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Medienfreiheit: "Totalausfall" EU

Christopher Nehring
22. Dezember 2021

Der Medienrechtler Johannes Weberling und der Medienexperte Hendrik Sittig über Einschüchterungen, EU-Gelder und Online-Plattformen.

Podium der Medienrechtstage Südosteuropa an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt/Oder am 1.12.2021
Hendrik Sittig (l.) und Johannes Weberling (r.) bei den Medienrechtstagen Südosteuropa in Frankfurt/Oder am 1.12.2021 Bild: Heide Fest

DW: Was sind die größten Probleme der Medien in Südosteuropa?

Hendrik Sittig: Es fehlt das Bewusstsein für Qualitätsjournalismus. Wir brauchen die Akzeptanz, dass unabhängige Medien in der Demokratie unerlässlich sind. Das muss vor allem von verantwortlichen Politikern kommen. Wenn von dort aus die richtigen Zeichen gesendet werden, werden Angriffe auf Medienvertreter, strategische Einschüchterungsklagen - sogenannte "SLAPP" -, Schmierenkampagnen oder Geheimhaltung öffentlicher Informationen abnehmen.

Johannes Weberling: Ich stimme zu. Regierungen in der Region sehen unabhängige Medien und ihre Rolle als Wächter der Demokratie, als "public watchdog", durchwegs kritisch. Diese Rolle ist aber für jede freiheitlich-demokratische Gesellschaft unerlässlich. Politik, Wirtschaft und bestimmte gesellschaftliche Kreise in Südosteuropa wollen aber nicht durch kritische Nachfragen gestört werden. Dass es keinerlei wirksame verfassungsrechtliche Absicherungen für freie und unabhängige Medien gibt, verschlechtert die Lage noch.

Prof. Dr. Johannes Weberling ist Medienrechtsanwalt, Jurist und HistorikerBild: Privat

Die Lage der Medien in Südosteuropa wird - trotz EU-Mitgliedschaft oder Beitrittsgesprächen - eher schlechter als besser. Wie passt das zusammen?

Johannes Weberling: Die EU ist bei der Sicherung und Unterstützung von Medienfreiheit in Südosteuropa ein Totalausfall! Es gibt ein paar Fensterreden, zum Beispiel zur Entwicklungen in Ungarn. Faktisch unterstützt die EU aber die Verschlechterung der Medienfreiheit noch, indem sie die Verteilung von EU-Geldern für Informationsbudgets den jeweiligen Regierungen überlässt und damit den Bock zum Gärtner macht. Würden diese Gelder nach objektiven Kriterien verteilt, könnten sie unabhängigen Qualitätsjournalismus unterstützen. Warum die Europäische Union das bis heute nicht geändert hat, ist mir ein Rätsel.

Hendrik Sittig: Vielerorts dachte man, nach einem EU-Beitritt würden sich demokratische Defizite von allein lösen. Aber das ist nicht der Fall. Wir müssen in vielen Ländern sogar Rückschritte bei der demokratischen Entwicklung und der Medienfreiheit konstatieren. Das strukturelle Grundproblem ist, dass die Medienmärkte in Südosteuropa sehr klein sind. Deshalb sind Verbindungen zwischen Politik, Wirtschaft und Medien besonders eng, was einem unabhängigen Mediensystem abträglich ist.

Hendrik Sittig ist Leiter des Medienprogramms der Konrad-Adenauer-Stiftung für SüdosteuropaBild: Privat

Was können die EU und Deutschland tun, um die Lage zu verbessern?

Hendrik Sittig: Hier ist die EU als Wertegemeinschaft gefragt. Ich freue mich, dass die aktuelle EU-Kommission demokratische und rechtsstaatliche Defizite sehr deutlich anspricht. Aber genau dafür sind die Millionen, die Brüssel für EU-Werbemaßnahmen und Informationsbudgets in den vergangenen Jahren an die Mitgliedsstaaten verteilt hat, das beste Beispiel: Gerade in Südosteuropa, wo es nur sehr begrenzte Werbegelder aus dem kommerziellen Sektor gibt, sind diese Mittel meist nur an regierungsfreundliche Medien vergeben worden. Hier braucht es strengere Kontrollen.

Johannes Weberling: Absolut, den Einsatz dieser EU-Gelder zu kontrollieren, ist sicherlich die dringendste Aufgabe. Aber auch Deutschland kann die Entwicklung positiv unterstützen, indem es zum Beispiel die Berichterstattung der Deutschen Welle für Südosteuropa dauerhaft massiv ausbaut. Damit stärkt es eine von den Menschen dieser Länder geschätzte unabhängige seriöse Informationsquelle und unterstützt zugleich regionale Medien, die sich bei ihrer Arbeit auf die Berichterstattung der Deutschen Welle als seriöse Quelle verlassen können.

