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Politik

Die EU hat die Wahl: Vorwärts oder rückwärts?

16. Mai 2019

Die Wahlen zum Europaparlament Ende Mai geben die Richtung vor. Rückbesinnung aufs Nationale oder mehr Integration für eine globale Stärke? Bernd Riegert berichtet aus Brüssel.

Stimmzettel Wahl Wahlen Europawahl
Wer soll ins EU-Parlament? In Deutschland treten 41 Parteien an, in der gesamten EU sind es hunderteBild: picture-alliance/dpa/N. Försterling

"Wir stehen am 26. Mai vor einer Schicksalswahl für diesen Kontinent", sagte der Fraktionsvorsitzende der Christdemokraten im Europäischen Parlament, Manfred Weber, in der letzten Sitzungswoche vor der Europawahl im Plenum. Nicht nur Weber, der Spitzenkandidat seiner Parteienfamilie ist, sondern viele Politiker aller Lager haben die Wahlen zum Europäischen Parlament zur "Schicksalswahl" erklärt. Für den Christdemokraten, der den Posten des EU-Kommissionspräsidenten anstrebt, geht es Ende Mai um einen Zweikampf zwischen den Pro-Europäern und den Nationalisten. "Dieses Europa, in dem wir heute leben, ist ein gutes Europa. Wir lassen es uns von den Nationalisten, die wir heute haben, nicht kaputt machen", sagte Manfred Weber. Noch nie gab es in den Mitgliedsstaaten der EU so viele Rechtspopulisten und Euro-Skeptiker wie bei dieser Wahl. Sie könnten laut Umfragen auf gut 20 Prozent der Mandate kommen.

Lächeln aus alten Tagen: Macron (li.), Orban (re.) Das Foto ist ein Jahr alt, heute bekämpfen sich beide politischBild: Getty Images/AFP/L. Marin

Orbans oder Macrons Europa?

Für den nationalkonservativen Ministerpräsidenten von Ungarn, Viktor Orban, geht es um das Ringen zwischen illiberaler Demokratie, die er vertritt, und den liberalen Demokraten. Diese wollten Europas Bevölkerung "austauschen" und durch den Zuzug von Migranten "islamisieren", behauptet der ungarische Premier, der sich mit deutschen, französischen, dänischen und italienischen Rechten verbündet hat. "Wir müssen begreifen, dass Europa an einem historischen Scheidepunkt angekommen ist", sagte Orban in seiner Rede zum ungarischen Nationalfeiertag. Wer illegale Migranten und Flüchtlinge willkommen heiße, "schafft Nationen mit gemischten Rassen. In solchen Ländern finden historische Traditionen ein Ende und eine neue Weltordnung entsteht".

Der Lieblingsfeind der Rechtspopulisten vom Schlage Viktor Orbans oder des italienischen Innenministers Matteo Salvini oder des österreichischen FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache ist der französische Präsident Emmanuel Macron. Er hat der "illiberalen Demokratie" den Kampf angesagt, fordert eine "Wiedergeburt" Europas, Solidarität und Mitgefühl. Auch für Emmanuel Macron, der große Reformen vorschlägt, ist der Wahltag ein Schicksalstag. "Der wichtigste Kampf in dieser Wahl ist die Auseinandersetzung, zwischen denen, die an Europa glauben, und denjenigen, die nicht glauben", sagte der französische Präsident vier Wochen vor dem Urnengang in Paris bei einer Veranstaltung seiner Partei "Republik auf dem Weg".

Beide Spitzenkandidaten (Weber li. , Timmermans re.) wollen die EU bewahren und weiter entwickelnBild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

Nicht nur Migration

Arbeitsplätze, Migration, Klimaschutz, Handelspolitik, eine stärke Rolle Europas in der Welt. Das sind die Themen, mit denen sich die EU in den nächsten Jahren beschäftigen muss, sagen die etablierten Europa-freundlichen Partei. Die Spitzenkandidaten Weber (Christdemokraten) und Frans Timmermans (Sozialisten) unterscheiden sich da kaum. Beide wollen zum Beispiel eine neue Partnerschaft mit Afrika und sich auf mehr Investitionen in den Herkunftsstaaten von Flüchtlingen konzentrieren. Für die Rechtspopulisten gibt es auf der anderen Seite nur ein Thema: Abschotten, Abriegeln und Migranten möglichst draußen halten, sagt zum Beispiel der ungarische Außenminister Peter Szijjarto: "Für uns ist eine Anti-Einwanderungs-Mehrheit das wichtigste Ziel. Und Ungarn wird dazu beitragen."

