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Die EU in Bosnien: Kallas' Machtwort, Brüssels Schwäche

9. April 2025

Der mit Haftbefehl gesuchte bosnisch-serbische Politiker Milorad Dodik treibt den Zerfall von Bosnien und Herzegowina voran. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas will Dodik stoppen. Doch die EU ist, wie meistens, uneins.

Eine blonde Frau (Kaja Kallas) steht an einem Rednerpult und gestikuliert während sie spricht. Hinter ihr ist die Fahne der EU zu sehen
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas bei ihrem Antrittsbesuch in Sarajevo am 8.04.2025 Bild: Samir Jordamovic/Anadolu/picture alliance

Einst galt er als Reformer und Pragmatiker. Das ist mehr als zwei Jahrzehnte her. Schon seit längerem verspottet er das Land, dessen Bürger er ist, fast täglich als "künstliches Gebilde" und droht immer offener mit gewaltsamer Abspaltung. Damit hat er Europa nun in diesen Tagen in die zweitschlimmste sicherheitspolitische Krise nach dem russischen Krieg gegen die Ukraine gebracht: Milorad Dodik, 66, Präsident der Republika Srpska (RS), dem mehrheitlich von Serben bewohnten Teil Bosnien und Herzegowinas.

Konkreter Anlass ist die Eskalation der politischen Lage in Bosnien und Herzegowina, nachdem Dodik Ende Februar 2025 zu einer einjährigen Haftstrafe und einem sechsjährigen Verbot politischer Tätigkeit verurteilt worden war, weil er Gesetze und Institutionen des bosnischen Staates missachtet. Das Urteil ist zwar nur erstinstanzlich und noch nicht rechtskräftig, allerdings liegt gegen Dodik ein Haftbefehl vor. Der Verhaftung entzieht sich der RS-Präsident jedoch. Er droht nicht nur mit Widerstand durch seine schwer bewaffnete Leibgarde, falls er festgenommen werden sollte, sondern auch damit, die Unabhängigkeit der Republika Srpska auszurufen und sie gewaltsam durchzusetzen.

Der Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, bei Wladimir Putin in Moskau am 2.04.2025Bild: press service of kremlin.ru

Der österreichisch-bosnische Politologe Vedran Dzihic nennt diese Haltung im Gespräch mit der DW das "Überschreiten einer roten Linie mit einem Gewaltakt". Damit greife Dodik nicht nur den Staat Bosnien und Herzegowina an, sondern auch die westliche Staatengemeinschaft und das Konzept der liberalen Demokratie insgesamt, so Dzihic.

Reisen trotz Ausreisesperre

Vor zwei Wochen war Dodik trotz bestehenden Haftbefehls und Ausreisesperre nach Serbien und von dort nach Israel zu einer Regierungskonferenz gegen Antisemitismus gereist. Von Israel flog er anschließend nach Moskau zum russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Zur selben Zeit verhängten Deutschland und Österreich Einreiseverbote gegen Dodik. Im Gegenzug ließ er die deutsche Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann, zuständig für den westlichen Balkan, bei ihrem Besuch in der Republika Srpska vor wenigen Tagen zur unerwünschten Person erklären und zwang sie zur Abreise.

Interview mit Anna Lührmann

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Am Mittwoch sprach nun die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas bei ihrem ersten Besuch in Bosnien und Herzegowina eine Art Machtwort: Man werde "keinerlei Bedrohungen der territorialen Integrität, Souveränität und verfassungsmäßigen Ordnung Bosnien und Herzegowinas tolerieren". Jeder Versuch, den Staat zu zerschlagen, sei inakzeptabel, so Kallas.

Frieden nur "mit Stärke"

Sie sagte das bei einer Ansprache vor Soldaten der EUFOR Althea-Mission, der EU-Schutzmission für Bosnien und Herzegowina, auf deren Standort in Butmir in der Nähe des internationalen Flughafens von Sarajevo. Später wiederholte Kallas die Formulierung noch einmal in ähnlicher Weise bei einem Treffen mit den drei Mitgliedern des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina, welche die drei staatsbildenden Nationen des Landes repräsentieren, Bosniaken, Kroaten und Serben. Die serbische Repräsentantin, Zeljka Cvijanovic, konnte sich eine abfällige Metapher gegen Kallas und die internationale Gemeinschaft nicht verkneifen: "Wenn man in den falschen Zug steigt, sind alle Haltestellen falsch", so Cvijanovic, die als verlängerter Arm und Erfüllungsgehilfin von Dodik gilt.

Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas (l.) und Zeljka Cvijanovic, serbisches Mitglied des bosnischen StaatspräsidiumsBild: Samir Jordamovic/Anadolu/picture alliance

Sarajevo war nach Podgorica in Montenegro und Tirana in Albanien die letzte und wichtigste Station von Kaja Kallas' erster Westbalkan-Reise in ihrer neuen Funktion. Mit der kämpferischen ehemaligen estnischen Premierministerin zieht ein neuer Ton der Klarheit in die Außenpolitik der Europäischen Union ein, in erster Linie gegenüber Russland, aber auch auf dem Westbalkan. Kallas sagte gestern in Sarajevo beispielsweise in ihrer Ansprache an die EUFOR-Soldaten, die Schaffung des Friedens bedürfe diplomatischer Anstrengungen. Aufrechterhalten werde er aber "mit Stärke".

