien stark zu machen und neu aufzustellen", mahnte Conte. Europa habe jetzt einen ambitionierten und effektiven Plan gegen die größte Rezession, die es je erlebt habe.

Nur schwache Regel bei Rechtsstaatlichkeit

Der Vorsitzende der Gipfelrunde, Charles Michel, sparte nicht mit der Vokabel "historisch" für das geschnürte Finanzpaket und den Haushalt der nächsten sieben Jahren. "Es ist das allererste Mal in unserer Geschichte, dass der Haushalt mit unseren Klimazielen verknüpft wird. Zum ersten Mal wird die Rechtsstaatlichkeit ein entscheidendes Kriterium für die Auszahlung von Mitteln. Es ist das erste Mal, dass wir unsere Wirtschaft gemeinsam in einer Krise stützen", sagte Michel. Um die Frage der Rechtsstaatlichkeit hatte es in den letzten vier Tagen scharfe Diskussionen gegeben. Weil der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban mit einem Veto gegen den gesamten Haushalt drohte, findet sich in den Gipfelbeschlüssen nur ein sehr allgemeiner Verweis auf die Rechtsstaatlichkeit als Kriterium für Ausschüttungen aus dem Haushalt. Orban feierte das als "Sieg".

Die Bundeskanzlerin glaubt hingegen, dass der Verweis auf ein noch zu entwickelndes Kontrollverfahren ausreicht. Angela Merkel kündigte außerdem an, dass das bereits laufende Strafverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge gegen Ungarn bis Ende des Jahres abgeschlossen werden soll. "Das liegt an Ungarn, die Bedingungen zu erfüllen", sagte Merkel dazu. Die EU wirft Ungarn und auch Polen vor, rechtsstaatliche Grundlagen und Werte auszuhöhlen und zu missachten. Bislang waren die Verfahren gegen Ungarn und Polen von den Mitgliedsstaaten nur schleppend verfolgt worden.

Macron: Ein Beispiel für die Welt

Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wird die EU zur Finanzierung des Corona-Hilfsfonds Schulden aufnehmen, für die die 27 Mitgliedsstaaten gemeinsam haften. Das werde die EU-Mitgliedsstaaten noch viel enger zusammenschweißen, glaubt der französische Präsident Emmanuel Macron. Er gab sich überzeugt, dass die gemeinsame Haushaltsführung ein entscheidender Durchbruch zur Stärkung der EU und auch der Euro-Währungsgemeinschaft sei. "Es ist das erste Mal, dass wir alle zusammen ein Konjunkturprogramm schaffen und dafür gemeinsam garantieren. Es ist historisch einmalig, dass wir uns gegenseitig so sehr vertrauen", sagte Macron in Brüssel.

Macron: Das kann nur die EUBild: Reuters/J. Thys

An seiner Seite saß die Bundeskanzlerin, die mit ihrer finanzpolitischen Kehrtwende die gemeinsame Schuldenaufnahme möglich gemacht hat. Bis Mitte April, als Merkel und Macron dieses Konzept vorschlugen, gehörte auch Deutschland noch zu den "Sparsamen" unter den EU-Staaten. Angesichts der Pandemie ist die deutsche Regierung jetzt aber bereit, tief in die Tasche zu greifen und netto 133 Milliarden Euro in den Aufbaufond zu stecken.

Auszahlungen zwischen 2021-2023

Die Bundeskanzlerin und der französische Präsident verstehen die neue finanzpolitische Einigkeit der EU auch als Signal an die Welt. Solidarisches, multinationales Handeln lohnt sich, soll die Botschaft lauten, meinte Emmanuel Macron. "Wir sind 27 am Tisch und haben einen gemeinsamen Haushalt geschaffen. In welchem anderen politischen Raum der Welt wäre das möglich, da zu machen? In keinem anderen."

Das Geld aus dem neuen Aufbaufonds soll von 2021-2023 ausgezahlt werden, um eine möglichst gemeinsame Erholung des europäischen Binnenmarktes zu gewährleisten. Hinzu kommen diverse nationale Konjunkturprogramme und Hilfspakete sowie die fast unbegrenzten Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank, die derzeit Staaten und Unternehmen mit billigem Geld versorgen.

Nizza und Brüssel: Dauerschleifen der EU

Der Dauergipfel von Brüssel hat für einen Rekord gesorgt. Er war wohl neben dem EU-Gipfel von Nizza im Jahr 2000 der längste Marathon, den die Staats- und Regierungschef je zurückgelegt haben. "Ich bin zufrieden", bilanzierte Bundeskanzlerin Angela Merkel den ersten großen Vermittlungserfolg in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. "Außergewöhnliche Ereignisse, und das ist die Pandemie, die uns alle erreicht hat, erfordern außergewöhnliche Methoden. Es hat dann auch außergewöhnlich lange gedauert. Nur unsere Vorgänger in Nizza haben noch einige Minuten länger gebraucht. So wurde es uns gesagt. Ich habe es nicht nachgeprüft."

Aufbaufonds und Haushalt müssen nun noch vom Europäischen Parlament gebilligt und in allen 27 Mitgliedsstaaten ratifiziert werden.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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