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Politik

Die EU im Syrien-Dilemma

9. Oktober 2019

Die Lage in Syrien wird durch den türkischen Einmarsch noch verworrener. Die EU fürchtet sich vor neuem Terror, hat aber keine einheitliche Politik und wenig Einfluss. Aus Brüssel berichtet Bernd Riegert.

Türkei Militär an de Grenze zu Syrien
Bild: Getty Images/B. Kara

Nach dem Beginn der türkischen Militäroffensive in den Kurdengebieten im Nordosten Syriens hielten sich die Spitzen der Europäischen Union zunächst mit offiziellen Äußerungen zurück. So meldete sich die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bislang nicht selbst zu Wort meldete.

Stunden nach Beginn der nach den Luftangriffen der Türkei auf das Gebiet, forderte dann EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Ankara zu einem sofortigen Stopp der Offensive auf. "Diese militärischen Aktionen werden nicht zu einem guten Ergebnis führen", sagte Juncker vor dem EU-Parlament. Zudem warnte er die Türkei davor, zu glauben, dass die EU Pläne für eine mögliche "Sicherheitszone" in Nordsyrien unterstützen könnte. Ankara solle nicht erwarten, dass die Europäische Union dafür irgendetwas zahlen werde, sagte Juncker und drohte damit indirekt auch mit einem Stopp der EU-Zahlungen, die die Türkei derzeit für aufgenommene syrische Flüchtlinge erhält.

Die aktuellen Pläne Ankaras sehen vor, die Kurdenmilizen aus der syrischen Grenzregion zu vertreiben. In einer sogenannten "Sicherheitszone" sollen dort syrische Flüchtlinge angesiedelt werden, die derzeit in der Türkei und Europa leben. Die Türkei hat seit Beginn des Bürgerkriegs im Nachbarland Syrien rund 3,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen.

"Keine gemeinsame Politik der EU"

Die EU hat in den vergangenen acht Jahren versucht, die humanitären Folgen des Krieges in Syrien abzumildern und bei der Suche nach einer politischen Lösung des Konfliktes mit den Vereinten Nationen zusammenzuarbeiten. Zu einem militärischen Eingreifen am Boden waren die Europäer aber zum Missfallen der USA nicht bereit. Nur Frankreich und Großbritannien flogen Luftangriffe auf Stellungen der radikal-islamischen Terrormiliz IS in Syrien.

Zwar weist EU-Außenbeauftragte Mogherini immer wieder darauf hin, dass die EU drei Geberkonferenzen für Syrien organisiert und rund elf Milliarden Euro an humanitärer Hilfe aufgewendet hat. Trotzdem könne man im Falle Syriens nicht von einer wirklich gemeinsamen Außenpolitik der EU reden, meint Jasmine El-Gamal von der Denkfabrik "Atlantic Council" in Brüssel. "Es bräuchte eine konsistente und kohärente Syrien-Politik der EU, die es aber nicht gibt. Wir reden immer darüber, was die EU tun müsste. Aber wenn man sich die Mitgliedsstaaten einzeln anschaut, sieht man, dass es da sehr unterschiedliche Ansätze gibt. Die einen geben sich eher kämpferisch, andere wolle nur abwarten. Wie man mit dem Regime des syrischen Machthabers Assad umgehen soll, darüber gibt es keine Einigkeit. Bei den Themen Rückführung von IS-Kämpfern oder Umgang mit Flüchtlingen hat jedes EU-Mitglied eine andere Meinung."

Federica Mogherini: Die EU-Staaten verfolgen keine einheitliche Syrien-PolitikBild: Imago Images/Agencia EFE/J. Mendez

Wenn sich die wichtigsten Staaten nicht einig seien, wie weit sie sich in Syrien engagieren wollten, so Jasmine El-Gamal, drohe die Gefahr, dass Europas Stimme überhaupt keine Rolle spiele.