Ethnonationalismus versus Bürgerstaat

Nicht viele hochrangige EU-Vertreter haben in den vergangenen Jahren gegenüber Dodik das Wort "Stärke" in den Mund genommen. Und nur wenige haben sich aus persönlicher Überzeugung hinter den Staat Bosnien und Herzegowina gestellt. Dennoch wird Kallas das separatistische Treiben Dodiks kaum beenden können. Dazu ist sie mit zu wenig Macht ausgestattet. Und dazu sind die Interessenlagen in der EU zu unterschiedlich. Beispielhaft zeigte das der zeitgleich mit Kallas' Visite stattfindende Besuch des kroatischen Premierministers Andrej Plenkovic in Bosnien und Herzegowina.

Plenkovic hatte sich noch vor Kallas' Eintreffen in Sarajevo dagegen ausgesprochen, Dodik mit EU-Sanktionen zu belegen. Obwohl Kroatiens Premier ein gemäßigter, proeuropäischer Konservativer ist, vertritt er in der bosnischen Frage die einschlägige kroatisch-ethnonationalistische Position, die das Wahlrecht in Bosnien und Herzegowina auf eine ausschließlich ethnische Basis stellen will. So sollen die kroatischen politischen Kräfte in Bosnien und Herzegowina gestärkt werden. Dabei gilt der ebenfalls ethnonationalistisch orientierte Dodik als Verbündeter gegen die Bosniaken. Gegenüber dem kroatischen Vertreter im bosnischen Staatspräsidium, Zeljko Komsic, ist Kroatien feindselig eingestellt, weil Komsic für einen nicht auf Ethnoproporz basierenden Bürgerstaat eintritt.

Orban schickt Sonderpolizei

Plenkovic ist jedoch nicht einmal der Hauptkeil in der EU-Politik gegenüber Bosnien und Herzegowina. Am konsequentesten in der EU unterstützt Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban den Separatisten Dodik. Die beiden Politiker eint, dass sie ein auf Korruption und Klientelismus basierendes Herrschaftssystem aufgebaut haben, in dem ihre Familien zu den größten Profiteuren zählen. Orban hat die in großen wirtschaftlichen und finanziellen Nöten steckende Republika Srpska mehrmals mit Hilfszahlungen und Krediten unterstützt. Als im Februar das Gerichtsurteil gegen Dodik verkündet wurde, schickte Orban Sondereinsatzpolizisten seiner Anti-Terror-Einheit TEK in die Republika Srpska, die nach Darstellung der bosnischen Zentralregierung die Aufgabe hatte, Dodik notfalls zur Flucht zu verhelfen.

Der serbische Staatspräsident Aleksandar Vucic seinerseits unterstützt Dodik und dessen politische Strukturen in der Republika Srpska im Rahmen seines Konzepts des Srpski Svet (Serbische Welt), also dem Vorhaben, alle Serben geistig-kulturell und nach Möglichkeit auch in einem einzigen Staat zu vereinen. Wahlweise tritt Vucic außenpolitisch als "Friedensstifter" auf, der es immer wieder schafft, Dodik zu "besänftigen" und einen neuen Krieg in der Westbalkan-Region zu verhindern.

Die EU ist unentschlossen

Auch die internationale Gemeinschaft und ihr Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina haben in der Vergangenheit oft zögerlich oder gar nicht auf Dodiks Sezessionspläne reagiert. Auch der seit 2021 amtierende derzeitige Hohe Repräsentant, der ehemalige deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, entschloss sich erst nach einigem Lavieren dazu, Dodik konsequent in die Schranken zu weisen. Dodiks Missachtung von Gesetzen, die Schmidt erlassen hatte, führten zur Anklage und zur Verurteilung des RS-Präsidenten im Februar. Von seinem Recht, Dodik abzusetzen machte Schmidt allerdings bisher keinen Gebrauch. 

Der Politologe und Buchautor Vedran Dzihic vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP)Bild: Privat

Der Politologe Vedran Dzihic kritisiert die Unentschlossenheit der EU in Bosnien und Herzegowina, da sie es sei, die am meisten in den dortigen Staatsaufbau investiert habe und das Land seit Ende 2022 auch EU-Beitrittskandidat sei. "Eigentlich müsste die EUFOR Dodik verhaften und die EU dabei mithelfen", sagt Dzihic. "Aber offenbar traut sich die EU das nicht, und es gibt Hinweise, dass man lieber zur transaktionistischen Politik greift, wie das schon so oft der Fall war, wo man hinter den Kulissen versucht, mit Dodik zu verhandeln. Meiner Ansicht nach ist solch ein Kurs gemeingefährlich, weil Dodik ein Gewalttäter ist, der Recht gebrochen hat und es weiterhin brechen wird."

Bosnien und Herzegowina befände sich bereits "mitten im offenen Separatismus", warnt Dzihic. Regionale Machthaber wie Dodik würden die uneinheitliche EU immer wieder ausnutzen und vorführen. "Wenn man dem Treiben Dodiks jetzt nicht einen Riegel vorschiebt, dann wird er seine separatistischen Pläne durchziehen. Dabei geht es nicht nur um ein kleines Land irgendwo in Europa. Es wäre verheerend für die gesamte EU und für ganz Europa."