Welche Prognose haben Sie zur Entwicklung der Medien in Südosteuropa, wird die Lage besser oder schlechter?

Johannes Weberling: Die Geschichte zeigt, dass sich kein autokratisch-verfilztes System auf Dauer gegen eine aufstehende Zivilgesellschaft halten kann. In allen Ländern Südosteuropas existieren - teilweise mehr denn je - überparteiliche und aktive Zivilgesellschaften, die sich mit der Kaperung ihrer Länder und Medien durch politische und wirtschaftliche Interessengruppen nicht abfinden wollen. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass sich Lage in der nächsten Dekade verbessern wird.

Hendrik Sittig: Ich bin grundsätzlich Optimist. Ich sehe keine dramatische Verschlechterung der Lage - aber eben auch keine Verbesserung. Moldau ist ein gutes Beispiel: Nach der Wahl der neuen Präsidentin Maia Sandu ist die Hoffnung auf Demokratisierung groß, was auch Auswirkungen auf den Medienmarkt hat. Als regionales Medienprogramm, das in ganz Südosteuropa aktiv ist, wollen wir dabei helfen und setzen vor allem auf die Förderung junger Journalistinnen und Journalisten. In Bulgarien haben wir im vergangenen Jahr zum Beispiel ein Stipendienprogramm für Journalistik-Studenten gestartet.

Sogenannte intermediäre Plattformen werden in Südosteuropa besonders stark genutzt. Was ist das Problem mit Youtube, Facebook und Co?

Johannes Weberling: Viele junge Leute beziehen ihre Informationen ausschließlich von dort. Youtube, Facebook und Co. sind aber keinen journalistischen Sorgfaltsprinzipien verpflichtet, sondern ausschließlich Wirtschaftsunternehmen, die nicht zuletzt über ihre Trägermedien Werbung in eigener Sache machen. Je weniger seriöse und unabhängige Medien existieren, desto größer wird auch die Nutzung dieser Plattformen. Dadurch haben Fake News und Desinformationskampagnen leichtes Spiel. Auch deshalb ist es so wichtig, dass Nachrichtenmedien wie die Deutsche Welle, die als seriöse Informationsquelle in den Ländern Südosteuropas anerkannt sind, ihr Informationsangebot dauerhaft massiv ausbauen. 

Hendrik Sittig: Ich bin beruflich wie privat ein großer Fan von Facebook, WhatsApp, YouTube und Co und kann mir eine Welt ohne Soziale Netzwerke nicht vorstellen. Aber Soziale Netzwerke agieren leider - zum Beispiel bei Desinformation und Hassreden - oft auch sehr unsozial. In Ländern, in denen es nur wenige seriöse Medien gibt, übernehmen Soziale Netzwerke die Funktion von Medien und befriedigen das Informationsbedürfnis der Menschen. Das größte Problem dabei ist die Verbreitung von Desinformation und Fake News. Das sind die digitalen Seuchen unserer Zeit, wie man aktuell beim Thema COVID sehen kann: Falschinformationen sind ein maßgeblicher Grund für die niedrigen Impfquoten in Südosteuropa.

Was kann man gegen diese Form der Verbreitung von Falschinformationen tun?

Hendrik Sittig: Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein. Dafür braucht es klare, grenzübergreifende gesetzliche Regeln. In Deutschland gilt seit dem vergangenen Jahr der neue Medienstaatsvertrag, bei dem Social Media-Plattformen erstmals eingebunden wurden. Auf EU-Ebene habe ich die Hoffnung, dass mit dem Digital Service Act der EU ein neuer juristischer Rahmen kommt.

Johannes Weberling: Jedenfalls müssen die Plattformen zur Einhaltung der gleichen journalistischen Sorgfaltsprinzipien wie klassische Medien verpflichtet werden. Der Digital Service Act ist dafür ein wichtiger und richtiger Ansatz. Wenn Youtube, Facebook und Co. bei Missachtung wirtschaftlich fühlbar zur Rechenschaft gezogen werden, dann werden sie ihre Geschäftsmodelle zwangsläufig an journalistische Standards anpassen.

 

Der Medienrechtsanwalt Prof. Dr. Johannes Weberling und Hendrik Sittig, der Leiter des Medienprogramms Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung, sind die Organisatoren der diesjährigen17. Frankfurter Medienrechtstage,  die am 1. und 2.12.2021 an der Europa-Universität Frankfurt/Oder stattfanden.

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