Die Rechtspopulisten versprechen ihren Wähler eine komplett andere EU, in denen die Nationalstaaten ihre angeblich verlorenen Rechte zurückbekommen und die Zentrale in Brüssel entmachtet werde. Frans Timmermans, Spitzenmann der Sozialisten und derzeit selbst Vizepräsident der EU-Kommission in Brüssel, hält das für Unsinn. "Wir werden nicht den Extremisten die Macht geben in Europa. Es ist eine Schicksalswahl. Es ist eure Wahl. Sie entscheiden, welches Europa wir in den nächsten fünf Jahren bekommen", sagte Timmermans in einer Fernsehdebatte im Deutschen Fernsehen.

Ungarns EU-Befürworter

03:10

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"EU hat Widerstandskraft"

Die Zusammensetzung des neuen Parlaments wird Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne zwingen, in einer großen Koalition zusammen zu arbeiten, meint der Europa-Experte Janis Emmanouilidis von der Denkfabrik "European Policy Centre" in Brüssel. Die EU werde aber nach dem Wahltag aber keine totalen Kursschwenk vollziehen, meint Emmanouilidis. "Wie werden keine feindliche Übernahme der EU sehen. Man muss sich das kritisch anschauen, aber man sollte auch nicht übertreiben und zu negativ sein. Die EU hat in den vergangenen Jahren auch eine große Widerstandskraft gezeigt. Das wird auch in Zukunft so sein."

Wichtig sei es für das neue Parlament, sich nach überstandener Schulden- und Migrationskrise jetzt für neue Krisen in der Wirtschaft, im Verhältnis zu den USA, Russland oder China zu wappnen. Auch hier stehen Richtungsentscheidungen an, mahnt der Europa-Experte Emmanouilidis: "Es wird erneut Krisen geben. Man weiß heute nicht, ob diese Krisen aus den alten Problemen herrühren werden oder ob es neue Herausforderungen geben wird. Man muss sich vorbreiten, um die Stürme zu überstehen."

Die EU müsse sich nach der Wahl vor allem auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen dem reicheren Norden und dem ärmeren Süden konzentrieren, meint der EU-Forscher Karel Lannoo, vom "Zentrum für Europäische Politik-Studien" in Brüssel. Nur so lasse sich auch das Problem Rechtspopulismus, das tendenziell stärker in ärmeren Staaten zu beobachten sei, wirklich lösen. "Mehr Integration", fordert Karel Lannoo. "Das Wichtigste ist, das wir den Binnenmarkt in Europa noch stärker machen und außerhalb Europas mehr handeln können. Intern sollten wir über Energiepolitik, digitale Wirtschaft und noch mehr Freizügigkeit für die Menschen nachdenken. Extern gilt: Seit Trump Präsident ist, wird der freie Handel angegriffen. Noch mehr Zölle sind wahrscheinlich."

Moment der Demokratie genießen

Schicksalsfrage, Scheideweg, Wegabelung, letzte Chance. Die Bilder, die im Wahlkampf für den Urnengang vom 23. bis 26. Mai verwendet werden, sind teilweise dramatisch. Sicher, die Wahl sei wichtig, meint der Sprecher der Europäischen Kommission, Margaritis Schinas, aber man dürfe auch nicht übertreiben. "Ich bin schon einige Jahre in der europäischen Politik. Ich kann mich an keine Wahl erinnern, wo es nicht geheißen hätte: 'Europa steht am Scheideweg.' Da stehen wir eigentlich immer und das ist gut so", sagte Margaritis Schinas kürzlich in einem Interview mit "euronews". "Wir sollten nicht zu dramatisch auf die europäischen Wahlen zusteuern. Es ist der Moment europäischer Demokratie und den sollten wir irgendwie auch genießen."

Deutschland und Frankreich vor der Europawahl

42:35

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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