Flüchtlingsdeal mit der Türkei hat Vorrang

An diesem Punkt sieht der außenpolitische Experte der konservativen Fraktion im Europaparlament, Michael Gahler, die EU bereits angekommen. Seit Jahren hätten die Europäer im Syrien-Konflikt abseits gestanden, bemängelte Michael Gahler im Deutschlandfunk. "Im Ergebnis sind wir jetzt außerhalb jeglicher unmittelbarer Einflussnahme", sagte Gahler. Selbst der Einfluss der Europäischen Union auf die Türkei, die ja offiziell immer noch Beitrittskandidat ist, ist äußerst begrenzt. Mahnungen an Recep Tayyip Erdogan, nicht gegen die Kurden-Milizen in Nord-Syrien vorzugehen, schlug der türkische Präsident in den Wind. Die EU braucht die Türkei für den vor drei Jahren ausgehandelten Deal, um Flüchtlinge an der Überfahrt nach Griechenland zu hindern. Präsident Erdogan droht immer wieder damit, mehr Flüchtlinge zu schicken, sollte die EU ihren finanziellen Teil des Deals nicht erfüllen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) warnte noch am Montag vor einer neuen Flüchtlingswelle, die sich auf den Weg in die EU machen könnte, wenn die Lage in Syrien eskalierte. Darauf müsse die EU mit einer einheitlichen Asyl- und Migrationspolitik vorbereitet sein, verlangte Seehofer. Er räumte aber ein, dass bis dahin noch "dicke Bretter gebohrt werden müssten."

Neue Terrorgefahren?

Julien Barnes-Dacey, European Council on Foreign RelationsBild: ECFR

Bislang haben die kurdischen Milizen die gefangenen Kämpfer des sogenannten "Islamischen Staates" (IS) unter Kontrolle gehalten, nachdem sie die Terrormiliz militärisch besiegt hatten. Der türkische Präsident Erdogan hat US-Präsident Donald Trump versichtert, die Türkei würde diese Verantwortung jetzt übernehmen. Doch dieser Zusicherung glaubt der Syrien-Experte Julien Barnes-Dacey vom "European Council on Foreign Relations" in Brüssel nicht. "Man muss ehrlich sein und sehen, dass die Europäer nicht bereit waren, sich um die Rückführung von IS-Kämpfern zu kümmern. Die Amerikaner haben einige Zeit Druck auf die Europäer ausgeübt, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen. Die Europäer haben das abgelehnt", so Barnes-Dacey der DW. Die Frage laute nun, ob Präsident Erdogan wirklich Willens und in der Lage sei, ein Wiedererstarken des IS-Terrors zu verhindern. "Da gibt es viele Zweifel, wenn man bedenkt, dass er sich hauptsächlich um die Kurden kümmern will", vermutet Julien Barnes-Dacey.

Proteste gegen den Einmarsch: Kurdische Frauen in Syrien am DienstagBild: Getty Images/AFP/D. Souleiman

EU lehnt zwangsweise Rücksiedlung ab

Das Ziel von Präsident Erdogan, in Syrien nach dem Militärschlag "Schutzzonen" zur Wiederansiedlung von Flüchtlingen einzurichten, lehnte die EU im September noch ab. Die Außenbeauftrage Federica Mogherini sagte auf einer Syrien-Konferenz in Brüssel, es sei das unbenommene Recht der Flüchtlinge nach Hause zurückzukehren. "Aber man kann die Menschen nicht zwingen zurück zu gehen. Die Bedingungen für eine sichere, freiwillige Rückkehr in Würde müssen gegeben sein", so Mogherini. "Zu vielen Syrern drohen willkürliche Verhaftungen und zwangsweiser Militärdienst, wenn sie heimkehren. Vielen wurde das gesamte Eigentum beschlagnahmt."

Der künftige EU-Außenbeauftragte, der ehemalige spanische Außenminister Josep Borrell, der Federica Mogherini Anfang November ablösen wird, sagte vor dem EU-Parlament, die Union müsse endlich lernen mit der einen "Stimme der Macht" zu sprechen. Was das in Bezug auf den Syrien-Konflikt heißen könnte, ließ er offen. Borrell kritisierte, dass die USA der Türkei voreilig erlaubt hätten, in Syrien einzumarschieren.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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